Gätjen trifft ... Sandra Immoor, Chefredakteurin von „Bild der Frau“. Ein Gespräch über Karriere, Kerle und leidenschaftlichen Journalismus.

Ein bisschen Wasser dürfe es schon gern sein, sagt sie bei der Auswahl unseres Treffpunkts. Und so sitzen wir dann auf der Terrasse des Fiedler’s am Hofweg mit vollem Blick auf den Ausläufer des Osterbekkanals Richtung Außenalster. Sandra Immoor, Chefredakteurin von „Bild der Frau“, mit rund 900.000 verkauften Heften wöchentlich die auflagenstärkste Frauenzeitschrift Europas.

Seit 30 Jahren gibt es diese Zeitschrift schon. Das Jubiläum wurde gerade in Hamburg und Berlin groß gefeiert. Kurz vor dem völlig unerwarteten Paukenschlag der Branche: „Bild der Frau“ genauso wie „Hörzu“ und Hamburger Abendblatt werden von Axel Springer verkauft an die Funke Mediengruppe. „Wir wissen nicht, was das für das Redaktionsteam bedeutet“, sagt Sandra Immoor, oder wo das hinführe – womöglich nach München-Ismaning, wo Funkes TV- und Frauenzeitschriften ihren Sitz haben. Lieber nicht mehr dran rühren. Schluss. Aus. Thema vorerst abgehakt.

Mit München hat Sandra Immoor Probleme, diese Bussi-Bussi-Gesellschaft liege ihr nicht so. Sie mag es lieber zurückhaltend norddeutsch. Wie in Hamburg, wo die Leute nicht unbedingt herzeigen, was sie haben. Und dann das Wasser! Diese Nähe zum Meer. Die Ruhe, die vom Wasser ausgeht. Frust in die Wellen schreien, sich dem Sturm entgegenstemmen, sich an ihm abreagieren?

Nein. Nicht bei ihr. Sie sei nicht jähzornig. Türenknallen bringe auch nichts. Das habe sie von ihrer Vorgängerin, der 23 Jahre an der Spitze von „Bild der Frau“ stehenden Vollblutjournalistin Andrea Zangemeister, gelernt. Zurück zum Meer kurz noch. Dieser Weite und dem beglückenden Gefühl, wenn „Gott Batik macht und die Wolken auseinanderzupft“. Wasser gehört für sie auch zum Urlaub. Tiefseetauchen. Malediven, Ägypten, Florida Keys. Sich an diese Schwerelosigkeit zu verlieren!

Ihre Liebe zum Wasser und die Abkehr von den Bergen haben ihren Ursprung in Sandra Immoors Kindheit. Eine familiäre Bergwanderung in Berchtesgaden. Der ältere Bruder wagt den Abstieg – „der Berg war eh nicht sehr hoch“, sagt sie abschwächend. Klein Sandra hinterher, landet kopfüber auf der Straße. Schädelbasisbruch, diverse andere Knochen kaputt, drei Wochen Krankenhaus, das alles spult Sandra Immoor so undramatisch runter wie den S-Bahn-Fahrplan.

So ist sie: lakonisch, unaufgeregt, unaufgesetzt, im Leben fest verankert. „Ein bisschen langweilig, oder?“, sagt sie ganz ohne Koketterie. Eine glatte Fehleinschätzung! Sie gibt sich nur gerne zurückhaltend, ist ungeschminkt. Immoor ist leicht irritiert von dem auf sie zukommenden Rollentausch. Nicht mehr selbst Beobachterin zu sein, sondern beobachtet zu werden. Im Mittelpunkt zu stehen behagt ihr nicht, verunsichert sie, macht sie zur geschlossenen Auster. Ihre blonde Löwenmähne hat sie vor nicht allzu langer Zeit durch einen unprätentiösen Kurzhaarschnitt mit langem Pony ersetzt. „Zur Tarnung der stärker werdenden Stirnfalte“ sagt sie lachend. Und Botox? Darüber werde sie nachdenken, wenn es ganz akut werde. Jetzt finde sie noch, dass Falten viel vom Leben erzählen können. Vorm Spiegel nehme sie sich nicht akribisch auseinander, sondern spreche sich eher mal Mut zu für den kommenden Tag.

Auf dem Alsterarm dümpelt in der Herbstsonne ein versprengter Stehpaddler auf dem Surfbrett vorbei. In weißen Hosen. Und schon bleiben wir bei männlichen Modesünden hängen. Nein, nicht bei dem üblichen Tennissocken-zu-Sandalen-Klischee. Viel schlimmer noch, findet Sandra Immoor, seien Socken, die im Sitzen zwischen Hosenbein und Sockenende reichlich behaartes Bein zeigen. In einer Talkshow stieß es ihr unlängst besonders auf, als ein nicht allzu graziler Minister immer wieder diesen modischen Makel zurechtzuzuckeln versuchte. Mit mäßigem Erfolg. Und eher zulasten seiner Umwelt. Dabei gebe es doch längst Kniestrümpfe auch für Männer!

Mode hat für die Chefredakteurin keinen allzu großen Stellenwert. Sie trägt am liebsten Jeans. 26er! Puh. Das lässt vor Neid erblassen. Blusen, sportliche Jacketts, und je nach Terminplan auch ein bisschen Eleganz. Kochen übrigens, schiebt sie nach, könne sie auch nicht. Da sei ihr Freund besser und auch die meisten ihrer Kolleginnen.

Die „Bild der Frau“ ist ihr Lebenselixier, und der Erfolg der Frauenzeitschrift macht sie stolz. Der Absatzflaute bei allen Printmedien kann sie einen Zuwachs von 2,5 Prozent entgegensetzen. Sie erklärt es damit, dass ihre typische Leserin eine Durchschnittsfrau „in Anführungszeichen“ sei. Normal im allerbesten Sinne. Trendunabhängig, zupackend, engagiert, loyal und warmherzig, „so, wie man sie überall trifft“. Beständige Leserinnen, nicht mehr ganz jung, die sich gerne engagieren, immer sofort bereit sind zu spenden.

Die von ihr initiierte Aktion, sozial engagierte Frauen und Alltagsheldinnen mit der Goldenen Bild der Frau in einer „Gala der Emotionen“ auszuzeichnen, passe zum Image ihrer Zeitschrift und dem ihrer Leserinnen. Prominente Frauen feiern unbekannte Persönlichkeiten, die aber ehrenamtlich Großartiges leisten. Wie Claudia Kotter, eine junge Frau, die an der seltenen Autoimmunkrankheit Sklerodermie litt und mit einer „unfassbaren Energie“ die Aktion „Junge Helden“ auf die Beine stellte, um gerade auch jungen Menschen die Organspenden-Problematik ins Bewusstsein zu rufen. Ein Jahr späte starb sie, sagt Sandra Immoor leise, ihren Gedanken an so außergewöhnliche Schicksale nachhängend. Da lerne man Demut, genauso wie bei Reportagen vor Ort über Hilfstransporte in den unwegsamen Bergen Bosniens oder über die Betreuung von Landminenopfern in Kambodscha.

Man kann so was nur machen, sagt sie zögernd, wenn man Empathie hat, große Liebe zu Menschen, „sonst kann man ja in ’ne Schraubenfabrik gehen“. Und da ist es wieder, dieses weiche, gedehnte „ä“ im Gegensatz zu dem eher spröden „e“. Ein ungewohnter Ausrutscher bei ihrem so kontrollierten Sprachmodus. Nein, kein hamburgischer Slang. Schließlich komme sie aus einem ganz kleinen Dorf „mit Kreissparkasse und so“ bei Bremerhaven, das ihr schnell zu eng wurde. „Da ist ja Journalismus schon ganz was Komisches.“ Und trotzdem oder gerade darum verfiel sie diesem Beruf, lernte ihn von der Pike auf bei der „Nordsee-Zeitung“. Fast in Bleisatz-Tagen noch. Für 30 Pfennig pro Zeile. Rathaussitzungen, Kaninchenzüchterverbände, Schützenvereine, „alles, was so anfällt auf dem Lande. Kleine Geschichten, die im Alltag der Leute wichtig sind, man lernt die unterschiedlichsten Menschen kennen, bekommt Leser auch mal zum Handeln, Sich-Einsetzen, Spenden, zum Umdenken – das alles begeistert mich heute noch.“

Es wird ihr Traumberuf, der Kegelverein ihrer Mutter zu ihrem schärfsten Kritiker. Sie ist stolz darauf, dass das Leben auf dem Lande sie bodenständiger gemacht hat, stolz darauf, dass sie als Erste aus der Familie Abitur machen konnte und dass sie die „Binsenweisheiten“ ihres wunderbaren Vaters, dem ihre Welt nicht allzu viel sagt, noch heute zu schätzen weiß, wie „man gibt nur Geld aus, das man hat“. Also nichts mit einer Eigentumswohnung auf Pump!

Dann erzählt sie mit liebevoller Nachsicht von den Großstadtbesuchen ihrer Mutter und deren Entsetzen darüber, dass Leute hier in Hamburg im Parterre keine Gardinen vor den Fenstern haben. Auf dem Dorf mache man so was höchstens, um den Nachbarn die neue Einbauküche vorzuführen. Das Leben habe da doch einen anderen Rhythmus. Zurück aufs Land sei schon eine Wahlmöglichkeit für sie. Vielleicht zum Einüben erst mal nur am Stadtrand, bremst sie schnell ab.

Längst sind wir von der Terrasse vor dem frischen Wind in das Innere des Cafés geflüchtet. Zu heißem Tee und Käsekuchenstücken von geradezu monströser Größe. Muss auch mal sein, sagt Sandra Immoor. Sie esse nicht sehr gesund, lieber Herzhaftes wie Bratkartoffeln mit Spiegelei. „Ich bin kein Marmeladentyp.“ Mit Sport hapert es bei ihr auch ein bisschen. Schwimmen ja, der Fitness-Club auch. Nur zu selten, die Jahreskarte lohne gar nicht. Mit dem Rad in die Redaktion – die fünf Kilometer wären zu schaffen, wegen der anderen Radfahrer aber lebensgefährlich. Yoga oder Feldenkrais eher nicht. Sich in sich selbst versenken – da gebe es bei ihr noch eine Menge Nachholbedarf. Sie arbeite gern und viel, selbst wenn sie es gar nicht müsste, ginge auch am Wochenende mal ins Büro. Gnadenlos bis zur Überperfektion bei sich und anderen.

Wie verrückt, sagt sie, was man sich selbst abverlangt, muss man ja nicht auch von anderen erwarten. Und wo sie gerade so schön bei der Selbstkritik ist, gibt es noch eine Zugabe: Ungeduldig sei sie. Ja, und auch Grundskepsis gehöre in dieses immer schwerer werdende Paket. Beim mittlerweile zweiten Cappuccino nach all dem Tee gesteht sie, ein echter Skorpion zu sein mit „sternbildeigenem Zweckpessimismus“.

Aber halt, da gibt es doch noch die gerade zusammen mit dem Allensbach-Institut veröffentlichte Studie „Wie tickt der deutsche Mann?“. Das Ergebnis: 64 Prozent reicht es mit der weiblichen Gleichberechtigung. 28 Prozent halten diese ganze Diskussion überhaupt für übertrieben, sechs Prozent fühlen sich benachteiligt. Mehr als die Hälfte der 947 befragten Männer halten die traditionellen Rollenbilder für überholt, sehen sich trotzdem als Alleinverdiener, als alleiniger Familienversorger, der sich für Hausarbeit nicht so recht eignet. Wird das jemals besser werden? Aber ja, sagt Sandra Immoor, sie glaube an ein glückliches Ende. So weit also zum Pessimismus. Zum Thema Sternbilder fällt ihr plötzlich etwas ein. In einem der nächsten Hefte gebe es Weihnachtsgeschenke nach Sternbildern sortiert. Was schenkt ein Löwe (ihr Freund) wohl einem Skorpion wie ihr? Und schon sind wir wieder bei „Bild der Frau“, dem Terrain, auf dem Sandra Immoor sich sicher fühlt und nicht allzu viel von sich preisgeben muss. Also gut, aber nur ein bisschen mehr.

Berichte über Wunderdiäten lehnt Sandra Immoor kategorisch ab

Sandra Immoor lehnt sich erleichtert und entspannt zurück. Was sie am meisten irritiere, sei, dass, wann immer nach einer deutschen Frauenzeitschrift gefragt wird, wie aus der Pistole geschossen „Brigitte“ kommt; dabei habe ihre Redaktion wöchentlich mehr Leserinnen als die „Brigitte“ alle 14 Tage. Nun gut, sie sei nicht so politisch wie „Emma“, nicht so glamourös wie „Gala“ aber hätte von all dem etwas. Eine gute Mischung, die fünf Millionen Leser pro Woche erreicht, davon mehr als 300.000 Männer – das sei doch was.

Und diese tolle Leserbindung. 2000 Kontakte im Monat. „Viel für eine Frauenzeitschrift.“ Anrufe, Mails, Briefe. Eine gute Frauenzeitschrift sei im besten Fall eine Freundin, mit der man sich aufs Sofa zurückzieht, sich inspirieren lässt, beraten. Die Seele einer Frauenzeitschrift seien die Qualität und das Temperament, sagt Sandra Immoor entschieden. Und da liege auch der Unterschied bei dieser Fülle an Magazinen.

Das Schwarzbrot sei bei allen ähnlich: guter Ratgeber, guter Service, Rezepte, Schminktipps, Diäten, Promiklatsch, Herz-Schmerz-Geschichten, die ganze Palette. Wunderdiäten lehnt sie kategorisch ab. 20 Kilo im Schlaf abnehmen oder 50 Kilo weg in einer Woche. Falsche Versprechen, bitte nicht mit ihr. Das klingt geradezu empört.

Ein guter Zeitpunkt, um zur Person Sandra Immoor zurückzukehren. Ihren Träumen oder verpassten Gelegenheiten. Ja, sagt sie nun doch bereitwillig, sie träume von einer Frauenzeitschrift am Sonntag. Im Pyjama auf der Couch liegen und lesen, Alltagsprobleme ausschalten! Perfekt! Einen Hund hätte sie auch gern. Zwei Stunden an der Hundewiese im Alsterpark den Vierbeinern zuzusehen sei für sie echte Entspannung. Die Kleinsten sind immer die Frechsten.

Was sie bedaure, sei, sich zwischen Abitur und Beruf nicht genügend Zeit gelassen zu haben. Ein bisschen mehr Ausland hätte es ruhig sein können. Und dann die Sache mit dem Kinderwunsch. Immer dasselbe, sagt sie ein bisschen wehmütig. Erst fehle der richtige Mann, dann kämen wichtige Stufen auf der Karriereleiter dazwischen. „Und wenn alles endlich stimmt, ist es zu spät.“ Aber so ein Sehnsuchtsgefühl bleibe. „So“, sagt sie erschöpft von all den emotionalen Geständnissen und lächelt, „bei mir kommt nichts Aufregendes mehr. Ich bin einfach nicht aufregend.“

Abends kommt eine Mail. Ihr Tag sei lang und anstrengend gewesen. Sie gehe jetzt baden. Ab in die Wanne! So ist es mit echten Wasserfreaks. Ihnen genügt zur totalen Entspannung selbst der kleinste Raum. Solange er voll Wasser ist!

Heike Gätjen porträtiert in ihrer Reihe „Gätjen trifft“ in unregelmäßigen Abständen für das Hamburger Abendblatt Medienmacher aus der Hansestadt