Hat der iranische Regisseur Mohammad Rasoulof die Wahl, seinen neuen Film „Manuscripts Don’t Burn“ beim Filmfest Hamburg zu zeigen?

Hamburg. Am 1. Oktober will der iranische Filmemacher Mohammad Rasoulof auf dem Filmfest Hamburg sein neues Werk „Manuscripts Don’t Burn“ präsentieren. Ob es dazu kommt, ist ungewiss. Rasoulof, der seit zwei Jahren halb in Hamburg lebt und halb in Iran, reiste am vergangenen Donnerstag in den Iran zurück, wo er bis zum 26. September bleiben wollte.

Am Flughafen in Teheran nahmen ihm die Behörden seinen Reisepass ab und bestellten ihn auf den 29. September ein. Noch immer schwebt über Rasoulof das Urteil einer Haftstrafe von sechs Jahren, von denen er im Frühjahr 2010 einige Monate absaß. Gemeinsam mit dem Regisseurskollegen Jafar Panahi war er im Mai 2010 gegen Zahlung einer Kaution freigekommen. „Ich verstehe nicht, weshalb wir verhaftet wurden“, sagte Rasoulof vor zwei Jahren im Abendblatt. Die Reststrafe hängt über seinem Kopf wie ein Damoklesschwert. Es steht zu befürchten, dass die Premiere seines neuen Films in Hamburg ohne ihn stattfinden muss.

Eine Horrorfahrt, unauslöschlich eingebrannt ins Gedächtnis der 22 daran Beteiligten. Mit seinem neuen Werk „Manuscripts Don’t Burn“ entreißt Mohammad Rasoulof ein Ereignis der Gefahr des Vergessens, dessen Auftraggeber jahrelang leugneten, dass es überhaupt stattgefunden hat. Aber es gibt ein Datum dafür, einen Ort und 21 Zeugen. Es ist der 6. August 1996, ein Dienstag, 5 Uhr früh, am Pass von Heiran zwischen Iran und Armenien. 21 iranische Schriftsteller sitzen in einem Reisebus auf dem Weg nach Eriwan. Die armenische Regierung hat sie zu einem Kongress eingeladen. Und es gibt den Busfahrer. Im Morgengrauen steuert er den Bus gezielt auf eine Schlucht zu. Kurz vor dem Abgrund öffnet er die Tür und will sich aus dem Fahrzeug werfen.

Einer der Passagiere vereitelt die Tat in letzter Sekunde. Der Fahrer beteuert, er müsse eingenickt sein, und lenkt den Bus zurück auf die Straße. Doch er fährt ein zweites Mal auf die Schlucht zu und springt aus dem Bus. Einer der Schriftsteller reißt geistesgegenwärtig die Handbremse hoch, der Bus verkeilt sich, die Vorderräder ragen schon über den Abhang, das Fahrzeug hängt in der Luft. Absolut rein zufällig um fünf Uhr früh die Passstraße entlangfahrende Uniformierte nehmen die verstörten Schriftsteller zu stundenlangen Verhören mit. Der Fahrer sei ein Schmuggler, er habe sich absetzen wollen, erzählen sie manchen. Andere müssen sich anhören, sie selbst hätten den Unfall fingiert, um den iranischen Geheimdienst in Misskredit zu bringen.

Selbst Menschen, die Geheimdiensten jede Schlechtigkeit der Welt zutrauen, bereitet die Vorstellung Mühe, ein Staat im späten 20. Jahrhundert habe sich auf derart niederträchtige Weise in einem Aufwasch gleich von knapp zwei Dutzend seiner kritischen Geister trennen wollen. Rasoulof, der wiederholt beim Filmfest Hamburg zu Gast war und zuletzt vor zwei Jahren hier zur Eröffnung seinen Film „Bé omid e didar“ („Auf Wiedersehen“) präsentiert hat, verzichtet in „Manuscripts Don’t Burn“ auf eine filmische Rekonstruktion des Geschehens, obgleich die schändliche Aktion bestimmt gute Action hergäbe. Lieber lässt er drei Männer bruchstückhaft den Hergang erzählen beziehungsweise vorlesen. Der eine gehörte zu denen, die dabei in die Schlucht stürzen sollten. Der andere steuerte den Bus. Der dritte hatte es so arrangiert.

Rasoulofs unter schwierigsten Umständen und Drehbedingungen entstandener Film, der Dokumentarisches dieser Geschichte mit anderen wahren Begebenheiten und Personen vermischt, zeigt, wie fundamental Zensur und Unterdrückung die Würde des Menschen gerade dann zersetzen, wenn die Gewalt eher auf leisen Sohlen naht statt mit den Mitteln blanken Terrors. Es ist die ungeheuer wirksame Beiläufigkeit oder auch die ungeheuer beiläufige Wirksamkeit der Machtausübung, die einem beim Anschauen dieses Films wiederholt die Kehle zuschnürt.

Drei Schriftsteller, drei Mitarbeiter des Geheimdienstes, die Macht des Wortes gegen die Macht über Leben und Tod: das ist die Konstellation. „Es war ungewohnt für mich, für so viele Figuren zu schreiben“, sagt Rasoulof, der mit Frau und Tochter eine Wohnung in Hamburg hat, „schön zentral“, wie er ausreichend präzis und notgedrungen ungenau die Frage nach der Adresse beantwortet. Im Abspann des Films steht allein sein Name. Dann folgt der Satz: „Wegen der Zensur in Iran und um ihre Sicherheit zu gewährleisten, haben Crew und Schauspieler darauf verzichtet, namentlich aufgeführt zu werden.“

Im Film lässt der Geheimdienst zwei der Autoren liquidieren, der dritte stürzt sich aus dem Fenster seiner Wohnung im 11. Stock. Diese Figur ist dem Intellektuellen Siamak Pourzand nachgebildet, den die Repressalien des Geheimdienstes 2011 mit knapp 80 Jahren in den Selbstmord trieben.

Die Emotionslosigkeit, auch die technologische Primitivität, mit der die Geheimdienstleute vorgehen, lässt an die iranische Variante des von Hannah Arendt geprägten Begriffs von der Banalität des Bösen denken. In einem staubigen Kleinwagen unterwegs zu ihren Menschenvernichtungsaufträgen, teilen die Schergen brüderlich Fast Food auf der Motorhaube und ihren Tee. Sie sind weder nervös noch aggressiv noch haben sie Freude am Quälen. Sie tun nur ihre – Arbeit. Morteza kennt keine Skrupel mehr, Khosrow dagegen wird von bösen Träumen heimgesucht. Unter der Dusche klammert sich sein sterbenskranker kleiner Sohn Amir-Ali an ihn, der sich waschen will und auf einmal überall zu bluten beginnt. Irgendwo ist da noch ein Gewissen.

Der Film entstand auch in Hamburg: „Eine Wohnung wurde im Studio nachgebaut, das Treppenhaus stammt aus einem Bürogebäude hier, nur die Haustür steht in Teheran.“ Reden über Iran wollte Rasoulof in Hamburg nicht. „Ich bin optimistisch“, sagte er. Wenige Tage später flog er nach Teheran.