In ihrem zweiten Erzählband stellt Autorin Susanne Schedel wichtige Fragen des Lebens

Veränderungen ereignen sich nicht zwingend mit einem großen Knall. Die Entwicklungen und Empfindungen, die Susanne Schedel in ihrem neuen Erzählband darstellt, steigen in den Menschen eher auf wie eine Ahnung. Eine alte Frau etwa fühlt ihre Kräfte schwinden, erlebt im Casino aber einen zweiten Frühling. Amourös und finanziell. Einem Student begegnen direkt zwei erste große Lieben. Die zur Wissenschaft und die zu einer hübschen Kinokartenverkäuferin. Eine Mittvierzigerin wiederum droht ihre Existenz an die Flasche zu verlieren, während ihre jungen Nichten gerade erst ausprobieren, wie sich so eine eigene Identität überhaupt anfühlt.

Die Autorin, 1973 im unterfränkischen Werneck geboren und derzeit in Düsseldorf ansässig, hat ein feines Gespür für die Schnittstellen und schleichenden Prozesse des Lebens. Mitunter ein zu feines. Denn Schedels Texten ist anzumerken, dass sie promovierte Germanistin ist, dass sie also die Großen und Guten der Literatur samt ihrer Techniken studiert hat. Das ist oftmals Segen, mitunter aber auch ein Fluch. Sie lässt Lücken mit Bedacht, setzt ihre Bilder pointiert. Sie versteht es, ihre Geschichten abzuschließen und die Enden zugleich offen genug zu gestalten, um die Fantasie des Lesers zu beflügeln.

Mal gelingen Schedel so kunstvolle Storys von federleichter Melancholie. Wie zum Beispiel die titelgebende Erzählung „Wer soll denn das anziehen, bitteschön“, die das Sujet Coming-Of-Age klug komprimiert. Das geordnete und zugleich weltflüchtende Dasein einer Großtante im Kloster dient einem Mädchen als Kontrastmittel für den eigenen Werdegang. Sich entfremden, sich erkennen, sich erinnern – diese persönliche Genese schildert Schedel in einer Sprache, die nicht radikal ist, sondern sachte. Sehr schön plastisch auch so manche Personenbeschreibung, etwa die der Frau Oberin: „Wie viele der Schwestern hatte sie ein Gesicht wie eine Kirchenbank, Züge wie geschnitzt, aber ohne Farbe, ohne Kissen.“

Manche Episoden in Schedels Buch, ihrem zweiten nach dem Erzählband „Schattenräume“, geraten etwas zu ambitioniert, zu arrangiert. Sätze wie „Ich hatte Angst vor der Nacht und vor allem davor, dass sie, die Nacht, irgendwann beschließen würde, mich zu behalten.“ Als gelte es, ein Fleißsternchen für wohlfeil formulierte Prosa zu erhalten. Dann denkt man sich an so mancher Stelle: „Das hat sie aber schön geschrieben“. Doch die Metaebene ist der Feind des Leseflusses.

Manche der Metaphern wiederum wirken schlicht zu einfach. Den Aufenthalt in einer Psychiatrie mit einem Nebel zu vergleichen klingt zwar plausibel, scheint aber wie schon mehrfach gelesen. Und auch die Erkenntnis, dass in amerikanischen Supermärkten Regalmeter voller Frühstücksflocken, aber nur vier Sorten Käse zu finden sind, wirkt wie eine Second-Hand-Beobachtung. Ein Pluspunkt ihres Buches ist, dass Schedel unaufgeregt Fragen stellt: Wie fühlt sich das Erwachsenwerden an? Wie lässt sich in Würde altern? Und wie gestaltet sich all die Zeit dazwischen? Wie viel Transit braucht der Mensch? Wie die Sehnsucht stillen und zugleich die Neugierde bewahren? Wie Krisen aushalten und neue Wege finden? Insofern ist die Lektüre letztlich eine lohnenswerte.

Susanne Schedel: „Wer soll denn das anziehen, bitteschön“ Rowohlt, 224 S., 18,95