Die kanadische Sängerin lief erst langsam zu großer Form auf

Hamburg. Die High Heels sind zu hoch und zu eng. Da das Singen mit schmerzenden Füßen nur bedingt Spaß macht, verschwindet Nelly Furtado mitten im Konzert mal schnell in der Garderobe, um die hochhackigen Schuhe gegen eine Paar flache Stiefel zu tauschen, die mit ihrer Glitzerspitze auch viel besser zu dem Glitzerröckchen passen, das sie über die Leggins gezogen hat. Ihr Bühnenoutfit wirkt etwas zusammengesucht, aber das scheint der Kanadierin egal zu sein. Und ihrem Publikum in der seit Wochen ausverkauften Großen Freiheit 36 auch, das Wichtigste ist ihre Stimme. Die klingt klar und mächtig und dominiert den Sound ihrer versierten sechsköpfigen Band.

Doch es braucht eine ganze Weile, bis die 33 Jahre alte Sängerin sich warmgesungen hat und wirklich in dem Kiezclub angekommen ist. Zu Beginn des Auftritts beschleicht einen das Gefühl, als würde hier nicht mehr als eine routinierte Show abgespult, die in Köln, Berlin und München genauso ablaufen könnte.

Doch mit den neuen Schuhen gewinnt das Konzert an Fahrt. Gerade hat sie mit ihrem frühen Hit "I'm Like A Bird" für Begeisterungsstürme gesorgt, für "Forca" legt sie noch eine Schippe drauf und beim folgenden "Turn Off The Light" darf ihr Gitarrist Sean Kelly zeigen, das er nicht nur Rockriffs, sondern auch den Blues beherrscht.

Stilistischer Abwechslungsreichtum zeichnet überhaupt den Abend aus. Angefangen hat er mit Dance-Pop und "Spirit Indestructible", dem Titelsong ihres aktuellen Albums. Aber Furtado beherrscht weit mehr als nur Mainstream-Pop mit einfachem 4/4-Rhythmen. "Mit "Quando, Quando, Quando" wagt sie sich in die Gefilde des Bar-Jazz, "Try" ist eine einfühlsame Ballade, aber sie kann sich auch in eine knallharte Rockerin verwandeln wie beim Cover des Timbaland-Songs "Give It To Me". Aber meisten aber überrascht sie mit ihren Rap-Fähigkeiten. Bei "Big Hoops", ebenfalls vom neuen Album, legt sie einen schnellen, erstklassigen Flow hin, dass man ihr raten möchte, demnächst mal ein ganzes Hip-Hop-Album aufzunehmen.

Ungewöhnlich wäre das für Furtado sicher nicht, weil sie ihren eigenen Kopf hat und nie das tut, was eine Plattenfirma von ihr erwartet. Deshalb endete die Zusammenarbeit mit Geffen Records schon vor Jahren, als Furtado durchsetzte, ein Album in spanischer Sprache aufzunehmen, woran das Label kein Interesse hatte. Nach jahrelangem Tourneestress und einem Burn-out-Syndrom hatte die Grammy-Preisträgerin sogar überlegt, ihre Popkarriere zu beenden, sich ihrer Rolle als Mutter zu widmen und nur ab und an als Schauspielerin und Moderatorin zu arbeiten. Ursprünglich sollte ihre fünfte Studioplatte bereits 2010 erscheinen, letztlich dauerte es zwei weitere Jahre, bis "The Spirit Indestructible" fertig war.

Immerhin sechs der zwölf neuen Songs singt sie beim Hamburger Konzert, die anderen 16 Nummern stammen von älteren Erfolgsalben wie "Loose" oder sind Coverversionen wie Madonnas "Like A Prayer", das sie für den Zugabenteil gewählt hat. Dafür werden extra zwei große Tische mit brennenden Kerzen auf die Bühne getragen, um dem Raum ein wenig sakrales Ambiente zu geben. Funktioniert jedoch nicht, weil die Kerzen im grellen Scheinwerferlicht nur matt strahlen. Überhaupt ist das Bühnenambiente etwas lieblos zusammengestellt. Auch die zwei großen "Lalalalala"-Tafeln bei "High Life" wirken etwas befremdlich, denn für den Minimal-Refrain braucht es keine Gedächtnisstütze.

Am Ende konnten die Fans jedoch mit dem Konzert zufrieden sein, denn gerade in der zweiten Hälfte der 90-minütigen Show drehte Furtado mächtig auf und legte die anfängliche Reserviertheit völlig ab. Bloß gut, dass sie die Schuhe gewechselt hat.