Gerade steht der Künstler Jonathan Meese vor Gericht, weil er öffentlich den Hitlergruß gezeigt hat. Das Dokudrama „George“ erzählt von Heinrich George, der mit Hitlers Segen zum Intendanten des Schiller-Theaters ernannt wurde.

Hamburg. Wenn ein Film ausgestrahlt, eine Ausstellung eröffnet, ein Buch veröffentlicht wird, schließt sich regelmäßig ein Ritual an: Der Autor weist jeden persönlichen Bezug zum Gezeigten empört zurück. Die Kunst imitiere nicht das Leben mit all seinen Banalitäten, Alltagskompromissen und persönlichen Vorteilsnahmen. Die Kunst, die anspruchsvolle zumal, stehe einzig und allein für sich. So weit die Theorie, die in der Praxis natürlich immer mit hundert Sachen in die allzu verlockenden Kulissen der Rückschlussmöglichkeiten kracht.

Wie politisch Kunst ist und sein darf, darüber wird auch in diesen Tagen wieder heftig diskutiert. Gleich zwei Anlässe beleuchten die immer aktuelle Debatte um Kunstfreiheit, persönliche Eitelkeit und deren Auswirkungen. Hat man alles schon oft und ausgiebig gelesen. Und muss man trotzdem immer wieder neu betrachten. Gerade steht der Berliner Künstler Jonathan Meese in Kassel vor Gericht, weil er öffentlich den Hitlergruß gezeigt hat. Am Montagabend strahlte der koproduzierende Sender Arte das Dokudrama „George“ über Heinrich George aus, jenem Bühnen- und Filmstar, der an den Propagandafilmen „Jud Süß“ und „Kolberg“ mitgewirkt hatte und mit Hitlers Segen zum Intendanten des Schiller-Theaters ernannt wurde.

Die Erstaustrahlung sahen laut Meedia.de rund 800.000 Zuschauer (Marktanteil 3,3 Prozent) - für Arte ein beachtlicher Wert. Wenn die Doku am Mittwoch in der ARD zu sehen ist, dürfte die QUote allerdings noch einmal beträchtlich steigen. Der Film von Joachim Lang dokumentiert das Bemühen von Sohn und Hauptdarsteller Götz George, den Patriarchen endlich vom Vorwurf des NS-Karrieristen zu befreien. „Ich bin Schauspieler, kein Politiker.“ „Kinder, ich wollte einfach arbeiten, so einfach ist das.“ „Ich bin nur für mich selbst verantwortlich.“ Sätze wie diese fallen laufend bei „George“, der es dem Zuschauer verdammt schwer macht, den Film als Film (und ästhetisches Werk) zu sehen und nicht als politisches Statement.

Die Spielregeln im Kunstbetrieb

In diese Kerbe schlägt auch Meese. „Was ich auf der Bühne und im Namen der Kunst mache, ist durch die Kunstfreiheit im Grundgesetz gedeckt“, erklärte das Enfant terrible der deutschen Kunstszene dem „Spiegel“. Und weiter: „Es muss auf der Bühne erlaubt sein, mit Symbolen zu spielen.“ Es ist diese (vorgeschobene) Naivität, die Meeses Hitlergruß bei einer Veranstaltung zum Thema „Größenwahn und Kunstwelt“ und Heinrich Georges moralisches Wegducken bei seinem Aufstieg zur Zeit des Nationalsozialismus teilen. Die durchaus bequeme Auffassung, dass Kunst im luftleeren Raum passiere: „Mein Vater war ein unpolitischer Mensch, ein naiver Mensch, der nur für seine Kunst lebte“, hat Götz George in einem Interview gesagt.

Der Fall Meese und der Fall George erzählen im Kern von den Spielregeln im Kunstbetrieb, wo es erlaubt ist (und sein muss), sich hinter einem fremden Ich zu verstecken. Etwas darzustellen, das nicht deckungsgleich ist mit dem eigenen Empfinden. Einmal mehr zeigen die aktuellen Beispiele, dass die Trennlinie zwischen Künstler und Privatmensch eine unscharfe ist. Es lohnt sich also, genau hinzusehen.