Drei Veranstalter präsentieren im April Lesetage in Hamburg. Politisch wird dabei unnachgiebig gekämpft. Ein Streitgespräch.

Hamburg. Zum 15. Mal finden in diesem Jahr in Hamburg die "Vattenfall Lesetage" statt, vom 18. bis 25. April. Beinahe zeitgleich gibt es die "HEW(Hamburger Energie Wechsel)-Lesetage gegen Vattenfall", vom 15. bis 21. April. Ein drittes Lesefest, "Lesen ohne Atomstrom", wird vom 21. bis 26. April veranstaltet. Für Literaturfreunde mag es wie Glück oder Zufall aussehen, dass sie bei rund 150 Veranstaltungen (mehr als 100 davon allein bei den Vattenfall Lesetagen, bei denen das Abendblatt Medienpartner ist) Autoren und deren Büchern begegnen können. Doch hinter den alternativen Lesetagen steckt ganz bewusst das Konzept, dass man sich gegen den Energielieferanten von Atom- und Kohlestrom positioniert. Wir trafen die Programmgestalterin der Vattenfall Lesetage, Barbara Heine, und die Verlegerin Hanna Mittelstädt aus dem Organisationsteam der "Lesetage gegen Vattenfall", zu einem Streitgespräch.

Hamburger Abendblatt: Drei Lesefeste mit namhaften Autoren - worin unterscheiden Sie sich?

Hanna Mittelstädt: Wir sind ein politisches Kampfprogramm gegen die Vattenfall Lesetage, gegen die Vattenfall Energiepolitik. Wir sind gegen ein Lesefest, das den Namen eines Energiekonzerns trägt, der Atomenergie und Kohlestrom herstellt. Wir wollen zeigen, dass man ein Lesefest auch ohne den Sponsor Vattenfall veranstalten kann. Wir sind ein Organisationsteam, das alles selbst macht. Wir wollen dezentrale, erneuerbare Energie und übertragen diese Forderung auf die Kultur.

Barbara Heine: Es spricht nichts dagegen, noch viel mehr Lesungen in Hamburg zu veranstalten. Ich bezweifle allerdings, dass es richtig ist, Kultur gegen Kultur einzusetzen. Die Vattenfall Lesetage sind seit 15 Jahren ein traditionsreiches Original. Ich verantworte das Programm seit elf Jahren und habe keinerlei Auflagen. Ich kann Menschen aus vielen Ländern zusammenholen. Wir stehen für Dialog, Offenheit, Begegnung. Ich glaube, vom Programm her sind wir beide gar nicht so weit auseinander. Ich finde es fast tragisch, dass Auseinandersetzungen über Energiepolitik auf dem Rücken der Kultur ausgetragen werden. Leider ist das Programm der 'Lesetage gegen Vattenfall' darauf ausgerichtet, dass es unsere Lesetage nicht mehr geben soll. Ich finde das sehr unglücklich, dass einige Autoren anderen Autoren ihre Auftritte kaputt machen sollen.

Mittelstädt: Wir sind nicht nur gegen die Energiepolitik, sondern gegen das 'Greenwashing', dass ein Lesefest dafür sorgen soll, eine Marke durchzusetzen. Der Name des Unternehmens als Festival-Titel, das ist einmalig in Deutschland. So etwas sollte es nicht geben.

Heine: Ich hätte auch gerne den Titel 'Hamburger Lesetage' behalten. Aber nun heißt es anders, und wir sind froh, dass das Festival erhalten bleiben konnte. Ich höre bei Ihnen heraus, dass Sie grundsätzlich gegen große Sponsoren sind. Ohne die geht es aber nicht. Ihr Festival wird dagegen von der Linken gefördert, das finde ich problematisch, weil Parteipolitik sich aus so etwas raushalten sollte.

Mittelstädt: Bei uns nimmt keiner der Unterstützer Einfluss. Wir sind acht Organisatoren, die das alles völlig unabhängig machen.

Wie sollen Literaturfans, normale Besucher, sich orientieren und die Veranstalter unterscheiden können?

Mittelstädt: Bei uns geht es um gesellschaftliche Lernprozesse. Wir veranstalten ein partizipatives Lesefestival mit Menschen, die sich bewusst gegen Vattenfall positionieren wollen, beispielsweise Ingo Schulze bei seiner Eröffnungsveranstaltung auf Kampnagel.

Heine: Und davor wird ein politischer Vortrag gehalten.

Mittelstädt: Nein. Eine Diskussion. Über Kultur als Ware.

Heine: Ich glaube, dass es bei Kultur immer auch um die Frage geht 'Wie wollen wir leben?'. Insofern sind wir gar nicht so weit auseinander.

Worin bestehen ihre programmatischen Unterschiede?

Mittelstädt: Kultur ist Kultur. Insoweit gibt es keine. Aber wir wollen über gesellschaftliche Probleme reden.

Heine: Ich möchte Inhalte an die Menschen bringen, Literatur. In diesem Jahr bin ich auch stolz darauf, eine so großartige Autorin wie Taiye Selasi im Programm zu haben. Die habe ich entdeckt, bevor der Hype um sie losging. Ich bringe afrikanische Autoren hierher, Schriftsteller aus 14 Ländern, Zeitzeugen aus der NS-Zeit, Jugendliteratur, Geschichte und auch Event. Jedes Jahr kommen Zuschauer im fünfstelligen Bereich. Das zeigt doch, dass das Programm angenommen wird. Ich finde auch, Autoren sollen bezahlt werden und nicht auf Luftmatratzen schlafen und froh sein, dass sie eine Lesung halten dürfen.

Mittelstädt: Natürlich würden wir auch gerne Ihren Etat haben, aber wir bezahlen die Autoren auch.

Heine: Ich finde es problematisch, wenn man erst mal politisch Stellung beziehen muss, wenn man sich für Literatur interessiert.

Mittelstädt: Das wäre nicht so gekommen, wenn die Lesetage nicht Vattenfall heißen würden.

Heine: Das nehme ich als Kompliment. Wenn wir nicht so erfolgreich wären, hätten Sie sich nicht gedacht, wie schlau es ist, eine Konkurrenzveranstaltung zu organisieren.

Mittelstädt: Doch, weil wir eine Kampfposition haben.

Ist es denkbar, dass es eine Form von gegenseitiger Akzeptanz bei Ihnen gibt?

Mittelstädt: Nein, wir richten uns ausdrücklich gegen den Namen 'Vattenfall Lesetage'.

Heine: Ich richte das Programm so aus, wie ich es für künstlerisch wichtig halte. Wir konkurrieren nicht.

Und wenn der Name sich ändert?

Mittelstädt: Dann müssen wir neu diskutieren.

Ist es in klammen Zeiten wichtig, dass Sponsoren jeglicher Couleur Geld für die Kultur ausgeben?

Mittelstädt: Ja. Da werden ja Gewinne gemacht. Warum sollten die nicht in die Kultur fließen?

Heine: Ich fürchte, der Trend geht von der Kultur weg. Mir würde gefallen, wenn alle, denen Kultur wichtig ist, etwas zusammen auf die Beine stellten.

Mittelstädt: Kultur ist ein sehr allgemeiner Begriff.