„Tore tanzt“ wurde von Studierenden der Hamburg Media School produziert. Der Film erzählt die Geschichte eines Mitglieds der Jesus Freaks, die sich vollkommen der religiösen Jugendbewegung verschrieben haben.

Hamburg. Dieser Film würde Lars von Trier gefallen. Was für ein deutsches Werk ein Alleinstellungsmerkmal sein dürfte. Der dänische Regisseur setzt in der Regel auf nachhaltige Zuschauerverstörung – also das Gegenteil weichgespülter Konsensfilme, wie sie hierzulande haufenweise gedreht werden. „Tore tanzt“ erzählt die Geschichte eines Mitglieds der Jesus Freaks, die sich vollkommen der religiösen Jugendbewegung verschrieben haben und auf der Suche nach ihrem Platz im Leben sind. Am Donnerstag feiert der Film Premiere beim Festival in Cannes (in der Reihe Un Certain Regard), in Deutschland wird er auf dem Filmfest Hamburg zu sehen sein.

Gleich mit dem ersten Langfilm nach Cannes – das ist ein bisschen wie gleich von der Uni auf den Chefsessel gehüpft. Cannes ist das Festival, auf dem sich weltweit die meiste Kinokunst auf einem Flecken ballt. Regisseurin Katrin Gebbe und Produzentin Verena Höfe-Gräft haben sich beim Studium an der Hamburg Media School (HMS) kennengelernt, 2009 haben sie mit der Arbeit an „Tore tanzt“ begonnen. Als es schließlich an die Dreharbeiten ging, war das Budget klein, die Darsteller weitgehend unbekannt, die Unkenrufe einiger Branchenkenner dafür umso lauter. Der Tenor: Das schafft ihr nie. Ein Film ohne klassische Liebesbeziehung, ohne sozial-dramatischem Unterbau, ohne Happy End. Mit einem sperrigen Hauptdarsteller, mit dem der Zuschauer erst warm werden muss.

„Mein bester Freund ist Jesus“, sagt der blonde Schlaks Tore, der mit seiner kindlichen Naivität zugleich nervt und rührt. Auf einer Autobahnraststätte legt er seinen Kopf auf die Motorhaube und bittet Jesus um Starthilfe. Es funktioniert. Aus der Zufallsbekanntschaft mit dem Fahrer Benno entwickelt sich eine Freundschaft. Als Tore Streit bekommt mit den Jesus Freaks, zieht er zu Benno und seiner Familie in den Schrebergarten. Was ihn dort allerdings erwartet, ist an Grausamkeit schwer zu übertreffen.

„Wir wollten weder ein klassisches Sozialdrama noch eine Kampusch-Geschichte erzählen“, sagt Produzentin Gräfe-Höft. Immer sei es ihr und Regisseurin Gebbe darum gegangen, Tores Schicksals mit glaubhafter Konsequenz zu erzählen. Und mit einer Bildsprache, die eine ganz eigene düstere Poesie entwickelt. Man denkt neben Regieberserker Lars von Trier vor allem an Lukas Moodyssons Menschenhandeldrama „Lilja-4-ever“. Dabei seien sie „nicht angetreten, den deutschen Film zu revolutionieren“, beeilt sich Höfe-Gräft zu sagen. Und doch dürfte es schwerfallen, in diesem Jahr einen deutschen Film zu finden, der die verstörende Kraft von „Tore tanzt“ besitzt. Darin sind sich zumindest all jene in der Hamburger Kinobranche einig, die den Film bereits sehen durften. Auch ein spontan von der Straße weggecastetes Testpublikum war äußerst angetan.

Wie verfilmt man Glaube? Wie Schuld und Zugehörigkeit? Diese grundlegende Fragestellung meistert „Tore tanzt“ mit einer Sicherheit, die für einen Erstlingsfilm erstaunlich ist. Er hat eine klare Haltung und verfällt doch nie in Schwarz-Weiß-Malerei. Familienvater Benno ist kein klassischer Bösewicht mit Knarre unterm Bett, sondern ein Typ, mit dem man ein Bierchen trinkt. Dass er seine Familie misshandelt, Tore quält, ist die dunkle Charakterseite, die sich erst allmählich offenbart. Gespielt wird Tore von Nachwuchsdarsteller Julius Feldmeier, der bereits auf der Bühne des Thalia Theaters in der Gaußstraße zu sehen war. Man wird noch von ihm hören. Und über „Tore tanzt“ wird man reden, so viel ist mal sicher.