Die “Spiegel“-Redakteurin Annette Bruhns wird am 1. Juni wohl zur Vorsitzenden von ProQuote wiedergewählt. Seit rund zwei Jahren kämpft sie dafür, dass mehr Frauen in den Medien zum Zuge kommen.

Hamburg. Chef ist sie schon. Genauer: Kapitänin. Vor zehn Jahren hat sich Annette Bruhns ihren Kleinmädchentraum erfüll und eine Segelyacht gekauft. „Viele Frauen können segeln, aber steuern trotzdem nicht die Schiffe in den Hafen. Das machen die Männer“, sagt Bruhns. Vielleicht musste sie erst auf den Ozean hinaus, um am eigenen Leib den Unterschied zu spüren zwischen Steuermann und Beifahrer. Zwischen Mitsegeln und Selbermachen. Die Erfahrung des Freiheitsgefühls an der Pinne, die Verantwortung auf den eigenen Schultern habe letztlich auch ihre Perspektive auf die Machtfrage geändert, sagt sie. „Das Ruder in der Hand zu haben macht einfach Spaß.“

Seit rund zwei Jahren kämpft Annette Bruhns dafür, dass mehr Frauen in den Medien zum Zuge kommen. Sie ist Vorsitzende der Journalisteninitiative ProQuote, die sich dafür einsetzt, mindestens 30 Prozent der Führungspositionen in Redaktionen in den nächsten fünf Jahren mit Frauen zu besetzen. Und sie kämpft lautstark, Seite an Seite mit bekannten Fernsehgesichtern wie Anne Will, Antonia Rados und Lisa Ortgies. Wie der Feuermelder bei Rauchalarm jault der ProQuote-Verein, der von mehr als 4500 Journalistinnen (und ein paar Journalisten) unterstützt wird, jedes Mal auf, wenn wieder ein männlicher Chefredakteur berufen wird oder aktuell der WDR das Rennen um den Intendantenposten unter drei Männern ausmacht. Bis drei Uhr nachts hat Bruhns vergangene Woche am Schreibtisch gesessen und eine wütende Pressemitteilung dazu verfasst. Eine Rüge, wie sie das nennt. Dabei lächelt sie, aber Spaß sieht anders aus. Es braucht kein ausgeprägtes Einfühlungsvermögen, um Bruhns Feindbild auszumachen: sogenannte Buddy-Seilschaften. Netzwerke, in denen ältere Männer jüngere Männer fördern. Männer, die so sind, wie sie selbst früher einmal waren. „Die klüngeln auf irgendwelchen Get-Together-Feiern, während die Frauen die Kinder ins Bett bringen“, sagt sie. Als junge Journalistin habe sie auch gedacht, dass Leistung allein sich auszahle. Dass man prima ohne Quote Karriere machen könne. Heute weiß sie, dass es nicht stimmt. Oder viel zu selten.

Einen Verein gründen wollte Bruhns ursprünglich nie — viel zu piefig. Sie wusste vor ProQuote-Zeiten auch nichts von den deutschlandweit rund 800 Fraueninitiativen. „Ich mache diesen Job ja nicht, weil ich mein eigenes Geschlecht so liebe“, sagt Bruhns, die alleinerziehende Mutter einer 13 Jahre alten Tochter ist. Sondern damit das „entscheidende Zeitfenster“ um die Bundestagswahl nicht ungenutzt bleibe. Und weil sie einen Beruf hat — seit 1995 ist Bruhns „Spiegel“-Redakteurin, derzeit betreut sie Hefte der Reihen „Spiegel Wissen“ und „Spiegel Geschichte“ —, in dem sie es sich leisten kann, sich mit ihren Thesen aus dem Fenster zu lehnen und Gegenwind einzufahren. „Dafür braucht man eine sichere Anstellung und tolerante Chefs“, sagt sie. Dass sie sich mit dem Amt verlagsübergreifend nicht nur Freunde macht, ist ihr klar. Alice Schwarzer zählt schließlich auch nicht zu den Top-Ten-Lieblingen der Medienbranche. Ernsthafte Probleme im eigenen Haus habe es wegen ProQuote allerdings nie gegeben. Wie verhalten sich die Chefs ihr gegenüber? „Zwei meiner direkten Vorgesetzten sind inzwischen selber im Verein. Die anderen schweigen. Ich hoffe, aus Respekt.“

Am 1. Juni wird Annette Bruhns mit großer Wahrscheinlichkeit zur Vorsitzenden wiedergewählt. Sie wolle das eigentlich gar nicht, erklärt sie mit der trotzigen Bestimmtheit eines Kindes. „Ich habe das Gefühl, dass ich genug getan habe. Aber es ist unklug, mitten im Rennen das Pferd zu wechseln.“

Bruhns hat es in den paar Monaten im öffentlichen Amt zu einiger Bekanntheit gebracht. Sie war zu Gast im „Morgenmagazin“, das NDR-Investivmagazin „Zapp“ schickte ein Kamerateam. Der Wechsel von der Beobachterposition auf die Bühne, ans Mikro behage ihr nicht sonderlich, sagt sie. In den Tagen, bevor sie die Unterstützerinnen von der Vereinsgründung überzeugen musste, legte sich ein kiloschwerer Druck auf ihre Ohren, der nicht weichen wollte. „Ich hatte das Gefühl, die Last der Welt läge auf meinen Schultern.“ Gleichzeitig redet Bruhns natürlich gern über die eigene Sache. Noch bevor man Platz genommen hat, drückt sie einem Anträge zur Mitgliedschaft in die Hand. Mit Zahlen zur Gleichberechtigungsdebatte wirft sie um sich wie mit Konfetti. Man könnte Bruhns wahrscheinlich nachts wecken und sie könnte die leitenden Redakteure einer beliebigen öffentlich-rechtlichen Anstalt herunterbeten.

Die Schwierigkeit von ProQuote besteht, neben der expliziten Forderung, auch darin, den richtigen Ton zu finden. Es wäre fatal, entwickelte sich die Bewegung zu einer Art feministischem Lynchmob mit Schaum vor dem Mund. Auch „lilalatzhosig“ dürfe es nicht werden, sagt Bruhns. Wenn sie sich in ihrer Funktion als ProQuote-Vorsitzende öffentlich äußere, habe sie immer Anne Will im Kopf. „Wenn ich jetzt blöd rüberkomme, färbt das womöglich auf so tolle Unterstützerinnen wie Anne Will ab.“ Sie muss häufig und viel über ProQuote sprechen. In Gedanken ist Annette Bruhns dann oft auf dem Wasser.