Andrea Arnold hat Emily Brontës Romanepos “Wuthering Heights“ neu verfilmt. Ein Meisterwerk, das jetzt auch auf DVD erschienen ist.

Hamburg. Außer sich vor Verzweiflung schlägt ein junger Mann mit dem Kopf gegen die Wände eines kargen Zimmers. Mit blutender Stirn fällt er zu Boden, rafft sich auf, um von Neuem gegen die Wand anzurennen. Auf dem rauen Putz sind die Namen Heathcliff und Cathy lesbar neben mit wenigen Strichen gesetzten Kinderzeichnungen - Boten einer symbiotischen Liebe, die vor langer Zeit ihren Anfang nahm und nun in Tod und Verderben ihr Ende gefunden hat.

Es ist der junge Heathcliff (James Howson) selbst, der im Prolog von Andrea Arnolds ebenso eigenwilliger wie stimmiger Neuverfilmung von Emily Brontës epochalem Roman "Wuthering Heights" vor den Scherben seiner Existenz steht. Schon in diesen ersten Minuten wird deutlich, dass Andrea Arnold inhaltlich und formal einen neuen Zugang zu dem bereits mehrfach verfilmten Roman sucht. Arnold stellt die Figur des Heathcliff ins Zentrum und erzählt aus seiner Perspektive.

Das Pochen eines kahlen Asts an die Fensterscheibe lässt den Rasenden schließlich innehalten, in einer weit angelegten Rückschau lässt Heathcliff die Geschichte seiner obsessiven Liebe zu Cathy (Kaya Scodelario) ausführlich Revue passieren.

Im Alter von sechs Jahren war er von dem Farmer Earnshaw in den Slums von Liverpool aufgelesen worden, um im herben Hochland von Yorkshire auf dem Familiensitz Wuthering Heights wie ein zweiter Sohn aufzuwachsen. Als "dreckiges Findelkind" und "Nigger" beschimpft ihn sein Stiefbruder Hindley, der Heathcliff abgrundtief hasst und bei jeder Gelegenheit schikaniert. Ganz anders Cathy, Hindleys Schwester, mit der ihn eine Seelenverwandtschaft verbindet.

Die Szenen mit den jugendlichen Darstellern Solomon Glave und Shannon Beer gehören zu den faszinierendsten des ganzen Films. Fast ohne Dialoge streifen Cathy und Heathcliff durch das abgelegene Moorland, immer wieder zieht es sie zu einer Anhöhe, wo sie bäuchlings auf einem Felsen das weite Land betrachten, die Natur förmlich in sich aufsaugen. Cathy ist Heathcliffs Lichtgestalt, die ihn die schwere Arbeit und die Demütigungen wegen seiner dunklen Hautfarbe vergessen lassen.

Arnold und ihr Kameramann Robbie Ryan setzen bewusst auf die subjektive Wahrnehmung ihres Protagonisten: Heathcliff ist außen, immer wieder sind es ihm verschlossene Räume, in die er sich hineinimaginiert. Weit entfernt von der geschwätzigen Melodramatik früherer Verfilmungen stellt Arnold die Natur und ihren Einfluss auf die Menschen in den Vordergrund. Korrespondierend zu der schroffen, unwirtlichen Landschaft ist das Leben hart und voller Entbehrungen. Die Figuren sind schmutzig, ihre Gewänder ärmlich und nicht selten schlammverkrustet, der Familiensitz Wuthering Heights ist alles andere als ein herrschaftliches Anwesen in einem Kostümfilm, den vielleicht mancher erwarten mag, der das bisherige Werk der britischen Regisseurin und Oscar-Preisträgerin nicht kennt.

Auf der Pressekonferenz der Filmfestspiele von Venedig, wo "Wuthering Heights" 2011 unter großem Beifall uraufgeführt wurde, sagte Andrea Arnold, sie habe Brontës "sehr schweren, tiefgründigen Roman" im Alter von 20 Jahren gelesen und sei seitdem "wie getrieben, fast wie unter Zwang", den Film zu machen. Auffällig ist Arnolds Affinität zu den Gefühlswelten junger, durch ihre soziale Stellung benachteiligter Charaktere, die sich mehr oder weniger brachial gegen ihr Schicksal auflehnen. Dabei schreckt sie, die viele Jahre als Moderatorin für TV-Kindersendungen tätig war, ehe sie als Regisseurin debütierte, nicht davor zurück, die gesellschaftlich bedingten, emotionalen Defizite ihrer Protagonisten auszuloten. Diese Spiegelfunktion - unabhängig von der zeitlichen Epoche und der formalen Raffinesse - macht die Filme von Andrea Arnold so ungemütlich wie brisant für den Zuschauer.

Wie in ihren Spielfilmen "Red Road" und "Fish Tank", die 2006 und 2009 mit dem Preis der Jury bei den Filmfestspielen von Cannes ausgezeichnet wurden, wählt Arnold auch in "Wuthering Heights" die ihr eigene sozial-realistische Herangehensweise an die Vorlage und kommt damit zu einer völlig neuen, modernen Auslegung. Sie gibt der Vorlage ihre ungezügelte Wucht zurück und stellt die soziale Erniedrigung in den Vordergrund.

"Wuthering Heights" ist als DVD und Video on Demand erhältlich

"Wuthering Heights" 124 Minuten, ab 12 Jahren, als DVD und Video on Demand; www.wuthering-heights.de