Rockmusiker Steven Wilson stellt sein grandioses drittes Soloalbum “The Raven“ im CCH vor

CCH. Historisches Bewusstsein ist nützlich. Auch für Musiker, die vorausschauen. So wie Steven Wilson. Der 45 Jahre alte Engländer ist einer der kreativsten Geister der zeitgenössischen Rock-Musik. Er ist an verschiedensten Projekten beteiligt - als Komponist, Sänger, Gitarrist, Pianist, aber auch als Produzent und Toningenieur. Er ist Kopf der 1987 gegründeten Band Porcupine Tree. Daneben erkundet Wilson in zahlreichen anderen Formationen wie Storm Corrosion, I.E.M., No-Man, Blackfield und Bass Communion stilistisch unterschiedliche Landschaften. Und last but not least hat er mit den Alben "Insurgentes" (2008) und "Grace for Drowning" (2011) zwei experimentierfreudige Solo-Alben herausgebracht. Das Meisterstück aber ist Wilsons gerade erschienenes drittes Solo-Album "The Raven That Refused to Sing", das er an diesem Donnerstag im CCH 2 vorstellt.

"The Raven" hat das Zeug zu einem Klassiker. Denn Wilson knüpft kongenial an die Blütezeit des Progressive Rock an, deren Niveau seit den Mittsiebzigern nicht mehr erreicht wurde. Damals schien in der Rockmusik alles möglich; Anregungen aus anderen Genres wie Klassik, Jazz und Choralmusik wurden vom gut ausgebildeten Nachwuchs begierig aufgenommen und in Songs verarbeitet, bei denen raffinierte Arrangements mit häufigen Motivwechseln und komplizierter Rhythmik zum guten Ton gehörten. Der Punk mit seinen reduzierten technischen und kompositorischen Ansprüchen beendete damals den kreativen Höhenflug.

Steven Wilson zählt zu den zeitgenössischen Musikern, die sich in ihrer Arbeit auf den Prog- oder Artrock von damals berufen. Doch in seine Musik sind auch viele spätere Einflüsse wie etwa Ambient, Noise oder Metal eingegangen. Den für "The Raven" entscheidenden Schritt zurück zu den Prog-Wurzeln hat Steven Wilson in den vergangenen Jahren gemacht, als er von den Ahnherren eingeladen wurde, Remixes einiger Klassiker anzufertigen, die tontechnisch verbesserungsfähig waren. Die intensive Studio-Arbeit an Schlüsselwerken wie dem Debüt von Emerson, Lake & Palmer und ihrem "Tarkus", an Jethro Tulls "Thick As A Brick" und allein acht Alben von King Crimson blieb nicht ohne Folgen. Wilson war so angetan vom Sound der Seventies und von den spezifischen Produktionsbedingungen, dass er den Geist jener Zeit für sein neues Album auferstehen lassen wollte.

Dafür holte er sich für die Produktion von "The Raven" einen Toningenieur, der am Prog-Sound aktiv mitgearbeitet hat, nämlich Alan Parsons, der bereits in den Abbey Road Studios an Beatles-Einspielungen beteiligt war und dessen Arbeit für Pink Floyds "Dark Side of the Moon" legendär ist (mit seiner eigenen Retro-Show ist er an diesem Freitag in der ausverkauften Laeiszhalle zu Gast). Außerdem entschied sich Wilson dafür, die "Raven"-Songs wie beim Jazz in einer Session, also quasi live einzuspielen, um das Ganze lebendiger klingen zu lassen als moderne, technikfixierte Produktionen. Und der Komponist hat sein neues Material zeittypisch instrumentiert, mit Hammondorgel, Fender Rhodes E-Piano, Moog Synthesizer und Querflöte.

Melodien, Rhythmus und die Dynamik sind extrem abwechslungsreich

Das Ergebnis ist grandios. Ein Konzeptalbum mit sechs Songs, die unheimliche Geschichten erzählen. Typisch fürs Genre, dass jedes der Stücke - abgesehen vom lyrischen, eingängigen Titelsong - extrem abwechslungsreich ist, was Melodien, Rhythmen und die Dynamik betrifft. Vieles von "The Raven" klingt sehr vertraut, einiges nach King Crimson und Van der Graaf Generator, manches nach Genesis und Gentle Giant, aber auch nach Zeitgenössischem wie Radiohead. Doch das Album ist kein bisschen epigonal, sondern künstlerisch eigenständig - es definiert Progrock von heute neu.

Das Publikum auf der Tour wird davon profitieren, dass Steven Wilson "The Raven" als Projekt mit Live-Charakter geplant hat - inklusive einem fantastischen Artwork des Malers Hajo Mueller. Mit Guthrie Govan (Gitarre), Adam Holzman (Keyboards, Hammondorgel, Piano, Minimoog) Nick Beggs (Bass), Theo Travis (Saxofon, Querflöte, Klarinette) und dem deutschen Schlagzeuger Marco Minnemann hat Mastermind Steve Wilson die Musiker gefunden, die ihn insoweit entlasten, dass er selbst in seine Wunschrolle schlüpfen kann: Als eine Art Musical Director nach dem Vorbild von Frank Zappa. Es deutet einiges darauf hin, dass dies ein historischer Abend im CCH werden könnte.

Steven Wilson Do 14.3., 20.00, CCH 2 (S Dammtor), Marseiller Straße, Karten ab 43,50 im Vvk.; http://stevenwilsonhq.com/