Der Dokumentarfilm führt mit dem Bus über die Elbinsel – durch einen der interessantesten Hamburger Stadtteile

Hamburg. Wer es stilecht mag, der sollte sich für die Ausstrahlungstermine von „Die Wilde 13“ beim NDR eine Flasche Deichbruch anschaffen. Denn dann hat er oder sie den gleichen kräuterig-süßen Geschmack auf der Zunge wie die Besucher des Hamburger Filmfestes, denen der Insellikör (im Volksmund auch „Kommodenlack“ genannt) bei der Premiere vergangene Woche kredenzt wurde. Doch auch ohne das Wilhelmsburger Lokalgetränk erhält der Betrachter dieser Doku einen sehr lebensechten und auch äußerst charmanten Eindruck vom Leben auf der Elbinsel.

Benannt ist der Film der Regisseure Kerstin Schaefer und Paul Spengemann nach dem Metrobus 13, der von Nord nach Süd und zurück durch den Stadtteil südlich der Elbe fährt. „Wir haben von Sommer bis Winter 2012 gedreht“, erzählt Spengemann. „Da liefen die Bauausstellung und die Gartenschau noch nicht. Aber da war diese Unsicherheit in der Bevölkerung. Diese Vorabendstimmung wollten wir einfangen.“ Und so lernt der Zuschauer fünf Protagonisten kennen, die allesamt ganz unterschiedliche Existenzen, Ängste und Hoffnungen haben. Die aber alle durch „Die Wilde 13“ verbunden sind. Und durch ihre Liebe zu Wilhelmsburg mit seinen rund 50.000 Einwohnern und mehr als 100 Nationalitäten. Da ist zum Beispiel der junge Baris Kilic, der sich den Namen seines Vaters auf den Arm tätowieren lassen will und mit ihm regelmäßig vor der Tür der viel zu kleinen Moschee betet. Da ist die Fotografin Julie Nagel, die bei den Hochhäusern und in den Kleingärten des Quartiers auf Motivsuche geht und deren Freund sich fragt: „Sind wir schon Gentrifizierer oder noch Vor-Gentrifizierer?“ Da ist Joseph „Kofi“ Bowers Ohene-Mantey, der den Bus Nummer 13 lenkt, dort auch seine Frau kennengelernt hat und in seinen Pausen Turnübungen zwischen den Sitzen macht. Da ist der Kulturaktivist Matthias Lintl, der aktuell um den Veranstaltungsort Soulkitchen-Halle kämpft, aber auch von Reisen in warme Länder träumt. Und da ist Peter Falke, Jahrgang 1944, der nicht nur Alsterschiff-Fahrten nach Wilhelmsburg anbietet, sondern auch den Deichbruch vertreibt.

„Alle, die Gutes im Schilde führen, sind in Wilhelmsburg herzlich willkommen“, sagt Falke mit viel Fürsorge in der Stimme. Die Kamera folgt ihm nach Hause, wo der Witwer ganz ruhig am Küchentisch sitzt und laut darüber nachdenkt, mehr „schöne Dinge für die Seele zu machen“. Der Blick schwenkt über Details. Der Kaffeepott, eine Schrankwand mit Fotos, ein Lebkuchenherz. Es sind intime Momente wie diese, die wohl gesetzte Kontrapunkte bilden zu den Impressionen aus dem meist übervollen Bus.

Der Dokumentation ist anzumerken, wie viel Vertrauen die Protagonisten dem Filmteam entgegenbringen. Regisseurin Schaefer sowie ihr Partner und Produzent Marco Antonio Reyes Loredo leben seit mehr als sechs Jahren in Wilhelmsburg. Nach einer Empfehlung des Musikers Bernd Begemann luden sie sich für ihre TV-Sendung „Konspirative KüchenKonzerte“ regelmäßig Musiker, Künstler und Publikum in die Wohnung für Live- und Kochsessions. Bereits zwei Mal wurde das Format für den Grimme-Preis nominiert. Mit ihrer Produktionsfirma Hirn & Wanst und weiteren Kreativen sitzen sie in den Zinnwerken am Veringkanal, wo sie sich jüngst gegen die Ansiedelung des Opernfundus zu wehren wussten.

„Die Wilde 13“, die aus Schaefers Magisterarbeit in Kulturanthropologie hervorgegangen ist, ist der erste Dokumentarfilm des jungen Kollektivs. Erneut kam also Begemanns Punk-Prinzip zur Anwendung. Und das höchst erfolgreich. Die Filmförderung Hamburg Schleswig-Holstein hat das Projekt unterstützt. Das Thalia Theater will 2014 eine Bühnenfassung präsentieren. Auf die Umsetzung darf man gespannt sein. Denn im Film ist eine der Hauptprotagonisten natürlich auch der Bus selbst.

Das Gefährt wird in nahezu surrealer Anmutung in seinen Einzelteilen gezeigt. Die Scheibenwischer auf der Frontscheibe geben den Rhythmus vor. Das Rad rotiert, bis seine Konturen verwischen. In den Seitenfenstern spiegeln sich die Fassaden der Wilhelmsburger Häuser. Bilder, die kurze Zeit zum Nachdenken und -fühlen lassen in dieser sehr menschlichen Collage. Die das Fahrzeug aber zudem zur Metapher werden lassen für die stete Bewegung, den Wandel des Stadtteils. Matthias Lintl fasst das besondere Bus-Gefühl so zusammen: „Der Bus ist ein schönes Spiegelbild für die Veränderung. Irgendwann fährt jeder mal mit der 13. Ob Banker oder Asylbewerber.“ Und die Doku wiederum ist ein erfrischend direkter Vielklang von Stimmen und Bildern, die Wilhelmsburg zeigen anstatt es – wie in so mancher Stadtentwicklungsstudie – zu erklären versuchen.

„Die Wilde 13“ So 13. Oktober (11.30 Uhr) und Do 17. Oktober (24 Uhr), NDR