Der Sender Arte zeigt die Fernsehpremiere des grandiosen deutschen Kinofilms “Schuld sind immer die anderen“ über einen jugendlichen Gewalttäter.

Der cholerische, kriminelle Jugendliche Ben (Edin Hasanovic) hat ein ernsthaftes Problem. Er schlägt und tritt immer wieder heftig und unkontrolliert zu, wenn er austickt. Einer Wirtin bricht er den Kiefer, als sie ihm kein Bier mehr verkaufen will, weil er blau ist. Einer Schwangeren tritt er das Baby im Bauch tot, weil sie bei einem Raubüberfall das Geld fallen lässt, das sie für ihn aus dem Automaten ziehen musste.

Schuld sind für Ben immer die andern. Wäre er nicht so cholerisch, stünde seiner Karriere als Auftragsautoknacker nichts im Wege. So aber landet er wegen der Gewalt gegen die Wirtin im Jugendknast, wo er verprügelt und selbst schnell zum Opfer wird. Dass er gemeinsam mit einem Komplizen auch den Raubüberfall auf die Schwangere begangen hat, weiß niemand. Der Fall wurde nicht aufgeklärt.

Die Opfererfahrung im Knast lässt Ben widerwillig den Versuch wagen, seine Strafe im offenen Vollzug zu verbüßen. Sozialarbeiter Niklas (Marc Ben Puch) holt ihn aus dem Knast und bringt ihn ins „Waldhaus“, eine Art familiengeführtes Jugendheim. Im „Waldhaus“ leben Niklas und seine Frau Eva (Julia Brendler) mit ihrer fünfjährigen Tochter. Das Ehepaar bringt straffällige Jugendliche mit strengen Regeln und harter körperlicher Arbeit in Wald und Flur zurück auf die Verantwortungsspur. Gerade als das Experiment sich für Benjamin Erfolg versprechend anlässt, ereilt ihn der nächste Tiefschlag: Die Sozialarbeiterin Eva, die er zunächst nicht kennengelernt hat, kehrt aus dem Krankenhaus ins „Waldhaus“ zurück. Benjamin erkennt in ihr sein Opfer vom jüngsten Raubüberfall.

Zum ersten Mal läuft das erfolgreiche Kinodrama „Schuld sind immer die anderen“ jetzt im Fernsehen. Zwar nicht zur Hauptsendezeit im Ersten oder Zweiten, aber immerhin zeigt Arte die Tragödie nach dem herausragenden Drehbuch von Anna Maria Praßler in der gleichfalls ausgezeichneten Regie von Lars-Gunnar Lotz am heutigen Freitag um 22.40 Uhr. Völlig zu Recht räumt der Film einen Preis nach dem anderen ab. Letzte Woche kam der Nachwuchspreis von Studio Hamburg für die beste Regie dazu, vorher gewann der Film bereits den NDR Filmpreis für den Nachwuchs, den Bernhard-WickiPreis und den DGB Filmpreis. Neben Edin Hasanovic für die beste darstellerische Leistung in der männlichen Hauptrolle ist auch Anna Maria Praßler mit ihrem Drehbuch für den Deutschen Filmpreis 2013 nominiert.

Gespielt wird die Geschichte um einen dramaturgisch extrem zugespitzten, grandios scheiternden Täter-Opfer-Ausgleich von einem Spitzenensemble junger deutscher Schauspieler. Allen voran in den Hauptrollen Hasanovic als Ben und Brendler als Eva. Edin Hasanovic, der schon Auftritte in einigen Krimiserien hatte, spielt seine erste Hauptrolle in einem Kinofilm bravourös und besteht seine Meisterprüfung mit einer Eins mit Sternchen.

Julia Brendler fügt früheren Erfolgen einen weiteren großen Auftritt hinzu. Aber auch die Leistung von Pit Bukowski als Tobias, führender jugendlicher Straftäter im „Waldhaus“, ist preisverdächtig. Das restliche Ensemble inklusiver naiver Praktikantin (Natalia Rudziewicz) – mit der nie ein Sozialarbeiter ein fachliches Gespräch führt, das ist die einzige Schwäche des Films – steht den drei Protagonisten kaum nach. Auch Marc Ben Puch macht seine Sache als Sozialarbeiter Niklas sehr gut, erreicht aber nicht ganz die Authentizität der anderen drei Hauptdarsteller, was hauptsächlich daran liegt, dass er auch unter Stress immer so deutlich spricht wie sonst nur Bühnenschauspieler. Dass die anderen drei Hauptrollen das nicht tun, macht sie zwar streckenweise schwerer verständlich, aber so nuschelt es halt, das richtige Leben.

Ben erkennt im Film in der weiteren Eskalation der Ereignisse, dass niemand so hart zuschlägt wie das Schicksal. Wie er sich auch seiner Schuld zu entziehen sucht, er kann der Konfrontation mit den anderen Jugendlichen genauso wenig entgehen wie der brutalen Gegenüberstellung mit seinem Opfer Eva, die verständlicherweise unprofessionell agiert, als sie erfährt, wer Ben wirklich ist. Wodurch sie ihn in jene Verzweiflung treibt, in der sie sich bereits befindet. Und obwohl Ben seine Tat schließlich bereut, wird aus dem Täter-Opfer-Ausgleich nichts.

Eva ist keine Heilige und schafft es nicht, dem Täter zu verzeihen. Der Ausgleich kann nicht gelingen, das Baby wird durch aufrichtige Reue nicht wieder lebendig. Auch dass Ben zum Zeitpunkt der Tat nicht wusste, dass sein Opfer schwanger ist, nützt im Nachhinein nichts. Ob es geholfen hätte, wenn Eva es im Moment des Überfalls hätte sagen können, darf stark bezweifelt werden.

„Schuld sind immer die anderen“ Arte, Freitag, 22.40 Uhr