„Räuberhände“ nach Finn-Ole Heinrichs Roman überzeugt im Thalia Gaußstraße. Was man hier zu sehen bekommt, ist Theater für junge Zuschauer, lebensecht, gefühlsstark und authentisch. Ein guter Start in die Saison.

Hamburg. Zwei Jungs, die Freunde sind und erwachsen werden, die suchen, wer sie sind und was sie wollen, das ist das Thema von Finn-Ole Heinrichs Roman „Räuberhände“, den die Regisseurin Anne Lenk nun auf die Bühne des Thalia in der Gaußstraße gebracht hat.

„Räuberhände“ ist ein klassischer Entwicklungsroman oder, wie es manchmal weniger schön heißt, eine Coming-of-Age-Geschichte, was bedeuten soll, dass es da ums Erwachsenwerden geht, ums Rebellieren, Ausprobieren, Träumen und Verantwortungslos-Sein. Finn-Ole Heinrich war noch keine 25 Jahre alt, als er 2007 seinen Roman veröffentlichte. Er trifft so genau Stimmung und Lebensgefühl seiner nur wenig jüngeren Altersgenossen, dass das Buch inzwischen zur Pflichtlektüre für Abiturienten zählt.

Und auf die Bühne des Theaters passt er auch ganz prima. Denn die Geschichte der beiden Freunde wird in Vor- und Rückblenden erzählt, man weiß, was war, was ist und was alles passieren könnte. Die beiden Hauptcharaktere bringen alles mit, was man braucht, um gut zu unterhalten, Fragen zu stellen, Lösungen zu suchen und die inneren und äußeren Kämpfe ihrer Entwicklung wahrhaftig werden zu lassen. Die anderthalbstündige Inszenierung wurde am Premierenabend lange bejubelt.

Sven Schelker (Janik) und Patrick Bartsch (Samuel) spielen die beiden sehr nah am Leben mit „Alter“-Sprüchen, Tanzeinlagen und viel Nachdenklichkeit über ihre großen Sehnsüchte und kleinen Lügen. Ein kleiner Wohnwagen, auf dem „Stambul“ in Leuchtschrift steht, ist in Deutschland ihre Zuflucht. Und wenn sie nach Istanbul reisen, wo Samuel seinen ihm unbekannten Vater sucht, ist er ihr Zuhause, ihr Alles.

Janik, das Lehrerkind, hat Wut auf seine politisch-korrekten, „scheiß“-liberalen Eltern, „die haben alle Kontinente gesehen, gehen ins Theater, die erleben immer nur das Gute“. In Monologen betrachtet er Gegenwart und Vergangenheit. Samuel, dessen Mutter Alkoholikerin geworden ist, sucht sein Glück eher im Wechsel zwischen Bewegung und Ordnungsliebe. Er tanzt, ist energiegeladen, will raus ins Leben und nicht immer über alles nachdenken. Samuel darf sogar bei Janik wohnen. Dessen Eltern haben ihm Bett und Schreibtisch bei sich zu Hause aufgestellt. Samuel ist kein schwieriger Gast, er ist ordentlich, sauber, strebsam. Janik dagegen ist ganz Bürgerkind und zelebriert das Chaos. Und er reflektiert die Beziehung zu seinem Freund. Als Samuel in die Türkei fahren will, kommt er selbstverständlich mit.

Beide Schauspieler – ergänzt von Sandra Flubacher als launisch-taumelnder Mutter – wirken so, als machte ihnen diese Ehrlichkeit, mit der hier Erwachsenwerden gespielt wird, Spaß. In Istanbul angekommen sind die Jungs zwar erst mal euphorisch, aber dann läuft natürlich nichts so, wie sie es sich vorgestellt haben. Nicht einmal die Freundschaft. Denn Janik mag Samuels Mutter mehr als er sollte, und irgendwann sagt Samuel ihm auch, dass er das weiß.

Anne Lenk hat für den Aufbruch der beiden Jugendlichen schöne Bilder gefunden. Wenn es nach Istanbul geht, steigen beide aufs Dach des Wohnwagens und breiten die Arme aus. Wenn sie in den Wohnwagen klettern, filmt eine Kamera das Innere, sieht ihre Bedrängnis, ihre flüchtigen Sehnsüchte, ihre Nähe.

Und eines Tages dann, da wünscht sich Janik „ich möchte zu Hause in meinem Bett liegen, ich möchte einen Job, eine Eigentumswohnung, eine Katze“ und vieles mehr. Ganz automatisch sehnt er sich nach dem Leben, das seine Eltern führen, einem Leben, das Sicherheiten und Gewissheiten zu bieten scheint. Aber Samuel, der will sich weiter auf die Suche machen, nach seinen Wünschen und vielleicht auch nach seinem Vater.

Wie die beiden das spielen, Samuel drängend und Janik stehend, nachdenkend, da weiß man schon, die Sache ist entschieden. Niemand kann seiner Rolle, seiner Herkunft entkommen. Was man hier zu sehen bekommt, ist Theater für junge Zuschauer, lebensecht, gefühlsstark und authentisch. Ein guter Start in die Saison.