Die geplante Abschaltung von ZDFkultur beschert dem Zweiten ein Imageproblem und stellt zugleich die Digitalstrategie des Senders infrage

Hamburg. Um die außerordentliche Bedeutung der selbst gestellten Aufgabe zu veranschaulichen, benutzte der ehemalige ZDF-Intendant Markus Schächter eine biblische Metapher. Auf Branchentreffen und in Interviews erzählte er gern, dass sich im Gegensatz zur ARD, die ja ihre Dritten Programme habe, das ZDF als Ein-Kanal-Sender in einer "babylonischen Gefangenschaft" befinde. Aus dieser misslichen Lage sollte sich das Zweite auf Wunsch des Intendanten mit einer Neupositionierung seiner Digitalkanäle befreien.

So geschah es auch. Aus den unattraktiven Abspielstationen ZDFdokukanal, ZDFtheaterkanal und ZDFinfokanal, die fast ausschließlich Wiederholungen versendeten, wurden ZDFneo, ZDFkultur und ZDFinfo. Die Schaffung eines experimentierfreudigen Kanals für unter 60-Jährige, eines Kulturkanals mit dem Schwerpunkt Popkultur und eines Nachrichtenkanals galt als großer Wurf. Die digitale Programmreform war Schächters Vermächtnis.

Ein knappes Jahr nachdem sich der Intendant in den Ruhestand verabschiedet hat, ist sein Reformwerk nur noch ein Torso. Schächters Nachfolger Thomas Bellut will dem ZDF-Fernsehrat und den Bundesländern vorschlagen, ZDFkultur abzuschalten. Er begründet dies mit der "von der Politik geforderten Beitragsstabilität". Tatsächlich macht dem ZDF derzeit weniger die "Beitragsstabilität" zu schaffen als vielmehr ein Versäumnis von Belluts Vorgänger. Schächter hatte es versäumt, die neuen Stellen, die im Rahmen seiner Digitaloffensive geschaffen wurden, der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) zu melden. Daher hat das ZDF keinen Anspruch auf Mittel für das neue Personal. Bis 2016 muss es nun jährlich 75 Millionen Euro einsparen, weshalb 400 Vollzeitstellen gestrichen werden sollen.

Aber nicht nur Schächters KEF-Fauxpas lässt seine Digitalreform heute in einem weniger freundlichen Licht erscheinen. So hatte zwar niemand von ZDFkultur hohe Quoten erwartet. Doch ein Marktanteil von 0,1 Prozent ist schon etwas kümmerlich. Dabei wurden mit dem Talk "Roche & Böhmermann", der Sitcom "Götter wie wir" und dem Magazin "Kulturpalast" dieses Jahr gleich drei ZDFkultur-Produktionen für den renommierten Grimme-Preis nominiert.

Womöglich schaltet die avisierte Zielgruppe ZDFkultur auch nur deshalb nicht ein, weil sie dem Zweiten keinerlei Popkultur-Kompetenz zutraut. Tatsächlich ist der durchschnittliche Zuschauer des ZDF schon jenseits der 60. Und das merkt man dem Carmen-Nebel- und Rosamunde-Pilcher-Sender auch an. Das "Traumschiff" tuckert schon eine gefühlte Ewigkeit durch die ZDF-Primetime, während immer wieder sonntags im "ZDF Fernsehgarten" geschunkelt wird. Der "Bergdoktor" praktiziert neben dem "Landarzt". Auf die "Küchenschlacht" folgen die "Topfgeldjäger". Und serviert wird die fade TV-Kost mit der immergleichen, von Markus Lanz kredenzten Talksoße.

Damit der Altersschnitt seiner Zuschauer nicht gänzlich durch die Decke geht, kauft das ZDF für teures Geld Programm, das auch die Jungen interessiert. So ist die Fußball-Champions-League dem Sender jährlich mehr als 50 Millionen Euro wert. Dagegen ist ZDFkultur geradezu günstig: Das gesamte Programm des Kanals kostet 18 Millionen pro Jahr.

Ursprünglich sollten Formate der ambitionierten Digitalkanäle das Hauptprogramm bereichern. Doch daraus ist nicht viel geworden. Die US-Kultserie "Mad Men" läuft nach wie vor ausschließlich auf ZDFneo. Hoffnungsträger, die Kandidaten für einen Wechsel ins Hauptprogramm gewesen wären, konnten die Mainzer nicht in ihren Digitalkanälen halten. Benjamin von Stuckrad-Barre ist mit seiner Late Night Show statt bei ZDFneo nun bei Tele 5 auf Sendung. Und Joko und Klaas zogen den "Circus Halligalli" auf ProSieben dem "neoParadise" vor.

Und die Formate von ZDFkultur, die überleben dürfen, landen nicht im Zweiten, sondern bei ZDFneo.

Wenigstens am Ende von "Roche & Böhmermann" sind die Mainzelmännchen nicht schuld. Bevor sich das Team des Talks zerstritt, sollte es sogar einen Sendeplatz im ZDF-Hauptprogramm bekommen - um 0.30 Uhr. Eine Sendezeit, bei der die Show den ZDF-Mainstream nicht weiter gestört hätte.