Ein szenischer Jungfernstieg-Rundgang mit zwei Schauspielern führt zu zehn Stationen rund um die Binnenalster

Jungfernstieg. Charlotte Sophie von Bentinck (1715–1800) war eine ebenso selbstbewusste wie gebildete Frau. Sie korrespondierte mit Geistesgrößen wie Voltaire und Friedrich dem Großen. Ihren ungeliebten Mann verließ sie, um mit Albrecht Wolfgang Graf zu Schaumburg-Lippe zusammenzuleben, in den sie sich schon als 15-Jährige verliebt hatte. „Ich habe mich überlieferten Denkweisen niemals blindlings unterwerfen können nur aus dem Grund, weil diese von allen akzeptiert werden“, schrieb sie in einem Brief an ihren Bruder. Nun steht sie, verkörpert von Schauspielerin Herma Koehn, auf der Reesendammbrücke, nur ein paar Schritte von ihrer einstigen Wohnung am Jungfernstieg 3/Ecke Neuer Wall entfernt und liest aus diesem Brief vor.

Gräfin von Bentinck ist die erste Persönlichkeit, die uns auf dem etwa zweistündigen szenischen Rundgang „Jungfernstieg historisch“ begegnet, den die Landeszentrale für politische Bildung und der Verein Lebendiger Jungfernstieg gemeinsam veranstalten. Auf der Grundlage historischer Quellen hat Rita Bake, stellvertretende Leiterin der Landeszentrale, kurze Szenen geschrieben, die Koehn und ihr Kollege Wolfgang Hartmann auf Hamburgs beliebtester Flaniermeile in wechselnden Rollen spielen. An jeder der zehn Stationen erläutert Bake zuerst den kulturgeschichtlichen Hintergrund, bevor dann die Schauspieler in Aktion treten.

Das Ganze wirkt auf sympathische Weise improvisiert, Kostüme und Requisiten werden im Bollerwagen kreuz und quer über den Jungfernstieg gezogen. Die maximal 50 Zuschauer, die sich dicht um die Akteure scharen, lassen sich mit sichtlichem Vergnügen auf diese Zeitreise ein. Dabei geht es nicht nur um große historische Ereignisse, sondern um alltägliche Begebenheiten.

Am Anleger der Alsterflotte begegnet das Publikum dem Arzt Johann Jakob Rambach (1772–1812), der gerade von dem Badeschiff zurückkehrt, das seit Ende des 18. Jahrhunderts etwa 60 Meter vor dem Jungfernstieg auf der Binnenalster vor Anker lag. Empfangen wird er von seiner resoluten und etwas misstrauischen Ehefrau. Obwohl man damals natürlich streng nach Geschlechtern badet, steht ein so körperliches Vergnügen stets unter moralischem Verdacht. In der Schalterhalle der Commerzbank treten wenig später der Buchhändler Friedrich Perthes (1772–1843) und dessen Ehefrau Caroline auf, die Tochter des Dichters Matthias Claudius. Und im Heine-Haus, dessen Vorgängergebäude dem Bankier Salomon Heine gehört hat, wird man Zeuge eines unschönen Erbschaftsstreits zwischen dem Dichter Heinrich Heine und seiner Cousine Therese.

Mit leichter Hand hat Rita Bake fiktive Szenen und originale Textstellen, etwa aus Heines „Memoiren des Herrn von Schnabelewopski“, zu Sketchen zusammengefügt, die unterhaltsam sind, zugleich aber kulturgeschichtliche Zusammenhänge vermitteln. Auf immer wieder neue Weise wird der Jungfernstieg dabei zum Schauplatz der Geschichte, die mal kurios erscheint, manchmal aber auch tragisch.

So steht ein Hamburger Ehepaar kurz nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten am Kaufhaus Hermann Tietz, dem heutigen Alsterhaus, vor verschlossener Tür. „Deutsche, kauft nicht beim Juden!“, kann man auf einem Schild lesen, das SA-Männer am Eingang angebracht haben.

Im Alsterpavillon, der letzten Station, nimmt das Publikum schließlich an Kaffeehaustischen Platz und verfolgt den Dialog zwischen dem Swingboy und Musiker Hans-Peter Viau (1923–2012) und einem Hamburger Swinggirl. Es ist eine düstere Szene, denn die Jugendlichen, die sich für die von Nazis verfemte Musik begeistern, sind Anfang der 1940er-Jahre längst ins Visier der Gestapo geraten. Aber unterkriegen lassen sie sich trotzdem nicht. Dass ausgerechnet eine holländische Band, die mutig im Alsterpavillon für die aufmüpfigen Hamburger Jugendlichen spielte, nach 1945 aufgrund der Auftritte in Nazi-Deutschland in ihrer Heimat angefeindet wurde, gehört zu den absurden Details der Geschichte, die der Zuschauer auch noch erfährt.

„Jungfernstieg historisch“,Rundgänge am 6. u. 13.8., jew. 19.00, Treffpunkt auf der Reesendammbrücke (U/S Jungfernstieg), Reservierungen zu 10,- unter T. 428 23 48 01