Vor 66 Jahren reiste der Norweger Thor Heyerdahl auf dem Floß “Kon-Tiki“ 8000 Kilometer über den Pazifik. Expedition als Spielfilm im Kino.

Viele hielten sie für verrückt. Vom peruanischen Callao aus stach 1947 ein simples Floß mit einer sechsköpfigen Besatzung in See. Fünf Norweger und ein Schwede wollten beweisen, dass man von dort aus das fast 8000 Kilometer entfernte Polynesien erreichen konnte, wenn man sich nur mit der Strömung treiben ließ. Chef an Bord war der Norweger Thor Heyerdahl. 101 Tage später kamen er und seine Männer tatsächlich auf der Inselgruppe an. Der Spielfilm "Kon-Tiki", der am Donnerstag in den Kinos anlief, zeichnet ihre abenteuerliche Reise jetzt nach.

Das spartanisch ausgestattete Floß aus neun Balsa-Holzstämmen war nur 15 Meter lang und sechs Meter breit. Es war dem Passatwind, den Wellen und dem Humboldt-Strom ausgesetzt. Es hatte ein langes Ruder am Achterdeck, aber das erwies sich als nur wenig geeignet, um das Gefährt zu steuern. Heyerdahl wollte zeigen, dass die Inka schon vor Jahrhunderten so eine Reise hätten bewältigen können.

Also benannte er sein Floß nach dem Inka-Sonnengott und verzichtete an Bord auf moderne Hilfsmittel, mit Ausnahme eines Funkgeräts. Während der Fahrt begegneten sie fliegenden Fischen, Haien und Walen. Aus dem Meer fischten sie den einen Teil ihrer Nahrung, Kokosnüsse und Ananaskonserven hatten sie zusätzlich an Bord.

Nur wenig hatte darauf hingedeutet, dass Heyerdahl einmal so eine gewagte Expedition unternehmen würde. Als Kind war er wasserscheu und blieb lange Nichtschwimmer. Schon früh zeigte er aber ein ausgeprägtes Interesse an der Natur. Als er seine erste Frau Liv kennenlernte, fragte er sie kurz darauf, ob sie es sich vorstellen könnte, mit ihm auf einer einsamen Südseeinsel zu leben. Konnte sie. Ein Jahr verbrachten sie zusammen in paradiesischer Einfachheit auf Fatu Hiva, die zu den Marquesas gehört. Dort fand Heyerdahl auch die steinerne Statuen, die Ähnlichkeiten zu entsprechenden Skulpturen in Amerika aufwiesen. Aus dieser Entdeckung ging letztlich die Idee zu der "Kon-Tiki"-Expedition hervor.

Die Floßfahrt begründete den Ruf Heyerdahls als Forscher. Er wünschte sich die Anerkennung seiner Arbeit durch die traditionellen Archäologen und Ethnologen, aber die reagierten damals zurückhaltend auf seine Forschungsreisen. Einige seiner Prämissen hielten sie für unwahrscheinlich. Dabei wird in der Gegenwart nicht die grundsätzliche Bedeutung seines Ansatzes angezweifelt, wie Professor Frank Mikulka, Archäologe an der Universität Hamburg, bestätigt. "Die Experimentelle Archäologie, und dazu gehören neben handwerklichen Techniken auch die Werkzeugproduktion, Haus-, Ofen- und auch Bootsbau, ist bis heute ein sehr wichtiger methodischer Zweig der archäologischen Forschung." Archäologische Schiffsnachbauten habe es bereits mehrere gegeben. Von den Einbäume der Bronzezeit im Archäologischen Zentrum Hitzacker über die Römerschiffe im Rhein, Slawenschiff im Freilichtmuseum Groß Raden/Mecklenburg-Vorpommern bis hin zum Wikingerschiff in Roskilde. "Die Bauweise der Schiffe und deren Funktionstüchtigkeit zu testen, das sind ernsthafte wissenschaftliche Fragestellungen. So ergeben sich auch Einblicke in die Verkehrsmöglichkeiten und daraus resultierend auch auf Kommunikation und Interaktion von Menschen. Für die gegenseitige kulturelle Beeinflussung sind diese Fluss- und Seefahrzeuge immer und überall von entscheidender Bedeutung gewesen."

Seinen unkonventionellen und experimentierfreudigen Ansatz setzte Heyerdahl später bei zahlreichen anderen Expeditionen fort. Sie führten ihn unter anderem auf die Galàpagos-Inseln, auf die Osterinsel, die Malediven und nach Teneriffa. 1969 unternahm er eine Reise von Marokko aus in Richtung Amerika mit einem nach alten Vorbildern entworfenen Papyrusboot. Als das Boot sank, versuchte er es ein Jahr später mit einem Neubau noch einmal und erreichte Barbados.

Heyerdahl war sehr geschickt in Sachen Selbstvermarktung. Schon während der Reise wurden die Funksprüche vom "Kon-Tiki" von den Zeitungen in vielen Ländern nachgedruckt. Nach seiner Rückkehr schrieb er ein Buch über die Seereise, das in 67 Sprachen übersetzt und 50 Millionen Mal verkauft wurde. Aus den an Bord entstandenen 16-Millimeter-Filmaufnahmen schnitt er den Dokumentarfilm "Kon-Tiki", der 1951 als erster norwegischer Film überhaupt einen Oscar gewann. Man muss die Popularität des Norwegers und seiner abenteuerlichen Reisen auch vor dem Zeitgeist sehen. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs waren die Menschen neugierig auf anderen Themen und Protagonisten. Ein Jahr nachdem die Amerikaner mit mehreren Kilotonnen Nuklearsprengstoff versucht hatten das Bikini-Atoll zu pulverisieren, brachen Heyerdahl und seine Männer mit einem Floß auf in ihr Forschungsabenteuer, fast schon wie Huckleberry Finn und Jim auf dem Mississippi.

Die Expedition der jungen Männer sprach auch bei vielen älteren Herren das "Kind im Manne" an. Als Heyerdahl 2002 im Alter von 87 Jahren starb, hatte er seine norwegischen Naturforscher-Kollegen und "Vorgänger" Fridtjof Nansen und Roald Amundsen in puncto Popularität mindestens erreicht, wenn nicht überholt.

2006 brach der Enkel des Forschers, Olav Heyerdahl, mit einem fast baugleichen Floß auf, um die Reise seines Großvaters auf der gleichen Route erneut zu versuchen. Auch er kam wohlbehalten an, benötigte für die Reise aber wegen einer verbesserten Steuertechnik 30 Tage weniger als sein Großvater gut 60 Jahre vorher.

Lange hatte man vergeblich versucht, Thor Heyerdahl zu überreden, seine Lebensgeschichte für einen Spielfilm freizugeben. Dem britischen Produzenten Jeremy Thomas gelang es schließlich. Die Regisseure Joachim Rønning und Espen Sandberg konnten für "Kon-Tiki" jetzt aus dem Vollen schöpfen. Mit einem Budget von 16 Millionen Dollar konnten sie die größte norwegische Produktion überhaupt inszenieren. Sie drehten 59 Tage lang in sechs Ländern, setzten viele Special Effects ein, machten aus der Überfahrt eine Mischung aus Denkmalschutz und einem spektakulären Hochseeabenteuer mit Haien und Walbegegnungen. Ihre Prämisse lautete: "Die Menschen haben damals nicht 50 Millionen Bücher gekauft, weil sie sich so sehr für Migrationstheorien interessierten."

Sie wollten ein junges Publikum ansprechen und sich zugleich vom Dokumentarfilm absetzen. "Die Männer auf dem Floß haben die Kamera aus der Hand gelegt, wenn etwas Dramatisches passierte. Wir können das jetzt zeigen", sagt Sandberg. Die Rechnung ging auf. Allein in Norwegen sahen den Film fast 900.000 Zuschauer. Die Gesamtbevölkerung des Landes beträgt fünf Millionen. Der Film war sowohl für den Auslands-Oscar als auch für einen Golden Globe nominiert.

Die beiden Regisseure, die sich seit ihrer Kindheit kennen, arbeiten stets zusammen. Weil man in Norwegen von der Regie für Spielfilme allein nicht leben kann, drehen sie mit ihrer Produktionsgesellschaft Roenberg auch Werbespots. "Das macht Spaß, hält uns fit, und wir können neue Technik ausprobieren", sagt Rønning. In Deutschland werden sie seit Jahren durch die Hamburger Firma Markenfilm repräsentiert. "Wir sind mindestens zweimal im Jahr in Hamburg, um Werbung zu drehen", sagt Sandberg. "Schöne Stadt!"

Der Film: täglich im Abaton, (OmU), Studio, UCI Mundsburg/ Wandsbek; www.kontiki-derfilm.de Das Buch: Ragnar Kvam jr., aus dem Norwegischen übersetzt von Karl-Ludwig Wettig. Heyerdahl. Auf dem Floß zum Forscherruhm. Mare Verlag, 463 Seiten, 24 Euro Das Museum: www.kon-tiki.no