Die Hamburger Autorinnen Nina George und Janna Hagedorn kennen sich aus mit fliederfarbenen Buchumschlägen und sogenannter „Frauenliteratur“.

Hamburg. Träumt nicht beinahe jede junge Autorin davon, einmal auf die Bestsellerliste des „Spiegel“ zu kommen? Aber wie schafft man das eigentlich? Sicher, einen Bestseller nach Rezept zu schreiben, das geht nicht, sonst würden es ja viele tun. Aber ganz sicher gibt es ein paar Zutaten, mit denen man einen Roman besser verkaufen kann als üblich. Die Hamburger Autorin Nina George sollte es wissen. Ihr Roman „Das Lavendelzimmer“ steht seit einiger Zeit weit oben auf der „Spiegel“-Bestsellerliste, in der kommenden Woche auf Platz vier. Übersetzungen sind in sieben Länder verkauft. Und ihre Kollegin Janna Hagedorn, die schon einige Romane geschrieben und zwei Mal den Hamburger Literaturförderpreis bekommen hat, kennt sich auch mit Erfolgsliteratur aus. Von ihr ist gerade „Friesenherz“ erschienen, ein Roman über Frauenfreundschaft und Lebenskonzepte. Beide Autorinnen sind Viel-Schreiberinnen und veröffentlichen auch noch unter anderem Namen. Nina George schreibt als Anne West Erotisches wie „Sag Luder zu mir“, Janna Hagedorn schreibt als Verena Carl unter anderem auch Kinderbücher. Wir sprachen mit beiden darüber, wie man einen Bestseller schreibt. Prosecco-Laune, die man der so genannten „Frauenliteratur“ gern unterstellt, breitete sich an einem heißen Sommertag im Café Cliff an der Alster wie von alleine aus.

Hamburger Abendblatt: Wenn Ihr Roman in der Buchhandlung auf dem so genannten Frauentisch liegt, ist das gut oder schlecht?

Nina George: Ich wollte da nie hin, weil ich gedacht habe, dann komme ich da nie wieder runter. Mein Roman liegt dort auch nicht.

Janna Hagedorn: Als Janna Hagedorn will ich gute Laune machen und unbedingt auf den rosa Frauentisch. Das sichert Leserinnen. Als Verena Carl will ich da eigentlich nicht hin, da habe ich noch literarische Ambitionen.

Kann man einen Bestseller kalkulieren?

Hagedorn: Nein, das geht nicht. Mein erster Roman als Janna Hagedorn war so ein Buch. Es hieß „Mantra Männer“ und war ein Yoga-Roman. Es war alles drin, was eigentlich zu einem Bestseller gehört, der Verlag, mein Agent und ich hatten das gemeinsam entwickelt. So ist eine Beziehungskomödie entstanden, die im Szeneviertel spielt, einen knallrosafarbenen Umschlag hatte und die Yoga-Szene ein bisschen auf die Schippe nahm. Es hat nicht funktioniert.

George: Es fängt beim Cover an. Marketing, Grafik, Lektoren, Vertreter alle reden mit und das Cover hat meist nichts mit dem Inhalt zu tun. Es soll eine Stimmung transportieren und auffällig sein. Pink und lila helfen nicht, aber Blumen sind derzeit gefragt.

Kann man Erfolge anderer nachahmen?

George: Wenn das erste Buch gut läuft, geht der erste Aufguss auch noch, der zweite aber schon nicht mehr. Es lohnt sich jetzt also nicht mehr, etwas in der Art von ‚Shades of Grey‘ zu schreiben. Der Zug ist abgefahren.

Worauf führen Sie Ihren Erfolg mit ‚Das Lavendelzimmer‘ zurück?

George: Zehn bis höchstens 20 Prozent macht die Reklame im Internet aus, also Foren, Facebook und Co. Meine Leserschaft ist zudem nicht der typische Internettyp. Ich glaube, es ist eine Kombination aus den Leserinnen, die meinen vorigen Roman, ‚Die Mondspielerin‘ geliebt haben, sehr viel Mundpropaganda von Menschen, die das Buch schon gelesen haben und es noch mal verschenken und der Buchhändler, die das Buch lieben. Vielleicht liegt das daran, dass mein Held ein Buchhändler ist. Man muss seine Leser aufbauen. Ich komme nicht aus dem Nichts, sondern schreibe seit 20 Jahren. Ich habe mir meine Leser erarbeitet. Mein Roman beschäftigt sich mit Tod und Liebeskummer, ist sehr gefühlvoll. So etwas wird gerne gelesen. Und trifft zurzeit einen Nerv. Es ist aber sicher auch viel Zufall dabei.

Hagedorn: Für Autoren ist es wichtig, ihre Leser bei einer Sehnsucht zu packen, von der sie noch gar nicht wussten, dass sie sie haben. Man kann das nicht kalkulieren, aber es hilft, wenn man Stimmungen auffängt, die gerade entstehen. Ich hoffe immer, dass ich auf einer Frequenz schwinge, auf der andere auch gerade schwingen. Man sollte über Themen schreiben, die einen bewegen und auch etwas angehen. Dann ist man authentisch, das merken die Leser.

Worauf kommt es an, wenn man Bücher verkaufen will?

George: Leserinnen, Leserinnen, Leserinnen, ihre Mundpropaganda, ihre Empfehlungen. Und als nächstes sofort die Buchhändlerin, Vertrieb und Vertreter, die die Buchhändler beraten. Weniger der Verlag, das Marketing oder die Rezensionen.

Hagedorn: Es ist auch sehr wichtig, wo das Buch in der Buchhandlung platziert wird. Sehr viele Leser sind darauf angewiesen, in den Buchhandlungen beraten zu werden.

Sie haben beide mehrere literarische Identitäten. Sie machen sich doch sicher Gedanken darüber, unter welchem Namen Sie welches Thema veröffentlichen?

Hagedorn: Im Moment ist Frauenliteratur für etwas ältere Semester gefragt, das kann ich jetzt, wo ich über 40 Jahre alt bin, auf der Unterhaltungsebene als Janna Hagedorn bedienen. Literarisch mache ich mir als Verena Carl eher Gedanken darüber, wie man die Welt in ihren Facetten interpretiert und dafür einen Ausdruck findet. Klar, trenne ich das. Für Figuren, die meinem Leben völlig fremd sind, fehlt mir die Fantasie. Ich muss immer ziemlich nah an meinem Leben dranbleiben, ein Lebensgefühl beschreiben. Also, einen Vampirroman hätte ich nicht schreiben können. Wenn ich einen Unterhaltungsroman schreibe, ist das für mich zunächst einmal Handwerk. Ich konstruiere etwas, denke stark an den Plot. Wenn ich Anspruchsvolles schreiben will, arbeite ich stärker an Beschreibungen, Stimmungen und mir ist wichtig, dass alles noch eine zweite Ebene hat, eine Referenz und Tiefe. Ich versuch’s jedenfalls. Und bin frustriert, wenn ich feststelle, das merkt keine Sau. Aber damit muss ich dann leben.

George: Meine Romane haben nie etwas mit mir zu tun. Ich schreibe auch nicht anders, wenn ich einen erotischen oder einen Unterhaltungs-Roman schreibe. Aber ich fühle Menschen, ihre Verletzungen, ihre Trauer, das, was sie bewegt. Ich habe keine Angst, diese Themen zu beackern. Ich weiß, wie es sich anfühlt, zu trauern, das beschreibe ich. Ich beschreibe nicht mich selbst. Mir ist wichtig, Geschichten zu schreiben, die nichts mit mir zu tun haben. Ich liebe das Schreiben, ich kann nichts anderes.

Eine sehr erfolgreiche Kollegin von Ihnen sagt, es sei Erfolg versprechend, über ein Paar zu schreiben, das nur durch sehr, sehr große Hindernisse zusammen kommen kann. Haben Sie nicht doch ein paar Tipps für einen Bestseller?

George: Natürlich. Erstens, es muss gut lesbar sein. Also, nicht zu lange Sätze, mit denen man beweisen will, dass man toll schreiben kann und ganz schlau ist. Zweitens: einfache Wörter, um möglichst komplexe Zusammenhänge zu beschreiben. Die Figuren mit mindestens drei Tiefen ausstatten, dann aber auch mit Macken, Hindernissen und Konflikten, entgegengesetzten Wünschen. Drittens: Es ist nicht schlimm, auf bewährte Muster zurück zu greifen. Oft ist der zweite Akt schwierig, wenn man die Personen in Bewegung bringen muss. Die meisten Autoren scheitern dort. Man muss immer an das ‚und dann?‘ denken. 300 Seiten lang. Es muss immer etwas passieren.

Hagedorn: ‚Friesenherz‘ war ursprünglich als Film gedacht. Deshalb habe ich das Buch nach der klassischen ‚Sieben-Sequenzen-Methode‘ aufgebaut. Das heißt: Drei Akte, im ersten Akt werden die Figuren vorgestellt, im zweiten Akt setzt man sie in Bewegung. Sie wollen etwas erreichen, haben vielleicht einen Konflikt, es gibt verschiedene Wendepunkte, an denen der anfängliche Konflikt schon gelöst scheint. Am Ende des zweiten Aktes muss alles die schlimmstmögliche Wendung nehmen. Im dritten Akt sollte es eine elegante Lösung geben, die allerdings nicht holzschnittartig daherkommen darf und glaubhaft sein muss. So funktionieren auch viele Filme, das ist ein erprobter Spannungsbogen.

George: Jeder Bestseller hat seine eigene Geschichte, ‚Shades of Grey‘ wurde anders erfolgreich als Hape Kerkeling mit seinem ‚Jakobsweg‘ und Stieg Larsson mit seinen Krimis oder Dan Brown. Man kann es nicht verallgemeinern.

Hagedorn: Wenn man mich vergangenen Sommer nach ‚Shades of Grey‘ gefragt hätte, hätte ich geantwortet, ‚das will keiner lesen‘.

George: Ich glaube, es gibt drei Sorten Bücher, mit denen man Erfolg haben kann. Die ‚Genauso ist es‘-Bücher, die ganz viel von der Lebenswelt der Leserinnen erzählen. Dann gibt es die ‚Ach so ist das‘-Bücher, die von anderen Lebenswelten erzählen. Und dann gibt es Bücher, von deren Image ich als Leser profitieren kann. Wenn man die herumliegen lässt, wirkt, man schlau, cool, modern oder verrucht. Der Glanz strahlt auf den Leser ab.

Wie wichtig ist Witz?

Hagedorn: Sehr. Schenkelklopfer und Slapstick entwickeln sich dann beim Schreiben.

George: Man kann sich beispielsweise ein Figurenensemble geben, das komisch miteinander funktioniert, also ein Zentrum konstruieren und lauter Exzentriker drum herum. Man kann seine Figuren in richtige Schwierigkeiten bringen. Ich verbringe ungefähr drei Viertel eines Romans mit dem Nachdenken über die Figuren. Und im letzten Viertel schreibe ich das Buch drei Mal.

380 Millionen Bücher werden jährlich in Deutschland verkauft, jedes Jahr erscheinen 13.000 neue Romane, etwas mehr als 1000 im Monat. Wie kann man da herausragen?

George: Puh.

Hagedorn: Muss ich mir darüber auch noch Gedanken machen? Ich schreibe doch schon die Geschichte. Und da gebe ich mein Bestes.

George: Mit meinem Mann zusammen bringe ich im Oktober unter dem Namen Jean Bagnol auch noch ein neues Genre heraus – einen Provence-Katzen-Drogen-Erotik-Thriller.

Oh Gott, da ist ja alles dabei, was sich nach Bestseller anhören könnte. Mehr geht nicht.

Hagedorn: Yoga fehlt noch.

George: Ich hoffe, mir damit neue Leser zu erschreiben. Ich würde meine Stammleser mit einem Drogenfahndungs-Provence-Thriller wahrscheinlich verschrecken. Es ist fast wie bei Waschmittel, da macht der gleiche Hersteller einmal Color-, einmal Weißwäsche-Produkte und mehr.

Hagedorn: Es ist besser, mehrere Autorennamen zu haben, weil man da zur gleichen Zeit mehrere Bücher herausbringen kann.

George: Fünf Nina-George-Romane würde ja kein Verlag kaufen, aber zwei Nina George, zwei Anne West und noch ein neuer Name, das geht.

Wie viel schreiben Sie denn?

George: Mein Ziel ist: Zwei Bücher im Jahr. Das nächste Nina-George-Buch handelt von einer Tagebucharchivarin. Sie liest bestimmte Tagebücher und lebt durch sie. Das Leben aus zweiter Hand reicht ihr eigentlich ...

... dann allerdings taucht ein Mann auf ...

George: ... Ja! Im Zug. (alle lachen). Sie verbringt eine unglaublich sinnliche Nacht mit ihm, kehrt dann aber zurück in ihr Leben. In den Tagebüchern gibt es auch noch verschiedene Liebes- und Lebensgeschichten. Danach macht sie den Schritt aus ihrem Leben heraus ...

Zu dem Mann!

George: Nein, das wäre zu öde. Zu den Tagebuchfrauen. Sie wird ein Leben retten, eins verändern und ihr eigenes finden.

Frau Hagedorn, schreiben Sie auch an einem neuen Roman?

Hagedorn: Ja. Er spielt im Wendland. Wendland wäre schon ein schöner Titel. Es geht um eine Hamburger Frauenzeitungs-Chefredakteurin, die ihr Glamourleben satt hat, eine Erbschaft macht und von ihrem jüngeren Mann verlassen wird. Sie landet im Wendland.

... und dort begegnet ihr? ...

Hagedorn (lacht): Später. Erst mal entdeckt sie einen verfallenen Landgasthof.

Dort findet sie eine Truhe?

Hagedorn: Nein. Aber sie träumt von einem Leben als Gastwirtin. Und baut den Gasthof um.

Mit einem Mann?

Hagedorn: Ja!