„Kunst geht nach Brot“, schrieb Lessing. Aber was, wenn Kultursponsoren wie jüngst Vattenfall bei den Lesetagen aussteigen? Eine Markt-Analyse.

Dass Künstler, die man für ihre Einzigartigkeit ehrt, viel unberechenbarer sein können als Bilanzen, erlebte Airbus im Juni 2009, als der Kunstpreis Finkenwerder an den damals noch in Hamburg lebenden Maler Daniel Richter ging. Der stand gerade auf Platz 16 der weltweit höchstgehandelten Künstler; die 20.000 Euro Preisgeld konnten ihm herzlich egal sein. In der Kunsthaus-Ausstellung, die Teil der Auszeichnung war, zog Richter die ganze Angelegenheit – und den Hauptsponsor des Preises – mit seinem Maler-Kumpel Jonathan Meese genüsslich durch den Kakao. Die Preis-Urkunde beispielsweise bekam einen „Ehrenplatz“, auf einem extra morschen Gestell. „Nun ja, die Kunst ist frei“, war einer von Richters Kommentaren, und im Gegensatz zur Präzisions-Technik bei Airbus sei sie „flatterhaft“. Und das Hochhalten von Moralflaggen sei „Pupsen in den Wind“.

Mäzene verschenken, Sponsoren kaufen, so einfach ist das. Kultursponsoring ist ein Geschäft auf Gegenseitigkeit, im Idealfall eines auf Augenhöhe. Nicht mehr, nicht weniger. Firma A gibt Kulturschaffendem B Geld, um etwas dafür zurückzuerhalten – Aufmerksamkeit, Imagetransfer (am besten in beide Richtungen), Freikarten für verdiente Mitarbeiter oder gute Geschäftsfreunde, was auch immer. Es gibt Public-Private-Partnership-Projekte, bei denen staatliches und privates Geld kombiniert werden, um gemeinsam noch mehr zu bringen. Eine hiesige Spezialität ist das bürgerschaftliche Pflichtbewusstsein privater Mäzene oder Stiftungen, eine weitere die Hamburgische Kulturstiftung, die Geld für Projekte sammelt und verteilt, aber auch mit anderen Stiftungen kooperiert. In anderen Städten findet man allerdings viel öfter große Unternehmen, die sich großzügig engagieren. Die Linde Group als Spielzeit-Partner der Bayerischen Staatsoper München wäre nur ein Beispiel, die Sponsoring-Rafinesse der Frankfurter Kunsthalle Schirn und des Festspielhauses Baden-Baden sind schon legendär. Auch der Sport mit seiner Massenattraktivität verkauft sich vielerorts besser an Interessenten.

Meistens gehen diese sensiblen Deals mit dem Kulturgut Kultur gut und reibungslos über die jeweilige Bühne, beide Seiten profitieren, am Ende auch das Publikum. Und die Kulturpolitik, die all das nicht mal ansatzweise aus Bordmitteln finanzieren könnte, freut sich ebenfalls. Nicht zuletzt, weil Förderung und Wertschätzung von Kultur – ob in der Spitze oder der Breite – für die Selbstfindung einer Gesellschaft zu wichtig ist, um sie dem Staat allein zu überlassen. Er darf aber auch nicht aus der Verantwortung entlassen werden.

Dass der Energiekonzern Vattenfall, der auch mit Atomstrom handelt, beim Engagement für die nach ihm benannten Lesetage nach 15 Jahren Laufzeit den Hauptstecker zog (vielleicht nicht ganz zufällig kurz nach der Niederlage beim Netze-Rückkauf-Volksentscheid), ist also eine Ausnahme? Ein beunruhigender Störfall im Kulturbetrieb? Zumindest zeigt er, dass Debatten über Spielregeln und Schmerzgrenzen immer wieder geführt werden müssen, damit klar bleibt, wer wie sehr das Sagen hat. 2011 hatte Vattenfall für die Lesetage-Förderung noch den Deutschen Kulturförderpreis erhalten.

Erbost „Nein!“ zu Atomstrom sagen, aber T-Shirts bei H&M kaufen? Thalia-Intendant Joachim Lux findet, dass sich „moralische Integrität tendenziell aufs Symbolische beschränkt“ und hat aus seiner Kölner Zeit ein Beispiel parat für das, was seiner Meinung nach geht: Bei einer Produktion des Musicals „Linie 1“ hatte man die Lokalzeitung „Express“ als Medienpartner, und deren Logo war, weil es als Product Placement problemfrei ins Stück passte, auf der Bühne zu sehen.

Schwierig bis heikel ist die Gratwanderung zwischen „guten“ und „schlechten“ Sponsoren. Hier wäre dann auch die klassische Gretchen-Frage zu stellen, ob die Kultur es sich leisten kann, Unterstützer in solche Kategorien zu sortieren, und warum Vattenfall von manchen geächtet wurde, das Geld von vergleichbaren Konzernen aber genommen wird. Geht der Betrag voll und ganz in Ordnung, mit dem der Logistik-Milliardär und HSV-Investor Klaus-Michael Kühne das Harbourfront-Literaturfestival über Wasser und am Laufen hält? Kühne hat seinen Wohnsitz seit Langem in der Schweiz. Sind Kühnes Überweisungen moralisch einwandfreier als Vattenfalls oder Zahlungen von, sagen wir: Ikea, falls der Möbelkonzern demnächst beginnt, Gegner seines Neubaus neben dem Bahnhof Altona durch die Förderung von Migrantenkultur in Ottensen zu besänftigen? Keine einfachen Fragen.

Der Hamburger Unternehmer Alexander Otto hat vor Kurzem über eine Stiftung 15 Millionen Euro für die Modernisierung der Kunsthalle gespendet und die Stadt in Zugzwang gebracht, weitere vier Millionen Euro in die Erneuerung der maroden Depots im Altbau zu investieren. Eine mehr als noble Geste, diese achtstellige Gönner-Gabe, wenige hundert Meter Luftlinie von der Europa-Passage entfernt, die der Einkaufscenter-Konzern ECE – Geschäftsführungsvorsitzender: Alexander Otto – vor sieben Jahren in die traditionelle Gebäudestruktur fräste. Keine ganz ungetrübte Freude, so gesehen?

Schwierig wird es auch, wenn allzu große Abhängigkeiten von einzelnen Sponsoren oder Gönnern entstehen. Bricht der Alleinversorger von jetzt auf gleich weg, dann fällt viel schneller der letzte Vorhang als bei einer Unterstützermischung. Dem Hamburger Musikfest von Ingo Metzmacher erging es 2003 so, als die „Zeit“-Stiftung das Wohlwollen entzog. Die Salzburger Festspiele gerieten ins Trudeln, als sich der New Yorker Mäzen Alberto Vilar als Investment-Blase entpuppte und 2010 zu neun Jahren Haft verurteilt wurde.

Fragt man bei der Hamburger Handelskammer nach Zahlen, Großgönnern oder Trends, gibt es nicht viel Konkretes zum Thema Kultursponsoring. „Wir beraten Unternehmen“, sagt Geschäftsführer Jörn Schüßler, „wir sagen immer wieder, dass Kultursponsoring eine gute Sache ist.“ „Anbahnen und aufklären“, so versteht Schüßler seine Arbeit. Wie erfolgreich sie ist, darüber liegen ihm keine konkreten Informationen vor. Aber, immerhin, es gibt eine „Kulturindex“-Umfrage aus 2012: 71,3 Prozent der 384 Unternehmen, die teilnahmen, wollen sich mit ihren Kulturfördermaßnahmen für die Gesellschaft engagieren, 56 Prozent den Standort Hamburg stärken; 53,8 Prozent sind auf Imagegewinn aus. Wie sehr diese Antworten auch den Wunsch nach großherzig wirkender Selbstdarstellung dokumentieren, kann man nur ahnen.

In der Kulturbehörde ist man einige Schritte weiter als in der Handelskammer: Laut einer internen Liste summierten sich 2012 die Spenden, Schenkungen und Sponsoring-Zahlen für viele der Subventionsempfänger – ohne Museumsstiftungen und einige Privattheater – auf 2,85 Millionen Euro.

In den vergangenen Jahren hat es in Hamburg immer wieder Reibereien und öffentlich ausgetragene Kräche zwischen Geldgebern aus der Wirtschaft oder Stiftungen und Geldnehmern aus der Kultur gegeben. 1988, ein besonders dramatischer Fall, hatte der damalige Thalia-Intendant Jürgen Flimm 75.000 Mark des Flugzeug- und Rüstungskonzerns MBB abgelehnt, der dafür im Programmheft und auf den Plakaten für eine militarismuskritische „Nibelungen“-Inszenierung genannt werden wollte. Als Bonus im Erfolgsfall winkten sogar weitere 200.000 Mark des Jäger 90-Herstellers für die folgende Spielzeit. Der damalige Geschäftsführer des Thalia-Fördervereins schäumte nach Flimms Absage: „Es geht nicht an, dass das Theater aus politisch-ideologischen Gründen die positive Standortpolitik der Wirtschaft für die Stadt unterläuft.“ Auch FDP-Kultursenator Ingo von Münch fand den Korb für MBB „unverständlich“. Flimm blieb dennoch hart und sagte dem „Spiegel“ „Sauberes Geld gibt es sowieso nicht“, bevor er kategorisch wurde: „Natürlich ist es gefährlich, wenn Theater oder Kulturinstitutionen, sobald ein Sponsor ankommt, immer gleich die Röcke heben und sagen: Ja, nimm mich, mein Süßer!“ Von Peter Zadek, dem anderen Hamburger Theater-Genie jener Jahre, ist überliefert: „Mir ist es völlig egal, ob wir Schauspielhaus oder Grundig-Bühne heißen.“ Am Ende der Provinzposse leistete sich „Spiegel“-Chef Augstein den Spaß, die 75.000 Mark aus eigener Tasche ans Thalia zu überweisen, „natürlich ohne Bedingungen“.

Für mal mehr, mal weniger verunglückte Marken-Präsentationen finden sich in jüngerer Zeit immer wieder Beispiele. So stellte Audi 2011 bei einem Konzert des Schleswig-Holstein Musik Festivals mit türkischem Pop eine Limousine auf die Spielbudenplatz-Bühne (jene Bühne, für deren Errichtung Vattenfall fünf Jahre zuvor 2,6 Millionen Euro gegeben hatte). Laeiszhallen-Hauptpartner BMW parkte im Mai einen Wagen unübersehbar in den Aufgang einer Ausstellung über Strawinskys „Sacre“ im Elbphilharmonie-Kaispeicher. Das Museum für Kunst und Gewerbe würdigte 2011 in der „Stylectrical“-Schau die Design-Kunst von Apple – Markenartikel eines Weltkonzerns, der in China unter fragwürdigen Bedingungen produzieren lässt.

Für viele Sponsoren sind die Zeiten vorbei, in denen sie sich mit Kleingedrucktem am unteren Plakatrand begnügen mochten. Je größer ihr Engagement, desto berechtigter könnte diese Einstellung sein. Aber eben nur, wenn nicht versucht wird, auf künstlerische Prozesse und Inhalte Einfluss zu nehmen. Dass das wirklich absolut nie passiert, mag man angesichts der Masse möglicher Sponsorentätigkeiten kaum glauben; dass es für klamme Institutionen immer schwieriger wird, solchen Anfragen und „Wünschen“ zu widerstehen, glaubt man gern. Wie schwer es Kulturveranstalter haben, überzogene Wunschlisten ihrer Finanziers wieder vom Tisch zu diskutieren, bleibt ein gut gehütetes Branchengeheimnis. Nach außen hin ist alles zwar immer anstrengend, doch am Ende harmonisch. Wes Brot ich ess, des Lied ich sing? In einer Grundsatzerklärung, die 17 Direktoren großer deutscher Kunstmuseen 2007 aufsetzten, heißt es dazu salomonisch vage: „Ziel jeder Zusammenarbeit mit Sponsoren, Förderern und Freundeskreisen ist die bessere und attraktivere Erfüllung der ureigenen Museumsaufgaben. In jedem Fall ist die Priorität der museumsspezifischen Belange von den Partnern zu respektieren.“

Kunst kann und muss kosten dürfen, käuflich sein darf sie deswegen nicht. Dann wäre sie nur noch Werbung, Verpackung, Oberfläche. Sobald es in dieser Hinsicht doch mal unangenehm wird vor den Kulissen, liegen Nerven schnell blank, aber eher selten bei den Künstlern: Der Schriftsteller Ingo Schulze hatte sich 2007 bei der Entgegennahme des Thüringer Literaturpreises beschwert und würzte seine Danksagung mit der Aussage: „Mich stört, dass ich über den Finanzier E.on nachdenken muss, wenn ich diesen Preis annehmen will.“ Als Belohnung für seine Widerworte wurde der Literat danach vom erbosten Kultus-Staatssekretär mit Oberlehrer-Gesten zur Rede gestellt, als wäre er ein ungezogener Junge. Der E.on-Vertreter soll Schulzes Rüge gelassen entgegengenommen haben.

Die Vattenfall Lesetage, der jüngste und bestimmt nicht letzte Kultursponsoring-Problemfall, sind nun Vergangenheit. Wird die Kultur es deswegen zukünftig schwerer haben bei der Suche nach Gönnern aus der Wirtschaft? Dazu klingt die Meinung aus der Kulturbehörde pflichtgemäß optimistisch: „Für die Stadt sind starke Partner wichtig und in Hamburg ist das Mäzenatentum traditionell besonders ausgeprägt, das wird sicher auch in Zukunft so bleiben.“