In ihrer zehnten Ausgabe versammeln die Macherinnen von „Spring“ eine spannende Auswahl von Zeichnung bis Comic. Aktuell sind renommierte Gastzeichnerinnen wie Anke Feuchtenberger dabei.

Hamburg. „Die spannenden Tragödien sind nicht die offensichtlichen“, sagt Stephanie Wunderlich. In ihrem Rücken arbeiten ein, zwei Mitglieder ihrer Ateliergemeinschaft an der Eimsbütteler Chaussee dem Feierabend entgegen. Auf dem Schreibtisch der 46-Jährigen liegen Papiere und Pappen in sehr bunten Farben verteilt. Scherenschnitte sind Wunderlichs Ausdrucksform. Und die Kunst, sie ist immer Ansichtssache.

„Was als tragisch empfunden wird, ob das Glas also halb leer scheint“, sagt sie, „das entsteht im Auge des Betrachters.“ Genauer gesagt: der Betrachterin. Zumindest im Falle des „Spring“-Magazins, das Freitag in der Altonaer Viktoriakaserne seine zehnte Ausgabe mit dem Titel „ABC of Tragedy“ feiert. Ein Lexikon der Tragödien also. Und das als Jubiläumsausgabe eines ausschließlich von Frauen gefertigten Printproduktes. Das ist so wunderbar wie antizyklisch. Jegliche Mode- und Klatsch-Zeitschrift scheint von „Spring“ so weit entfernt wie Barbie von Simone de Beauvoir.

Da sie die Comic-Szene als zu männerdominiert empfanden, gründete eine Gruppe von Hamburger Künstlerinnen 2004 die Gruppe Spring. Jedes Jahr fügen sie zu einem Thema eine sehr vielfältige Sammlung von Zeichnungen, Illustrationen und kurzen grafischen Erzählungen in einem Band zusammen. Aktuell sind renommierte Gastzeichnerinnen wie Anke Feuchtenberger dabei.

Dass sie eine reine Frauencrew sind, sehen die aktuell 15 „Spring“-Macherinnen nicht als Kampfansage. „Die Arbeitsweise hat sich etabliert, aber wir sind keine Hardcore-Emanzen“, sagt Larissa Bertonasco pragmatisch. Ihre „Spring“-Kollegin Carolin Löbbert ergänzt: „Mittlerweile sind wir auch ein Vorbild für junge Zeichnerinnen.“ Und Maria Luisa Witte, von Anfang an im Team dabei, wirft ein: „Wir haben keinen Mangel an gutem weiblichen Nachwuchs.“ Außerdem gebe es „keinen Zickenkrieg“, betont Wunderlich.

Wer die Frauen erlebt, wie sie da am Konferenztisch in Wunderlichs Atelier sitzen und sprechen und sich die Bälle zuwerfen, der kann sich gut und gerne ausmalen, welche Energie durch den Raum schießt, wenn sich erst die komplette „Spring“-Gruppe trifft. Offen und herzlich ist die Atmosphäre. Zudem konstruktiv und spielerisch, wenn es um die Inhalte geht. Für ihr „ABC of Tragedy“ haben die Künstlerinnen zunächst im Stile von „Stadt, Land, Fluss“ spontan Bilder von Tragödien zu dem jeweils angesagten Buchstaben gezeichnet. Als Finger- und Gedankenübung. Die konkreten Illustrationen für das aktuelle Magazin entstanden dann in Einzel-, Heim- und Atelierarbeit.

Maria Luisa Witte zum Beispiel hat mit Situationen gearbeitet, die sie gehört oder selbst erlebt hat. Und die mit feinem Strich einen morbiden Witz entfalten. Zu G wie Geburtstag fragt etwa ein Mädchen seinen Vater ganz unschuldig, wie alt er geworden sei. Auf die Antwort „58“ folgt die lakonische Feststellung: „Dann bist du bald tot, nicht?“ Larissa Bertonasco wiederum hat stark mit Gegensätzen gearbeitet. Zu L wie Leben grüßt da ein Sensenmann.

„Derart plakative Bilder sind ungewöhnlich für mich“, sagt Bertonasco. Eine Aussage, an der sich der kreative Reiz von „Spring“ zeigt. Viele der Mitwirkenden leben von kommerziellen Illustrationsaufträgen, bei denen der Kunde König ist. Das Magazin hingegen ist eine Spielwiese, mitunter auch Ausbruch aus einer eingeschliffenen Bildsprache. „Mir hat zum Beispiel das Heft zum Thema Verbrechen Spaß gemacht. Ich durfte mir krude Typen ausdenken und düster sein“, erzählt Stephanie Wunderlich. Keiner, der sagte: „Machen Sie es bitte schön bunt und lustig.“

Stammte die Gruppe ursprünglich aus dem Umfeld der Hamburger Hochschule für Angewandte Wissenschaften, hat sie sich nun auf Berlin, Köln und Süddeutschland ausgedehnt. Von Mitte 20 bis „open end“ reicht die Altersstruktur. Reisen wie etwa in das Künstlerhaus Lauenburg schweißen die Gemeinschaft zusammen und bieten die Chance, die Arbeiten untereinander zu diskutieren. „Sich gegenseitig kuratieren, kommentieren, vorantreiben“, fasst Löbbert die Umgangsformel zusammen. Und die ist erfolgreich.

„Momentan ist total viel los“, sagt Bertonasco. Unter anderem ist „Spring“ im Herbst vom Goethe-Institut nach Paris eingeladen worden. Doch zunächst steht die Jubiläumspräsentation beim Frappant-Verein in der Viktoriakaserne an. Neben der Ausstellung mit Originalen sowie Skizzen wird es Musik und eine Tombola geben. Natürlich ist vor Ort auch der aktuelle Band erhältlich, dessen Druck diesmal auf den drei Farben Pink, Ocker und Schwarz basiert. Später wird das Magazin zudem in ausgesuchten Geschäften wie der Buchhandlung Cohen & Dobernigg oder dem Comicladen Strips & Stories zu erstehen sein. Der Preis von 16 Euro deckt dabei lediglich einen Teil der Produktionskosten. Weitere Mittel generieren die Macherinnen über die Idee, eigens gezeichnete Anzeigen für „treue Fans“ wie die Galerie Feinkunst Krüger abzudrucken. Dass das nicht viel Geld bringt, ließe sich durchaus als tragisch bezeichnen. Doch auch das liegt im Auge des Betrachters. Und der Betrachterin.

10 Jahre Spring Magazin! Fr. 16.8., 20.00 (Vernissage), Sa. 17.8. + So. 18.8., 14.00–20.00 (Ausstellung), Viktoriakaserne (Bus 20, 25), Zeiseweg 7, Eintritt frei; www.springmagazin.de