Die Skulpturenschau “Figur als Widerstand“ erinnert mit Werken der berühmten Bildhauer Alfred Hrdlicka, Werner Stötzer und Bernd Stöcker an die Opfer des Nationalsozialismus.

Hamburg. Zwei Spaziergänger bleiben am Mittwoch um die Mittagszeit am Jungfernstieg stehen und diskutieren spontan: „Wo ist denn der Kopf?“ „Der hat keinen.“ „Ist das überhaupt Kunst?“ „Aber klar.“ Manche setzen sich und lassen das ungewohnte Bild eine Weile auf sich wirken. Wieder andere belassen es bei einem leichten Kopfschütteln. Was sich den Flaneuren, Einkaufsbummlern, Touristen wie Hamburgern seit Mittwoch ganz bewusst in den Weg stellt und zur Ansicht einlädt, bietet einen ungewöhnlichen Anblick und fördert Einsichten.

„Figur als Widerstand“ heißt die umfangreichste je in der City präsentierte Schau mit Großskulpturen, die bis zum 23. Juni zu sehen sein wird. Neun Arbeiten von den berühmten Bildhauern Alfred Hrdlicka (1928–2009), Werner Stötzer (1931–2010) und Bernd Stöcker, 61, säumen die Wasserseite des Jungfernstiegs, die Flaniermeile in Hamburgs guter Stube. Alle Arbeiten setzen sich mit der NS-Zeit zwischen 1933 und 1945 auseinander, nehmen eindeutig oder verschlüsselt Bezug auf das Leid der Opfer des Hitler-Faschismus.

Die beeindruckende Reihe der Werke mitten in der City ist eine geradezu ideale ideelle Fortsetzung der Zusammenarbeit, die bereits zur Neugestaltung des Jungfernstiegs führte. Die Stiftung Lebendige Stadt, die mit 7,5 Millionen Euro erheblich zur Neugestaltung beitrug, finanziert die bewusst nicht als Verkaufsausstellung, sondern als kostenlose Themenausstellung konzipierte Schau über den aus ihr hervorgegangenen Verein Lebendiger Jungfernstieg.

Ein Drittel der Mittel steuert die Commerzbank bei, die gegenüber von der Open-Air-Präsentation zu ihren Öffnungszeiten einen zweiten Ausstellungsteil in ihrer historischen Schalterhalle von 1874 zeigt. Hier werden kleinere Skulpturen der drei Bildhauer und Werke aus zwei Grafikzyklen von Alfred Hrdlicka zu sehen sein. Im Haarmann-Zyklus zum Serienmörder Fritz Haarmann sah Hrdlicka „eine Vorstufe zum Faschismus“, erläutert Bernd Stöcker, der die Schau auch kuratierte. Der Stauffenberg-Zyklus thematisiert den Widerstand.

Der Bildhauer Stöcker war ein Schüler Alfred Hrdlickas und ist ein großer Bewunderer der Werke von Werner Stötzer, des seiner Ansicht nach bedeutendsten Bildhauers der DDR. „Die kritische Wertung der Werke, wie sie ein Kunsthistoriker vornehmen würde, interessiert mich überhaupt nicht“, kommentiert Stöcker seine Doppelfunktion als Künstler und Kurator, „mir geht es um das Thema, um die politische Arbeit.“

So setzt sich die Partnerschaft des Vereins Lebendiger Jungfernstieg mit der Hansestadt auch inhaltlich fort: „Der Verein wird künftig drei kulturell-künstlerische Veranstaltungen pro Jahr anbieten“, sagt der Erste Vorsitzende, der ehemalige Wandsbeker Bezirksamtsleiter Gerhard Fuchs, „und orientiert sich mit dieser Schau am vom Senat ausgerufenen Motto ‚Hamburg erinnert sich 2013‘.“

Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) formuliert im Geleitwort zum Gedenkjahr: „Vor 80 Jahren übernahmen in Deutschland die Nationalsozialisten die Macht. Zum 75. Mal jähren sich die Pogrome gegen die jüdische Bevölkerung. Und im Sommer 1943, also vor 70 Jahren, brachten massive Luftangriffe der Alliierten im Rahmen der ,Operation Gomorrha‘ – als Folge des mörderischen NS-Expansionsstrebens – Tod und Leid nach Hamburg.“

Tod und Leid in den Konzentrationslagern der Nationalsozialisten sind jetzt im öffentlichen Raum in den figuralen Arbeiten ebenso Thema wie das innere Exil vieler Künstler und Regimegegner im Dritten Reich. Wer vom Ballindamm her den Jungfernstieg betritt, begegnet zunächst dem imposanten „Sterbenden“ von Alfred Hrdlicka. Der Wiener Bildhauer ist den Hamburgern als Schöpfer des unvollendet gebliebenen Gegendenkmals zum Nazi-Kriegerdenkmal aus dem Jahre 1936 am Dammtor von Richard Kuöhl ein Begriff. Regelmäßig begleiteten hitzige Kontroversen und intensive Diskussionen seine Arbeiten.

Wie alle anderen Großskulpturen auch hat Kurator Stöcker den „Sterbenden“ auf einem Natursteinsockel platziert, Beton lehnt er aus gestalterischen Gründen ab. Von Hrdlicka sind des Weiteren die hängende Skulptur „Linker Schächer“ gegenüber vom Neuen Wall und sein „Orpheus“ zu sehen, zu dem das Katalogheft erläutert: „Männer folgten freiwillig ihren Frauen ins KZ. Kindergärtnerinnen folgten freiwillig ihren anvertrauten Waisenkindern. Sie wollten sie lieber ins Totenreich begleiten, als getrennt zu werden.“

Es ist beeindruckend, wie sich die Großskulpturen gen Häuserfront vom üblichen Shopping-Betrieb und zur Binnenalster hin von der idyllischen Kulisse mit Alsterfontäne und Lombardsbrücke abheben. „Bildhauerei, nicht anekdotisch aufgefasst, sondern als existenzielle Auseinandersetzung, führt schon durch das Massive und ihre Stille zu einem Innehalten“, erläutert Stöcker, der am Sonnabend, dem 1. Juni, um 13 Uhr und um 15 Uhr Führungen über den Jungfernstieg anbietet (Treffpunkt: Reesendammbrücke).

Werner Stötzer sagte über seine Arbeit „Mein Inhalt ist weder der Himmel noch die Hölle, es ist der Mensch.“ Vom ehemaligen Vizepräsidenten der Akademie der Künste zu Berlin (1990–1993) sind unter anderem „Die Zigeuner von Marzahn“ zu sehen. Die Skulptur erinnert an ein nationalsozialistisches Zwangslager für Roma und Sinti in Berlin, das von 1936 bis 1943 der Deportation in die NS-Konzentrationslager diente. Ein weiteres wuchtiges Denkmal von Stötzer ist die „Kleine Auschwitzgruppe“.

Aus seinen eigenen Werken wählte der in Bremen geborene und heute in Niederbayern lebende Künstler Bernd Stöcker die „Frierende“, die durch die Arbeiten von Ernst Barlach inspiriert ist. Stöckers tonnenschweres Exponat „Im Stollen (Munitionsfabrik)“, das an Häftlinge erinnert, an Frauen, die in Stollen unter der Erde in der Rüstungsproduktion arbeiten mussten, schließt die auch nachts streng bewachte Ausstellungsreihe neben dem Alsterpavillon in Richtung Neuer Jungfernstieg ab. Kultursenatorin Barbara Kisseler (parteilos) würdigte zur Ausstellungseröffnung „Figur als Widerstand“ mit Blick auf die Zukunftsgestaltung der Stadt die Rolle des Vereins Lebendiger Jungfernstieg ausdrücklich.

„Figur als Widerstand“ 1. bis 23. Juni, kostenlose Open-Air-Schau am Jungfernstieg und zu deren Öffnungszeiten in der Commerzbank am Jungfernstieg, Führungen mit Bernd Stöcker am 1. Juni um 13 und 15 Uhr (Treffpunkt Reesendammbrücke)