Das Programm des vierten Hamburger Elbjazz Festivals war stärker denn je. Leider auch die Niederschlagsmenge, die auf 15.000 Besucher prasselte.

Hamburg. Joshua Redman beweist Sinn für Humor. Mit George Gershwins „Summertime“ eröffnet er seinen Auftritt beim Elbjazz Festival. Als der Saxofonist den Song ansagt, muss er schmunzeln, denn obwohl es am Freitag den ganzen Tag über trocken bleibt, kann man nicht gerade von einer lauen Mainacht sprechen. Redmans Schlagzeuger Gregory Hutchinson wird es bei 13 Grad Außentemperatur dennoch zu warm. Während der ersten Nummer entledigt er sich des Jacketts, ohne sein Spiel zu unterbrechen. Ein technisches Kabinettstückchen wie so vieles beim Konzert dieser vier Weltklassemusiker aus den USA.

Mit Redmans Quartett feiert das Festival bereits zu Beginn eine Sternstunde des aufgeklärten Jazz. Auch Jamie Cullum, singender Spaßmacher am Klavier und populärster Künstler des Festivals, freut sich später über eine Show bei Vollmond und sternenklarem Himmel über Blohm & Voss. Bei seinem letzten Auftritt im Stadtpark vor ein paar Jahren hatte es noch junge Hunde geregnet.

Das Jamie-Cullum-Wetter erwischt die Jazzfreunde am nächsten Tag. Es regnet fast unaufhörlich, dennoch haben sich ein paar Tausend aufgemacht, um erstklassige Musik auf einer der drei Open-Air-Bühnen oder in der riesigen Maschinenbauhalle zu erleben. Mit Schirmen, Regencapes und Südwestern trotzen sie den Wassermassen von oben. „Wenigstens steht man nicht im Schlamm wie bei den Rockfestivals auf der Wiese“, kommentiert eine Zuhörerin das feuchte Vergnügen. Die Barkassen von einer auf die andere Elbseite sind weniger frequentiert als im Vorjahr, Hunderte Fußgänger und Fahrradfahrer nutzen den Alten Elbtunnel. Selbst am späten Sonnabend machen sich Dutzende jüngerer Fans in Richtung Werftgelände auf, um den Soulsänger und Rapper Aloe Blacc aus Los Angeles auf der Hauptbühne unter den Werftkränen zu erleben.

Als Gewinn erweist sich die Verlegung des Festivalschwerpunktes von der HafenCity an den Fischmarkt. Die Fischauktionshalle mit einer Kapazität von 1500 Besuchern und die kleineren Locations in unmittelbarer Nähe bieten viel überdachten Platz, beim Konzert von Chilly Gonzales reicht er dennoch nicht. Eine kleine Gruppe von Zuspätkommenden randaliert vor der Halle und begehrt lautstark Einlass, sodass der kanadische Pianist sein Programm einmal unterbrechen muss. „Auch wenn noch mehr Zuhörer in die Halle hineingepasst hätten, war die zulässige Grenze mit 1500 Besuchern erreicht“, sagt Bernd Zerbin, Pressesprecher des Elbjazz Festivals.

Geduldiger harren da die Freunde des Free-Jazz-Pianisten Alexander von Schlippenbach im strömenden Regen vor dem Golem aus. Die Bar fasst nur etwa 100 Zuschauer, nach und nach werden sie in den Raum mit der kleinen Bühne gelassen. Es ist eng und etwas stickig, aber gerade durch diese Nähe zwischen Musikern und Publikum entsteht eine knisternde Spannung. Von Schlippenbach, Evan Parker (Saxofon) und Paul Lovens (Schlagzeug) improvisieren wild und frei und entfesseln eine Energie, der man sich nicht entziehen kann. 55 Minuten lang dauert diese gemeinschaftliche Ekstase, die bei aller Freiheit im Umgang mit Metrik und Tonalität doch kontrolliert und filigran ist. An diesem Trio ist zu sehen und zu hören, dass Free Jazz nur von Ausnahmekönnern gespielt werden kann. Schlippenbachs radikales Trio bewegt sich auf der einen Seite des stilistischen Spektrums beim Elbjazz, die französische Elektro-Swing-Kapelle Caravan Palace auf der anderen. Zu ihrem Groove, der den Swing der 30er- und 40er-Jahre mit modernen House-Rhythmen verbindet, tanzen sich viele vor der Bühne Am Helgen die Kälte aus den Knochen.

So viel erstklassigen Jazz wie in diesem Jahr hat das Festival noch nie geboten. Damit positioniert es sich inhaltlich deutlicher. Neben der überragenden Performance von Joshua Redman gibt es eine Reihe weiterer Auftritte mit Weltklasse-Niveau. Der polnische Trompeter Tomasz Stanko und sein New York Quartett fesselt die Zuhörer mit seinen melancholischen Melodiebögen in der Maschinenbauhalle. Unmittelbar hintereinander musizieren dort zwei der hochtalentierten kubanischen Pianisten. In Stankos Band spielt David Virelles, davor sitzt der von Quincy Jones protegierte Eduardo Rodriguez hinter dem Flügel und zeigt dem verblüfften Auditorium, was man aus einem Gassenhauer wie „Guantanamera“ alles machen kann. Auch Echo-Preisträger Nils Wülker zeigt mit seiner warmen Melodik, dass er inzwischen zu den europäischen Spitzenkräften zählt.

90 Ensembles spielen an diesem langen Jazz-Wochenende auf zwölf Bühnen und treffen auf unterschiedliche Geschmäcker. Einig ist man sich auf Publikum und Kritikerseite über die Entdeckung beim Elbjazz: Es ist die erst 21 Jahre alte französische Sängerin Nina Attal. In einem gelben Kleidchen unter einer schwarzen Lederjacke spaziert sie auf die Bühne, hängt sich eine weiße E-Gitarre um und spielt den Blues, als sei sie in einem Kaff im Mississippi-Delta zu Hause und nicht in Paris. Sie versenkt sich in die Abgründe des Blues und findet auf ihrer Gitarre die richtigen Töne, aber sie beherrscht mit ihrer hochenergetischen Band auch den dreckigen Funk. Dann sind alle „blue moods“ wie weggeblasen und ihre Songs werden zur wilden Attacke.

Trotz des attraktiven Programms erreicht das Elbjazz 2013 nicht die Zuschauerzahlen wie im Vorjahr. Statt 20.000 Besuchern, die das Festival im vergangenen Jahr bei herrlichem Sommerwetter zu einem Erfolg werden ließen, haben an diesem Wochenende nur 15.000 Jazzfreunde Eintrittskarten gekauft. Zerbin macht vor allem das schlechte Wetter dafür verantwortlich. „Die Vorverkaufszahlen deuteten auf mehr Zuschauer hin als im Vorjahr, an den Tageskassen war die Nachfrage jedoch deutlich geringer.“ Vielleicht ist im kommenden Jahr ja wieder „Summertime“ beim Elbjazz.