Bettina Stucky spielt am Sonntag in „Nach Europa“. In loser Folge stellen wir das neue Schauspielhaus-Ensemble vor

Hamburg. Bettina Stucky ist eine herzliche, lebhafte Frau, kein Mäuschen. Kaum hat man sich miteinander bekannt gemacht, sitzt man schon beim Kaffee mit ihr wie mit der Freundin. Da ist nichts Fremdes. Ihre Stimme klingt voll, sie ist ein haptischer, gewinnender Mensch. Ganz unvermittelt greift sie nach der Gesprächspartnerin, wie um Einverständnis herzustellen. Schnell lacht man gemeinsam. Wenn ihr das auf der Bühne ähnlich gelingt, kann sie die Zuschauer um den Finger wickeln.

Die Schweizerin, die mit Intendantin Karin Beier in dieser Saison neu ans Deutsche Schauspielhaus kam, stammt aus einem Archäologen-Haushalt. Ihr Vater hat in Mesopotamien gegraben, in Syrien, im Libanon. Als Kind war sie oft bei den Nomadenreisen durchs Morgenland dabei, verlangte dann aber meist ziemlich schnell „ein Eis“.

Die Mutter ist Kunsthistorikerin. Tochter Bettina wollte früh Altgriechisch lernen und kennt natürlich die griechischen Heldensagen und Tragödien sehr gut. Insofern wäre es nur folgerichtig gewesen, sie hätte in Karin Beiers, für die Eröffnung geplantem Antiken-Marathon „Die Rasenden“ mitgespielt. Tut sie aber nicht. Und weil „Die Rasenden“ wegen eines Bühnenunfalls auf den 18. Januar verschoben sind, spielt nun Stucky quasi in der ersten größeren Premiere des Schauspielhauses. Sie ist die Afrikanerin, die eine Odyssee über den afrikanischen Kontinent antritt. „Nach Europa“ heißt das von Friederike Heller inszenierte Stück für das die französisch-senegalesische Schriftstellerin Marie N’Diaye mit „Drei starke Frauen“ die Vorlage lieferte. Der Roman der heute in Berlin lebenden N’Diaye wurde mit dem Prix Goncourt ausgezeichnet, dem bedeutendsten französischen Literaturpreis. Das Fremde suchen, unterwegs sein, das passt auch zu Bettina Stucky.

„Wir erzählen den letzten Teil des Romans“, erzählt sie, „die Geschichte von Khady Demba, die von ihrer Schwiegermutter auf die Flucht geschickt wird. Es geht um ein Schicksal, eine Biografie, einen Menschen. Ich spiele eine Frau die befragt wird, versuche aber nicht, afrikanisch und dünn zu sein.“ Stucky lacht. Von „dünn und afrikanisch“ ist sie ziemlich weit entfernt. „Die Frau ist kein Opfer. Sie ist stoisch und hat eine unglaubliche Kraft. Sie weiß, wer sie ist und hat eine große Würde.“ Möglicherweise hat Stucky den Roman im Original gelesen, auf Französisch, das sie perfekt und akzentfrei spricht. Schweizerin eben. Zu Hause sprechen Stucky und ihr Mann mit den beiden Kindern Schwyzerdütsch.

Bettina Stucky hat sehr viel mit Christoph Marthaler gearbeitet, 13 Jahre lang. In der Fachzeitschrift „Theater heute“ ist sie mal als „schweizerische Urnudel im Marthaler-Team“ bezeichnet worden. „Bei ihm habe ich viel mit Musikalität, Rhythmusgefühl und Reduktion gearbeitet“, sagt sie, „man muss nicht immer ein Riesen-Fass aufmachen, wenn man auf der Bühne steht. Nichts machen kann auch sehr viel heißen. Vor allem habe ich gelernt, wie wertvoll es ist, wenn mir Vertrauen entgegen gebracht wird.“

Bettina Stucky hat nach der Schauspielschule gute Engagements bekommen. Sie hat mit Regisseuren wie Stefan Bachmann, Jossi Wieler, Barbara Frey, Stefan Pucher gearbeitet, in Wuppertal, Basel, Berlin. Aber die Schauspielerei war kein Jugendtraum, Kriegsberichterstatterin wollte sie mal werden, um in den Libanon zurückgehen zu können, in die orientalische Kindheit, ins Nomadentum. Die Eltern waren „eher wenig begeistert“. Sie ging dann zur Schauspielschule. „Ich hadere bis heute ein wenig mit meinem Beruf“, sagt sie und lacht. „Ich denke manchmal, ich könnte für die Allgemeinheit noch Sinnstiftenderes mit meinem Leben machen.“

Aber der Beruf hat auch viel Schönes: „Ich mag das Authentische daran, die Flüchtigkeit. Wenn eine Vorstellung vorbei ist, hat man nur noch die Erinnerung daran, und jeder Zuschauer erinnert sich an etwas anderes. Das gefällt mir. Auch, dass man immer wieder etwas Neues anfängt. Und die Arbeit mit einer Gruppe, die brauche ich auch.“ Zu den schönen Begleitumständen ihres Berufes gehört, „dass man bei Zuschauern durch das, was man spielt, etwas auslösen kann, ein Gefühl, einen Gedanken. Bei Musik geht es noch schneller.“ Stucky singt gern französische Chansons. Eine ihrer Heldinnen ist die französische Schauspielerin Jeanne Moreau, „weil sie Komik und Sinnlichkeit zusammenbringt“. Das könnte man auch über Bettina Stucky sagen.

Sie wirkt mutig, angstfrei, energiegeladen, vollweiblich. Aber „ich kenne große Ängste“, sagt sie, „erstaunlicherweise werden sie stärker mit dem Alter“. Mit Weichheit und Verletzlichkeit kann man den Lebensplänen der Bühnenfiguren besser nachspüren. Was sie fast am meisten liebt, ist das Reisen. „Man kann an vielen Orten auf der Welt leben und glücklich sein. Oder auch traurig. Das kennenzulernen fasziniert mich. Es gibt so viele verschiedene Lebenspläne. Was mich aber überall stört, ist Ausgrenzung.“ Insofern ist Bettina Stucky als Khady Demba, die nach Europa will, geradezu eine Idealbesetzung. Sie kennt sich aus mit fremden Kulturen. Und mit dem Theater.

„Nach Europa“, So 17.11., 20 Uhr, Malersaal

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