Selbst für den Schlagzeuger Martin Grubinger gibt es Musik jenseits der Spielbarkeit. Warum er heute nicht das aufführt, was er eigentlich sollte.

Hamburg. Martin Grubinger, der Hypervirtuose des Schlagzeugs, tritt am heutigen Freitag mit dem NDR Sinfonieorchester bei einem ausverkauften Konzert auf Kampnagel auf. Das ursprünglich vorgesehene Stück kommt jedoch nicht zur Aufführung. Ein Gespräch mit einem fast Unbezwingbaren über das Scheitern auf hohem Niveau.

Hamburger Abendblatt: Sie haben die Uraufführung des zweiten Schlagzeugkonzerts von HK Gruber kurzfristig abgesagt. Zum dritten Mal. Warum?
Martin Grubinger: Ich will ganz offen sein: Ich bin nicht fertig geworden damit. Ich habe dieses Werk vor drei Jahren bekommen, damit begonnen und gesehen, dass es unglaublich herausfordernd ist. Es ist ein 40-Minuten-Werk, das in seiner Komplexität für mich alles in den Schatten stellt, was ich bis jetzt gesehen habe. Wenn ich zwei, drei Wochen daran arbeite, komme ich drei, vier Takte weiter. Mehr geht nicht. Das Werk hat mir schon einige schlaflose Nächte beschert. Deshalb habe ich zum NDR Sinfonieorchester gesagt: Liebe Freunde, ich schaff’s nicht, es geht sich nicht aus. Bei zeitgenössischer Musik heißt es ja manchmal, ach, komm! Trau dich! Aber es ist mein absoluter Grundsatz, nur etwas zu spielen, wovon ich zu 100 Prozent überzeugt bin, dass ich es auch gut spielen kann, so, wie der Komponist es haben will. Deshalb habe ich gesagt, lasst uns Grubers erstes Schlagzeugkonzert spielen, das hatten wir hier in Hamburg noch nicht. Gott sei Dank hat das Orchester eingewilligt.

Wie viel Prozent dieser 40 Minuten haben Sie denn jetzt drauf?
Grubinger: 80 bis 90 Prozent. Es fehlt nicht viel, aber es fehlt der Punkt, wo ich damit auf die Bühne gehen kann und wirklich aus vollster Überzeugung spielen, mit der Emotion und Leidenschaft, die man gewöhnt ist, auch mit der Sicherheit. Jetzt wird es wahrscheinlich im Herbst soweit sein.

Haben Sie den Komponisten mal beiseitegenommen und ihn gefragt, was er sich eigentlich dabei gedacht hat?
Grubinger: Ja, habe ich. Ich sagte, Nali, das ist sein Spitzname, Nali, willst du sämtliche Schlagzeuger, die sich daran probieren, ins Grab bringen? Aber der Gruber arbeitet nach bestem Wissen und Gewissen und sagt dann: Dös wiegt, dös hot’s.

Das heißt was?
Grubinger: So isses halt, du musst damit klarkommen. Ich werde auch versuchen, das umzusetzen so, wie er das gerne hat. Aber es ist ein Riesending. Es hat riesige Aufbauten, und es klingt sicher aufregend und speziell. Aber es muss so vorbereitet und einstudiert sein, dass man es dann auch nach bestem Wissen und Gewissen spielen kann.

Wie viel mehr Apparat ist denn gefordert? Bei „Rough music“, das Sie jetzt spielen, steht ja auch schon reichlich Gerät auf der Bühne herum.
Grubinger: Viermal so viel.

Das ist nicht Ihr Ernst. Was müssen Sie denn alles spielen?
Grubinger: Zwölf Pauken. Hier sind es vier. Zehn Bongos, acht Tomtoms, 65 Cowbells, Marimbafon, Balafon, acht Gongs, vier Tamtams, vier Heulgongs, die machen wieeöwieeöwieeö, wenn man draufschlägt. Snare drums, Bass drums, Vibrafon. Ich habe bestimmt eine Menge Instrumente noch nicht genannt. Recht umfangreich.

Die Musiker haben sich auf das Stück vorbereitet. Als Sie denen gesagt haben, sorry, wir spielen jetzt das andere Gruber-Stück, das ihr auch noch nicht kennt, waren die Ihnen da ein wenig gram?
Grubinger: Das wissen Sie vielleicht besser als ich. Ich hoffe nicht. Ich kenne sehr viele der Musiker, mit einigen bin ich öfter mal Fußball spielen gewesen. Die werden meine Situation ganz gut verstehen und sagen okay, er ist auch in der Hinsicht seriös, dass er es nur spielt, wenn es wirklich funktioniert. Aber sicher wird der eine oder andere in die Noten reingeschaut und das geübt haben und dann denken: Mist! Falsches Werk! Falsches Werk! So ein Sack!

Sie können neue Werke nur zu Hause in Salzburg in Ihrer Trommelscheune erarbeiten. Und Sie müssen ja neben dem Notentext auch so etwas wie eine Choreografie dazu entwickeln ...
Grubinger: Klar, ich kann nicht im Hotelzimmer mal eben vier Takte üben, ich muss immer diesen riesigen Aufbau, der nur bei mir zu Hause steht, bespielen. Wenn ich unterwegs bin, kann ich das nebenbei nicht machen. Es ist nicht das erste Mal, dass ich diese Aufführung verschieben musste. Das Werk schränkt einen auch in der Lebensqualität ein. Es ist ja nicht so, dass ich zu Hause sitze und sage, mir doch egal, muss ich’s halt verschieben. Man ringt da mit sich und denkt: Mein Gott, wie erklär ich das dem Komponisten, wie dem Dirigenten, wie kommuniziere ich das dem Orchester und natürlich auch dem Publikum? Das sind schwere Stunden.

Nun hat HK Gruber das ja auf Ihr Instrumentarium hin komponiert. Wäre es nicht schlauer gewesen, ihm zu sagen, ich will aber nur diese und jene Instrumente verwendet haben?
Grubinger: Ganz bestimmt. Das ist sicher die Konsequenz daraus. Aber ich mach dem Komponisten nicht gerne Vorschriften. In dem Fall wär’s sicher gescheiter gewesen zu sagen: Das ist zu groß, lieber Nali, zu umfangreich, zu komplex. Mit diesem Werk können Sie nicht auf Tournee gehen. Sechs Stunden tu ich nur aufbauen, bis das Ding steht. Es ist ein einmaliges, fantastisches Werk, es hat genialste Momente. Aber in seiner ganzen Genesis ist es einfach – mega. Nur: Irgendwann wird diese Burg, diese Festung, fallen.