Der rumänische Regisseur Calin Peter Netzer über seinen Berlinale-Siegerfilm, das Familiendrama „Mutter und Sohn“

Hamburg. Für Calin Peter Netzer ist zurzeit jeder Tag Muttertag, er kann gar nicht genug davon bekommen. Sein Film „Mutter und Sohn“ läuft in den Kinos. Mit dem Familiendrama um eine 60-Jährige, die ihren erwachsenen Sprössling nicht gehen lassen kann und will, hat der Rumäne den Berlinale-Wettbewerb 2013 gewonnen: Architektin Cornelia hält ihren 35 Jahre alten Sohn Barbu noch immer an der kurzen Leine, terrorisiert ihn regelrecht mit ihrer Liebe. Aber auch er schafft es nicht, sich von ihr zu befreien. Ödipus lässt grüßen. Als Barbu bei einem Autounfall ein Kind tötet, setzt sie Himmel und Hölle in Bewegung, um ihn vor einer Bestrafung zu beschützen.

Netzer schafft es mit seinem Kammer- und Klammerspiel auf und vor der Leinwand starke und widersprüchliche Gefühle zu generieren. Man kann diese Frau hassen oder/und Mitleid mit ihr haben. Die starke Hauptdarstellerin Luminita Gheorgiu hatte vorher Bedenken. „Sie hat bisher oft Frauen aus der unteren Mittelschicht gespielt“, erklärt Netzer. „Eine Dame der rumänischen High Society zu spielen war für sie neu. Davor hatte sie Angst.“ Sie lief mehrmals weg. „Aber sie ist immer wieder gekommen“, spielt er das herunter.

Wollte er seiner eigenen Mutter mit diesem Beziehungsdrama etwas sagen? „Nichts Bewusstes, aber vielleicht etwas Unbewusstes. Es ist ein therapeutischer Film“, räumt er ein. Sowohl seine als auch die Mutter seines Co-Autors Razvan Radulescu würden „in Richtung Cornelia gehen“. Aber Netzer entwirft hier nicht nur das Bild einer „pathologischen Beziehung“, er zeigt auch ein Rumänien, in dem bestochen wird und in dem Beweismittel verschwinden. Ist das landestypisch? „Korruption ist universell.“ wehrt er ab. „In Deutschland würden die Dinge zwar anders ablaufen, aber das Resultat könnte dasselbe sein.“

Der 1975 in Bukarest geborene Filmemacher ging in Deutschland zur Schule und anschließend zurück nach Bukarest, um Filmregie zu studieren. Als Filmland fand er seine Heimat interessanter als Deutschland. „Es gibt hier eine große Dynamik und ist sehr interessant, wie sich die Gesellschaft entwickelt“, sagt der Regisseur, der sehr gut Deutsch spricht. „Mutter und Sohn“ ist schon der zweite große Erfolg für das kleine Filmland Rumänien in Berlin. 2007 hatte dort Cristian Mungiu mit seinem Abtreibungsdrama „4 Monate, 3Wochen, 2 Tage“ gewonnen. Das rumänische Kinopublikum bevorzugt amerikanische Blockbuster. Das liege auch daran, dass es dort viele Multiplex-Kinos mit bis zu 20 Sälen gibt. „Mutter und Sohn“ haben 100.000 Zuschauer gesehen, ein Rekord. Viele der 21 Millionen Einwohner gehen lieber ins Theater. „Es ist noch ein weiter Weg, um das Publikum wieder in rumänische Filme zu bringen“, stöhnt Netzer, der weder familiär noch thematisch etwas mit dem gleichnamigen Ballkünstler zu tun hat. Auch orthopädisch nicht: „Ich habe viel kleinere Füße.“

„Mutter und Sohn“ läuft derzeit im Abaton (OmU), Holi, Passage und Zeise