Spektakuläre Zuschauerreaktion für Frank Castorf in Bayreuth

Bayreuth. Das hat es wohl nicht nur in Bayreuth noch nie gegeben. Ein Regisseur geht am Schluss gar nicht mehr hinter den Vorhang, sondern trotzt starr, die Hand in der Hüfte, auch provokant auf die Uhr blickend, der Woge aus Zu- und Abneigung, die ihm da gefühlte zehn Minuten von den Festspielhaussitzen entgegenbrandet.

20 Stunden, inklusive Pausen, mussten alle auf diesen Moment warten. Frank Castorf zeigt sich, wie es bei einem neuen „Ring des Nibelungen“ üblich ist, erst am Ende der „Götterdämmerung“. Und wartet bei offiziell gemessenen 110 Dezibel Reaktionslautstärke (95 gab es für die Solisten, 100 für die Brünnhilde). Keiner mag aufhören, weder der Regisseur noch sein in Ablehner und Anhänger geteiltes Publikum.

„Standing Buhvations“, tauft ein New Yorker Kollege anerkennend dieses Schauspiel, das einen pointierten Schlusspunkt setzt unter eine Tetralogie, wie sie selbst Bayreuth nur alle 35 Jahre mal erlebt, zuletzt wohl 1976 bei Patrice Chéreau und Pierre Boulez. Damals waren freilich noch Trillerpfeifen und Flugblätter im Einsatz; inzwischen ist selbst der Hardcore-Wagnerianer härter im Regietheater-Nehmen.

Wobei der strenge Dialektiker Castorf eigentlich nur gibt respektive verweigert, was von ihm zu erwarten ist. Und so ist diese „Götterdämmerung“, die düstere Grand Opera mit Chor, Verschwörungsterzett, Trauermarsch und großer Final-Arie, eine eher ruhige, oftmals statische Angelegenheit geworden. Man könnte auch sagen: Sie ist nicht fertig inszeniert, sei es in der reliefartig behandelten „Zu neuen Taten“-Duoszene, in der Siegfried und Brünnhilde auf Bierfässern vor ihrem Wohnanhänger sitzen, sei es in der Waltrauten-Erzählung der wieder fabelhaft präsenten Claudia Mahnke.

Der Müll, die Stadt und der Siegfried-Tod. Wir sind im unwirtlichen Berlin der Nachwendezeit. Gunther (Alejando Marco-Buhrmester) besiegelt mit dem Dönermesser die Blutsbrüderschaft, während Schwester Gutrune (unauffällig: Allison Oakes) mit Modefetzen und ihrer Isetta beschäftigt ist. Alberich, Urvater des Bösen (eine Wucht als Prekariatpaket: Martin Winkler), verabschiedet sich mit Koffer und Kurzzeit-Konkubine. Sein quallig singender, darin aber mit roher Gewalt beeindruckender Sohn Hagen (Attila Jun) verzaubert Brünnhilde (Catherine Foster) mit Voodoo-Fluch und erschlägt Siegfried (laut, bühnenfüllend, mit kaputten Tönen: Lance Ryan) mit der Baseball-Keule. Charakterlicher Abschaum allenthalben.

An dieser „Götterdämmerung“ wird szenisch wie musikalisch noch zu arbeiten sein, ansonsten war die Wahl dieses „Ring“-Gespanns richtig. Sie offerierte mit Kirill Petrenko einen der wichtigsten Nachwuchsdirigenten mit einer brillant-eigenständigen Interpretation samt einer Besetzung von weitgehend hohem Niveau. Und Castorf, ein immer noch diskursanführender Regisseur, hat eine rotzige, zärtliche Deutung präsentiert. Seine „Ring“-Formel ist, dass es keine gibt und sich doch alles fügt. Einen Reim muss sich erst der aktive Zuschauer drauf machen.