Zu den auswärtigen Gästen an der Staatsoper zählt auch eine Gruppe aus Taiwan

Hamburg. Schon vor vielen Monaten hatte Charlie Chan zu Hause in Taipeh im Internet die Spielpläne aller großen Opernhäuser der Welt studiert. Er war auf der Suche nach dem fettesten Fest zu Ehren des 200. Geburtstags von Richard Wagner.

Wer Herrn Chan einen Hardcore-Wagnerianer nennen wollte, würde seiner Passion kaum gerecht; der sinnenfroh wirkende Mann lebt Wagner in jeder Zelle seines Seins. Er ist nicht nur Präsident der Wagner-Bibliothek in Taipeh und der Wagner-Gesellschaft Taiwan, er hat auch die zehn großen Wagner-Opern ins Chinesische übersetzt und alle Partituren einer gründlichen musikalischen Analyse unterzogen. Dass auswärtige Ensembles, wenn sie, was gelegentlich vorkommt, in Taipeh Wagner auf die Bühne bringen und Übertitel brauchen, auf seine Übersetzungen zurückgreifen, erfüllt Charlie Chan mit Stolz diesen Wunsch.

Bei Chans Studium der Spielpläne blieb schließlich die Hamburgische Staatsoper übrig. „Nirgendwo sonst wurden alle zehn großen Werke in kurzem Zeitraum hintereinander aufgeführt“, erzählt er. Nun galt es, weitere Mitglieder der Wagner-Gesellschaft Taiwan für die weite Bildungsreise zum temporären heiligen Gral der Komplettwerkpflege zu begeistern. Was neben dem Wagner-Wahn – zehnmal Wagner in drei Wochen mit Simone Young am Pult – noch für Hamburg sprach: Der Katzensprung nach Bayreuth, dem Wagner-Sanktuarium schlechthin. Dort fand am 22. Mai, dem eigentlichen Geburtstag des Meisters, das Festkonzert statt. Dafür hatte Chan frühzeitig 23 Tickets ergattern können.

Nun ging auch am 22. Mai eines der Wagner-Werke einmalig über die Staatsopernbühne, der „Tannhäuser“. Den musste die Gruppe auslassen, weil sie ja zur selben Zeit in Bayreuth saß. Doch wer den echten Wagner-Wahn hat, der reist an einem spielfreien Hamburger Wagner-Wahn-Tag dann mal eben nach Kopenhagen und guckt den „Tannhäuser“ dort. Das geschah vor einer Woche; tags darauf hatten die Fans aus Fernost schon wieder ihre Zimmer im Side-Hotel bezogen, gleich um die Ecke der Staatsoper.

Inzwischen trafen 17 weitere Taiwanesen in Hamburg ein, um, wenn schon nicht den ganzen Wahn, so doch wenigstens den Hamburger „Ring“ komplett zu erleben. „Ob wir 40 wohl die größte Gruppe aus Taiwan oder China stellen, die je in der Staatsoper eine Aufführung besucht hat?“, fragt Chan.

Statistiken, die über solche Fragen Auskunft geben könnten, werden freilich nicht geführt. Aber dass der Wagner-Wahn Kartenbestellungen aus 30 Staaten auslöste, von Argentinien über Griechenland, Hongkong, Neuseeland, Polen, Russland bis in die USA, das hat man in der Staatsoper genau notiert. Politiker, die Kultursubventionen eher entbehrlich finden, sollten bedenken, dass solche Gäste auch fernab der Oper hübsch viel Geld in Hamburg lassen.

Es seien keineswegs nur Angehörige der oberen Zehntausend, die sich diesen Ausflug geleistet hätten, betont Charlie Chan. Nur für wenige in ihrer Gruppe spiele Geld keine Rolle. Die meisten hätten den Jahresurlaub und Ersparnisse für ihre Wagner-Leidenschaft eingesetzt. Zu den Aufführungen gehen sie duftend, piekfein angezogen und frisiert. Als sie für den Abendblatt-Fotografen in der Kulisse der „Meistersinger“ posieren durften, sangen die Taiwanesen Volksweisen aus ihrer Heimat und tanzten leichtfüßig.