Der Filmessay mit Samuel Finzi und Pegah Ferydoni ist unbedingt sehenswert. Brillante Bilder, schnelle, harte Schnitte, raffiniertes Design. Fantastisch ist das alles, im wahrsten Sinne des Wortes.

Haben wir etwas verpasst und es gibt jetzt, nach etlichen Hightech-Krimi-Varianten als US-Import, auch noch die Version „CSI: Bayreuth“? Da liegt Samuel Finzi, in blutrote Seide verpackt, auf einem Lotterbett; die Kamera kreiselt virtuos durch das mondän geschwungene Treppenhaus der Leipziger Oper, als wäre es eine Hommage an Alfred Hitchcocks „Vertigo“ oder Christopher Nolans Träumeklau-Thriller „Inception“; in einer anderen Szene nimmt der Schauspieler ein Schaumbad und schäumt ungebremst Antisemitisches, während die Schöne neben ihm, Pegah Ferydoni im Karrierefrau-Anzug und mit steilen High Heels, brav und stumm jedes Schimpfwort des Meisters für die Nachwelt mitnotiert.

Die Kamera wirbelt uns über Schweizer Berge, durch eine futuristische „Ring“-Inszenierung und auch mal durchs Bayreuther Festspielhaus. Philippe Jordan, Maestro an der Pariser Oper, sagt: „Das ist eine gnadenlose Musik.“ Katharina Wagner sagt, es gehe hier um Urtriebe, und die seien immer interessant.

Brillante Bilder, schnelle, harte Schnitte, raffiniertes Design. Fantastisch ist das alles, im wahrsten Sinne des Wortes. Und in einem kaltgrauen Profiler-Bunker beugen sich Experten wahrheitssuchend über Beweisstücke, während auf Monitoren Noten und alte Fotografien das Leitmotiv dieser 90 Minuten umschreiben. Sind das hier noch Richard Wagner und Gattin Cosima, die in Hassliebe einander verbunden, bis der Tod in Venedig sie schied, wie hemmungslose Racheengel durchs flotte Dekor spuken, um gegen jede Gewohnheit so ganz anders auszusehen, viel moderner, viel unberechenbarer? Samtsakko zum Rüschenhemd (er), eitle Noblesse (sie). Oder, noch kürzer gefragt: Darf man das? Ausgerechnet mit einer Jahrhundertgestalt wie diesem Komponisten, ausgerechnet an dessen 200. Geburtstag?

Wenn es nach dem deutsch-französischen Kulturkanal Arte geht, nach diversen deutschen Partnersendern und der unter anderem in Berlin und Hamburg angesiedelten Gebrüder Beetz Filmproduktion, darf man nicht nur, man muss. Dringend. Und mindestens so radikal, wie dieses Experiment daherkommt und gelingt. „Wagnerwahn“, der erste Film einer „Kulturakte“-Reihe, zeigt, wie es gehen kann, wenn man Bildungsfernsehen fürs Hier und Jetzt anbieten will, für eine Generation, die bei Guido-Knopp-Frontalunterricht über tote Dichter oder Komponisten entweder einschläft, wegschaltet oder unterfordert zum Liken irgendwelcher Katzenvideos ins Internet abdreht.

Während Wagner nun auf den Sender geht, wird die Fortsetzung geschnitten: Lars Eidinger, unter den besten deutschen Schauspielern einer der besten, als Beethoven. Pheline Roggan, bekannt geworden mit Fatih Akins Hamburg-Hymne „Soul Kitchen“, gibt seine „Unsterbliche Geliebte“. In Planung sind außerdem Filme über Pasolini und Zarah Leander. Nur die ganz großen Fragezeichen also, Exzentriker, Genies, Unikate. Feinster Rätselstoff zum Entziffern.

Teil dieses „Kulturakte“-Konzepts, von dem sich viele der öffentlich-rechtlichen Kulturverabreicher dicke Scheiben abschneiden können, ist der konsequente multimediale Ansatz, um in allen Aggregatszuständen passende neue Reize zu bieten. So gibt es nicht nur das Film-Essay zu allerbester Sendezeit, sondern auch eine Graphic Novel in Buchform. Diese Comic-Version der Lebenserzählung flackert immer wieder im Film auf, aber auch, mit Zusatzinformationen versehen, in einer aufwendig gestalteten App: Tonbeispiele, Originaldokumente, Interviews, Lebens-Landkarte, eine Visualisierung der „Holländer“-Ouvertüre des Komponisten von Programmierer Stephen Malinkowski, der für die isländische Avantgarde-Elfe Björk die „Biohpilia“-App entworfen hat. All das als Grundversorgung der deutlich anderen Art und am 22./23.5. sogar kostenlos im iTunes Store erhältlich.

„Kinder, schafft Neues“, schrieb Wagner zu Lebzeiten, und „Hier gilt’s der Kunst“. Endlich traut sich mal jemand, diese Ansage für die Monitore der Gegenwart konsequent in Angriff zu nehmen. Besser als in Projekten wie diesem kann man Gebührengeld nicht anlegen. Einfacher garantiert.

„Wagnerwahn“, heute, 20.15 Uhr, Arte. 21.45 Uhr: Live aus Bayreuth: Geburtstagskonzert für Richard Wagner, Leitung: Christian Thielemann. 23.50 Uhr: Richard Wagner – eine Filmbiographie.

„Wagnerwahn“-App im iTunes Store (für iPhone und iPad, am 22.5. bis 23.5. gratis verfügbar).

„Wagner: Die Graphic Novel“ (Knesebeck, 48 Seiten., 19,95 Euro)