Nina Kupczyk zeigt mit „Vanitas_Everyman“ kluges, sinnliches Musiktheater

Hamburg. Alles so schön grau hier. Das mit dunklen Stoffrosen bestickte Kleid der Sängerin, die vom Welken der Rosen singt. Zwei ungemütlich schweigsame Maskenträger, die zu Füßen eines Todgeweihten ihre mit Erde gefüllten Aktenkoffer entleeren. Der bleigraue Ball, den ein stilles Kind und die Sängerin zwischen sich hin und her rollen lassen kurz vorm fatalen Ende, bei dem es zu scheinbar endlos ersterbendem Celloklang nicht nur dem stillen Kind buchstäblich den Hals zuschnürt. Auch manchem Premierenbesucher stockte da der Atem.

„Vanitas_Everyman“ heißt das zweite, erneut überaus intelligent und schlüssig konzipierte Mini-Musiktheater aus der Serie „Black Box 20_21“, die die beiden dramaturgischen Führungskräfte der Hamburgischen Staatsoper Kerstin Schüssler-Bach und Francis Hüsers gemeinsam ersonnen haben. Nina Kupczyk hat das Stück jetzt mit einem vorzüglichen kleinen Ensemble in der Opera stabile inszeniert. Auch „Vanitas_Everyman“ ist das Produkt einer Verschränkung zweier autonom für sich existierender Kunstwerke. Doch während die Autoren beim Vorläufer „I Am Your Opus“ noch ganz in der Ideenwelt Aribert Reimanns blieben, wagen sie sich hier an die Montage der Mini-Oper „Vanitas“ von Salvatore Sciarrino („Stillleben in einem Akt für Mezzosopran, Cello und Klavier“) mit frei erzählten Auszügen aus dem Altmännerroman „Everyman“ von Philip Roth.

Die Klammer zwischen beiden ist jener Vanitas-Gedanke, der in Sonetten des Barock, etwa von Andreas Gryphius, an die Nutzlosigkeit allen menschlichen Strebens und Hoffens erinnert und der den Menschen mahnt, bloß seine Zeitlichkeit nie zu vergessen (Memento mori). Kupczyk fügt diese disparaten, dabei erstaunlich gut zueinander passenden Bausteine mit Ruhe und Sicherheit im Denken, Hören, Schauen und Fühlen zueinander. In ihrem Theater der leisen Töne (Rupert Burleigh, Klavier, Markus Tollmann, Cello), der überlegten Bewegungen, der zwingenden Blicke und Gesten führt sie ihre Protagonisten, darunter zwei wunderbar intensiv agierende alte Schauspieler, durch die polychromen Grautöne einer an Dürer erinnernden Melencolia (Bühne und Kostüme: Pascal Seibicke). Der musikalische Kern des Werks ist eine vielfach variierte, wie ein Irrlicht in die Tiefe taumelnde Melodie. Die Sängerin Rebecca Jo Loeb wiederholt sie engelsgeduldig als Mantra der Vergänglichkeit.

Die barocke Erkenntnis, diesseitiges menschliches Streben sei grundsätzlich nutzlos, gilt unvermindert. Nichts bleibt, wie es ist. Nichts bleibt überhaupt. Hier. Der Anfängergeist geht aus diesem kurzen, starken, schweren Stück leicht und beschwingt.

Nächste Vorstellungen: 24., 27. und 29.4., 20.00