Am Donnerstag kommt ein ungewöhnlicher norddeutscher Heimatfilm ins Kino: Er zeigt aus der Vogelperspektive, wie der Fluss zum Strom wird - und interessante Menschen, die an seinen Ufern leben.

Distanz schafft Überblick. Aus etwa 200 Meter Höhe lassen sich Struktur und Charakter einer Landschaft wunderbar erkennen. Dass die Vogelperspektive auch die Ästhetik eines Flusslaufs offenbaren kann, beweist der Kameramann Michael Dreyer. Bei der Produktion des dokumentarischen Kinofilms "Die Elbe von oben", der am Donnerstag anläuft, hat er mit einer speziellen Kamera gearbeitet, die an einem Helikopter befestigt ist. Aus Distanz wird immer dann Nähe, wenn Dreyer aus dem großen Panorama an ein Detail heranzoomt und ein Boot, ein Haus, einen Menschen in den Fokus nimmt.

"Die Elbe von oben" von Regisseur Marcus Fischötter zeigt nicht den ganzen Fluss, der im tschechischen Riesengebirge entspringt und landschaftliche Höhepunkte wie die Böhmische und die Sächsische Schweiz, das unvermutet südlich anmutende Weinanbaugebiet um den mittelalterlichen Bischofssitz Meißen und alte Kulturstädte wie Dresden, Torgau und Magdeburg durchfließt. Nichts davon ist zu sehen, gezeigt werden die letzten 250 Kilometer, in denen sich die Elbe von Schnackenburg bis zur Küstenstadt Cuxhaven windet, wo Deutschlands zweitlängster Fluss in die Nordsee mündet. Es ist der norddeutsche Blick auf den Strom, der erst hier zu seiner wahren Größe findet. Nach und nach wird aus der manchmal noch verträumten und idyllischen Elbe ein gewaltiger Strom, der jenseits von Hamburg immer weiter anschwillt und bald eine Breite von mehreren Kilometern erreicht.

Es ist ein norddeutscher Heimatfilm, der in Bildern schwelgt und einen der letzten europäischen Flüsse zeigt, die trotz vieler Eingriffe auf weiten Strecken noch relativ naturnah geblieben sind. Die Siedlungsstrukturen von Rundlingsdörfern im Wendland, deren Höfe sich kreisförmig um den Dorfplatz gruppieren, lassen sich aus der Luft gut erkennen. Dann wechselt die Perspektive, und aus dem Panorama der Landschaften, Städte und Dörfer werden Nahaufnahmen von einzelnen Menschen. Was sie erzählen, sind Geschichten vom Leben am Fluss.

Manchmal geht es dabei auch um große historische Ereignisse, denn Heimatgeschichte ist der Mikrokosmos der Weltgeschichte: Vier Jahrzehnte lang verlief zwischen Schnackenburg und Lauenburg auf knapp 100 Kilometern die in ihrem genauen Verlauf bis zuletzt umstrittene innerdeutsche Grenze. Das am DDR-Flussufer gelegene Rüterberg war - weil es dort günstige Fluchtmöglichkeiten gab - während der DDR-Ära komplett abgeschottet. Der langjährige Bürgermeister Meinhard Schmechel erzählt, dass der einzige Zugang zum Dorf abends um 21 Uhr geschlossen und erst am nächsten Morgen um fünf wieder geöffnet wurde. "Wir waren die am besten bewachten Menschen im Land", sagt Schmechel, der dann von der Gründung der Dorfrepublik Rüterberg berichtet. Zu diesem Akt des Ungehorsams und der Selbstbehauptung kam es am 8. November 1989. Tags darauf fiel die Mauer in Berlin - und wenig später auch der Stacheldrahtzaun, der die 150 Bewohner Rüterbergs von der Elbe und dem Rest der Welt trennte. Was das für die Menschen bedeutet hat, lässt der Film zumindest erahnen.

„Es tut weh, wenn ich hier stehe“, sagt die frühere Küsterin von Altenwerder

Immer wieder geht es um Schicksale, die sich mit dem Leben am Strom verbinden. So erzählt Elisabeth Schwartau, die frühere Küsterin der St. Gertrudkirche von Altenwerder, was sie empfunden hat, als ihr Haus und ihr ganzes Dorf vom Erdboden verschwanden. 1961 hatte der Hamburger Senat beschlossen, Altenwerder der Hafenerweiterung zu opfern, 1978 rollten die Bagger an. Noch heute geht Elisabeth Schwartau an die Stelle, wo früher ihr Haus stand, dessen Grundstück 300 Jahre lang im Familienbesitz war. "Es tut weh, wenn ich hier stehe", sagt die alte Dame, die zu jenen Dorfbewohnern gehört, deren Protest dazu geführt hat, dass wenigstens die Kirche im Dorf blieb, auch als es das längst nicht mehr gab. Heute steht St. Gertrud auf einem absurd schmalen Grünstreifen zwischen Containergebirgen und dem Betonstrang der Autobahn, wie die Luftaufnahme zeigt.

Wenig später kommt die Hamburger Innenstadt ins Bild, mit HafenCity und Speicherstadt, St. Pauli-Landungsbrücken und immer zahlreicheren und immer größeren Schiffen auf dem Strom. Winzig klein erscheint der Aussichtsturm auf dem Süllberg, doch bald wird er größer, und schließlich erkennt man einen Mann, der ganz oben steht, die Kamera im Anschlag. Es ist Thomas Kunadt, ein Shipspotter, der hier den idealen Platz gefunden hat, um die dicken Pötte auf der Elbe zu fotografieren. Über manchen dieser Menschen am Strom hätte man gern mehr erfahren, aber diesen langen Atem kann ein Film nicht haben, der alles im Fluss, alles in Bewegung zeigen und nirgendwo länger verharren will.

Dafür bietet er großartige Bilder, Ein- und Überblicke wie in einem heimatkundlichen Miniaturwunderland.

Groß sind die Kontraste zwischen Urbanität und Idylle. Nicht weit vor den Hamburger Stadtgrenzen liegen Elbinseln, die einsam und verwunschen sind. Industrieanlagen und Obstplantagen, Fachwerkhäuser und Atomkraftwerke, Naturreservate und Hafenanlagen wechseln sich an den Ufern eines der am meisten befahrenen Flüsse Europas ab, der hier schon unter dem Einfluss der Gezeiten steht.

Mehr als 15 Kilometer ist die Elbe breit, wenn die Helikopter-Kamera den Mündungstrichter bei Cuxhaven als grandioses Panorama zeigt. Spielzeughaft klein ist die Insel Neuwerk, ein einsamer Hamburger Außenposten, hinter dem sich der Fluss endgültig im Meer verliert.

Bewertung: empfehlenswert

"Die Elbe von oben" Deutschland 2013, 92 Min., o. .A, Regie: Marcus Fischötter, Kamera: Michael Dreyer, täglich im Abaton; Infos im Internet unter www.im-film.de