Kettcar und weitere Hamburger Bands gaben zwischen Sylt und Rømø Fährkonzerte. Während für den Headliner am Abend Extratickets verkauft wurden, läuft der Fahrgastverkehr regulär weiter.

Hamburg. Der Mittvierziger mit dem locker zurückgekämmten, blondierten Haar legt sein Kinn in die gebräunte Hand, an dessen Gelenk ein Goldkettchen baumelt. In seinem Gesicht ist schwer auszumachen, ob er bewegt ist oder gelangweilt von dem, was er da hört. Aber seine Lederslipper wippen im Takt zu den leichtfüßigen Songs, die der Hamburger Spaceman Spiff auf seiner Akustikgitarre spielt. Während der von „zwei Koffern voller Fernweh“ singt, zieht die Nordsee vorbei.

„Wir machen ja gerne so'n Quatsch“, sagt Rainer Ott, Bandmanager der Hamburger Plattenfirma Grand Hotel van Cleef, dem lässig ein Walkie-Talkie über der rechten Schulter hängt. Mit Quatsch meint er Konzerte jenseits der Clubs. Auf Dächern im Morgengrauen zum Beispiel. Oder eben auf der Fähre zwischen Sylt und Rømø. Ein Wandern und Wogen zwischen den Welten. Zwischen deutschem Promi-Eiland und dänischem Familienidyll.

Während für den Headliner Kettcar am Abend Extratickets verkauft wurden, läuft der Fahrgastverkehr regulär weiter, als mittags die ersten drei Bands spielen. Und während die Syltfähre an diesem diesigen Sommertag ein ums andere Mal unmerklich die Ländergrenze überquert, sind an Bord feine Trennlinien zu beobachten. Sommerfrische trifft auf Popkultur, Freizeit auf Kunst. Die Urlauber sitzen am Tisch, die Fans auf dem Boden. Erstere tragen Westen, bunt und pragmatisch. Letztere T-Shirts, dunkel und verwaschen.

„Ja, ja, man sieht die Unterschiede sofort“, sagt Tim Kunstmann, lacht kurz auf und fährt sich durchs vom Wind verwehte Haar. „Aber wir wollen auch mal neue Leute erreichen.“ Das südlichste Ticket, das sie verschickt haben, ging nach München, erzählt der Vertriebsleiter der Reederei stolz. Gemeinsam mit Ott hat er sich die „Cruise Van Cleef“ zum 50. Jubiläum der Syltfähre ausgedacht. Beide kennen sich aus ihrer alten Heimat, dem Wendland. Manchmal reicht eben ein persönlicher Kontakt, um Welten zu verbinden.

„Wir sind gerade gefragt worden, ob wir die Band Echt sind“, sagt Patrick Richardt, der für den Törn extra vom Niederrhein angereist ist. Dunkelblaue Mütze, dünner Bart, schmale Brust. Ein Leichtmatrose, der aber seine Indie-Folk-Songs mit einer Rio-Reiser-haften Eindringlichkeit vorzutragen weiß. Ein Opa klaut seinen Enkeln Pommes vom Teller, und die Bedienungen laufen in ihren bequemen Sandalen Slalom um die Fans auf dem Parkett, während Richardt singt: „Es ist viel zu früh / jetzt schon durchzudrehen.“

Vom Ausrasten ist Kapitän Jess Hauser ebenfalls meilenweit entfernt. Außer Hörweite vom konzertanten Treiben sitzt er hoch oben auf der Brücke in einem Drehsessel vor seinen Steuerinstrumenten. Ein rundlicher Mann mit gemütlichem Lächeln und Seebären-Silberkette um den Hals, „'n büsschen was“ sei schon anders heute, erklärt er in breitem Norddeutsch. „Da muss ja 'n büsschen was umgebaut werden“, sagt Hauser von seinem Panorama-Arbeitsplatz aus. Die Ufer beider Inseln hat er stets im Blick. Dann sagt er noch: „Ich genieße die Ruhe hier.“

„Die haben alle was mit den Ohren“, erklärt unten ein alter Mann mit gegerbter Haut. „Don Makrelo“ steht auf seinem Käppi, „Carlsberg“ auf seiner Flasche. Die Ottensener Combo Torpus & The Art Directors macht gerade Soundcheck. Don Makrelo stimmt lauthals in ihren Gesang ein, ordert noch ein Bier und „viermal Marlboro Menthol“ und schließt mit dem Satz: „Wisst ihr, das ist Kultur.“ Wo er recht hat.

Das Torpus-Quintett ist mit Gitarren, Banjo, Kofferorgel und Trompete an diesem späten Nachmittag so ziemlich die coolste Shantykapelle an der Wasserkante des Landes. Vor allem mit all ihren Stimmen, die mal zart, mal räudig klingen wie die See. Und mit Blick auf eben jene kann die Sehnsucht, die in den Liedern der Band schwingt, noch mehr Weite atmen.

„Immer hin und her, hin und her – euer Leben möcht ich haben“, sagt Frontmann Sönke Torpus zu den Fans, die bereits seit Stunden pendeln. Unterwegs, da lassen Musik und Motor das Herz vibrieren. List auf Sylt und Havneby auf Rømø sind lediglich zwei Punkte, die das Dazwischen markieren.

Das deutsche Ende der Reise ist für Marcus Wiebusch von Kettcar besonders „ambivalent aufgeladen“. Ihr drittes Album nannte die Band „Sylt“, weil die Insel die ultimative Projektionsfläche sei. „Zwischen wunderschöner Natur und diesem negativen Glamourfaktor.“ Ganz so schlimm scheint Kettcar-Bassist Reimer Bustorff den Society-Faktor nicht zu finden. „Da hinten auf dem Achterdeck im Sonnenuntergang, ist da nicht Sascha Hehn? Und Silvie van der Vaart?“, fantasiert er. Da ist das Konzert bereits in vollem Seegange.

Die Band, die in Hamburg stets vor ausverkauften Hallen spielt, agiert bei Indiepop-Krachern wie „Deiche“ und „Landungsbrücken raus“ auf Augenhöhe mit 400 Passagieren. Eine Bühnenerhebung gibt’s nicht. Aber Nähe, Tanz, Schweiß und Chöre. Pinkes neben blondiertem Haar, Tattoos neben Perlenketten. In der Dämmerung verwischen die Grenzen. Und Wiebusch singt: „Frieden ist, wenn alle gleich sind.“ Zumindest, solange die Musik spielt.