Mit dem Film wagt sich das ZDF an ein für den Sender ungewohntes Genre. Die Songs überzeugen da weit mehr als die Dialoge, dabei wird die Geschichte flott eingeleitet.

Hamburg. „Ein Lied kann eine Brücke sein“, heißt Joy Flemings Schmachtfetzen von einem Song aus dem Jahr 1975. Recht hat sie, mag denken, wer den ZDF-Film „Nur eine Nacht“ betrachtet. Nicht nur, weil da junge Menschen mit den Mitteln der Musik ganz herzig zueinanderfinden. Sondern vor allem, weil das Singen in dieser Produktion meist wesentlich besser ist als das Sprechen. Keine Frage: Das ZDF traut sich was. Ein Musikfilm. Durchmischt mit Drama und Romanze. Angereichert mit dem ein oder anderen Stilmittel, das nicht gerade öffentlich-rechtlichen Sehgewohnheiten entspricht. Erst mal löblich. Wenn nur die Dialoge nicht so hölzern, die Story nicht so moralingetränkt wären.

Die Geschichte wird flott eingeleitet: Junge Sänger kommen in einer Industriehalle im Hamburger Hafen zusammen, um für eine Musical-Produktion vorzusingen. Die Graffiti an dem altem Gemäuer sorgen für urbane Kredibilität. Damit der Zuschauer aber nicht allzu schnell verschreckt ist, schwenkt die Kamera auch mal flugs über das Landungsbrücken-Panorama und den Hauptbahnhof. Dort sehen wir dann einen der Protagonisten, Ollie (Patrick Baehr), mit Keyboard unterm Arm über den Bahnsteig hetzen. Fans von Musikfilmen denken flugs an den schüchternen Tastenspieler Bruno Martelli aus „Fame“. Und wie da all die restlichen, natürlich gaaanz ganz unterschiedlichen Typen heraneilen, ist ein großer Querverweis auf den großen US-Filmerfolg aus dem Jahr 1980.

Die Ankunft der blonden Zicke, des Gettojungen, des Mauerblümchens und der Neo-Punkerin wird untermalt zu der Soulhymne „Ain’t No Mountain High Enough“, die Casting-Leiter Marc (Pasquale Aleardi) am Piano intoniert. Dem Popstar, dessen Karriere bereits bessere Tage gesehen hat, wird für das Ausleseverfahren die Vokal-Trainerin Ina an die Seite gestellt, verkörpert von Yvonne Catterfeld. Und wie die da schwer atmend vor dem Eingang steht, ist direkt überdeutlich: Da hat jemandem etwas gaaanz ganz Schweres vor sich. Im Englischen gibt es für derart überzogenes Spiel das schöne Wort „Overacting“. Und der Zuschauer wird mit der ihm aufgedrückten Intuition auch nicht lange im Stich gelassen. Siehe da: Der schöne dunkel-gelockte Marc und die hübsche blonde Ina waren einst ein Paar. Brisanz, ick hör dir trapsen.

Im weiteren Verlauf verwebt Regisseur und Drehbuchautor Thorsten Näter dann in bester „A Chorus Line“-Tradition Spielszenen mit Songs. Als etwa die hochnäsige Merina (Nora Sänger) Pinks „Family Portrait“ mit (lediglich) perfekter Stimme vorträgt, wird ihr mangelndes Gefühl angekreidet. „Ich will euch“, beschwört Marc mit pilcherigem Pathos und fügt an: „Der Song ist nur ein Gefäß. Ihr seid diejenigen, die es füllen müsst.“ Die ängstliche Annika (Jördis Richter) macht es besser, indem sie unprätentiös und einfühlsam Rosenstolz’ „Lass es Liebe sein“ anstimmt.

Es ist ja gar nicht verkehrt, die emotionale Seite des Singens einzufordern. Den Schmerz und die Leidenschaft zu betonen, die ein Lied transportieren kann. Aber in „Für eine Nacht“ wird so demonstrativ gegen Geldgier und die Ausbeutungen innerhalb der Musikbranche gewettert, als säße Dieter Bohlen als personifizierter Casting-Belzebub im Nebenzimmer. Fügung des Schicksals: Catterfeld fand ihren eigenen musikalischen Durchbruch einst mit Popzuckerstückchen aus dem Bohlen-Studio wie „Für dich“ und „Du hast mein Herz gebrochen“. Aber das nur am Rande. Für die Dramaturgie kommt es nun mal besser, wenn das Musical vom finanziellen Ruin bedroht ist, bevor es überhaupt über die Bühne gegangen ist.

Kleine Seitenhiebe auf bestehende Singspiele kommen zwar sogar ansatzweise böse daher: Es gehe nicht um Sänger, „die sich als Katzen und Lokomotiven verkleiden“, sagt Marc an einer Stelle. Aber wenn Pasquale Aleardi nach einer Stunde Laufzeit immer noch Erbauungsfloskeln aufsagen muss, dann ist die Botschaft nicht nur angekommen – sie nervt. Sätze wie „Hingabe ist, worum es in der Kunst geht.“ Jaahaaa.

Was dann doch noch für nötigen Charme und Atmosphäre sorgt, ist die Auswahl und Interpretation der Songs. Nach bester Abendunterhaltungsmanier wurde jede Altersgruppe bedacht. Die Kids dürften sich über Hits wie „Hurt“ von Christina Aguilera, „First Day Of My Live“ von Mel C und „My Love Don’t Cost A Thing“ von Jennifer Lopez freuen. Nun gut, das ist nicht ganz so angesagt wie, sagen wir mal, Cro oder Icona Pop. Aber ein Anfang.

Für die älteren Zuschauer gibt es direkt reichlich Evergreen-Variationen. Von Paul Simons „You Can Call Me Al“ und Queens „Bohemian Rapsody“ über Stevie Wonders „Don’t You Worry ’Bout A Thing“ und Lionel Ritchies „Endless Love“ bis zu „Wild Horses“ von den Rolling Stones und „Rolling On The River“ von Tina Turner. Man muss die gefühligen Versionen nicht mögen, die der Film präsentiert. Punkrock geht anders. Aber die jungen Akteure sind in ihrer Vortragsweise zum Glück weit genug vom überambitionierten Standard-Musical-Schmelz entfernt. Und in den USA läuft mit „Glee“ seit 2009 zudem erfolgreich eine Serie, die aktuelle Stücke für einen Schulchor arrangiert, Oldies in ein poppigeres Gewand hüllt und ganz nebenbei höchst süffisant vom Leben einer Außenseiter-Clique erzählt.

Die Ironie ist bei „Für eine Nacht“ allerdings Mangelware. Wenn die Sänger von schwierigen familiären Verhältnissen berichten, von überfürsorglichen und autoritären Eltern, von Armut und Gewalt, dann klingt das, als sei das Script von der Sozialbehörde geschrieben worden. Immerhin werden diese Background-Geschichten mit comichaften Elementen visualisiert. Ein Versuch. Gerne mehr davon. Demnächst dann aber bitte mit Brücke zum Text.

„Für eine Nacht“ Do 6.6., 20.15 Uhr, ZDF