Der ARD-Film “Nacht über Berlin“ skizziert den Anfang vom Ende der Weimarer Republik anhand einer spannenden Liebesgeschichte

Jan Josef Liefers philosophiert über das Verhältnis von Nationalismus und der reinen Freude an einer Kultur, als er seinen neuesten Fernsehfilm vorstellt. "Wo immer Nationalismus zu stark wird, endet alles im Unglück", sagt der Schauspieler ruhig und dennoch mit einer spürbaren Wut auf das Dritte Reich, den "Psychopathen Hitler", wie er ihn nennt, und das gesamte Nazi-Regime mit seinem Hass. "Was muss das für ein brennendes Gefühl sein, ausgegrenzt zu sein?"

Mit der Rolle des Albert Goldmann übernimmt Liefers im Fernsehfilm "Nacht über Berlin", den die ARD an diesem Mittwoch zur besten Sendezeit zeigt, genau dieses Gefühl. Die Sicht eines Juden, der erst durch die Nazis zu einem solchen gemacht wird. Albert Goldmann ist Arzt im Berliner Arbeiterviertel Wedding, darüber hinaus für die Sozialdemokraten im Reichstag.

Er und sein Bruder sind Waisen und Juden, die nie einen Bezug zu ihrer Religion verspürten. Doch mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus Anfang der 30er-Jahre werden die Brüder mehr und darauf reduziert, Juden zu sein.

Während Bruder Edwin (Franz Dinda) den Feind als radikaler Kommunist bekämpfen will, glaubt Albert an die Weimarer Republik und die Sozialpolitik. Er ist einer der wenigen Demokraten in dieser "Demokratie ohne Demokraten", die von Inflation, Wirtschaftskrise und hoher Arbeitslosigkeit gebeutelt wird.

Henny Dallgow (Anna Loos), die aus gutbürgerlichem, konservativen Haus stammt und die familieneigene Immobilienverwaltung übernehmen soll, allerdings nicht will, bekommt von solchen Dingen wenig mit. Die Politik interessiert sie nicht, von der Demokratie hält sie nicht sonderlich viel ("Es sitzt ein Haufen Spinner im Reichstag"). Dementsprechend unbekümmert sieht sie zu, wie die Nationalsozialisten aufmarschieren.

Es ist auch diese Naivität, die in der Weimarer Republik dafür gesorgt hat, dass die Menschen die Augen vor der drohenden Gefahr von rechts verschlossen haben und eine Diktatur entstehen konnte, der später Millionen Menschen zum Opfer fielen. Jan Josef Liefers hat die Hoffnung, mit Filmen wie diesem die Wiederholung der Geschichte vermeiden zu können. "Ich würde von mir selber behaupten, dass ich entscheidende Dinge, wie ich werden will, im Kino gelernt habe", sagt er und schreibt seinem Film "Nacht über Berlin" eine Eigenschaft zu, die dieser tatsächlich besitzt: Er bildet den Charakter.

Bleib deinen Idealen treu, verrate deine Leidensgenossen nicht und engagiere dich gegen das, was dir Unrecht erscheint. Diese drei Dinge scheinen für Albert Goldmann an erster Stelle zu stehen. Liefers verkörpert diese Werte als Schauspieler nicht zuletzt durch seine eigene Vergangenheit in der DDR, in der er zu denen gehörte, die gegen das Regime rebellierten. So wirkt der 48-Jährige in der Rolle des Arztes und Politikers überzeugend. Und er hilft dem Zuschauer, sich in die frühen 30er-Jahre hineinzuversetzen. Dank der frühzeitigen Zusage des Ehepaars Liefers/ Loos konnte den beiden Hauptfiguren des Films ihre Rollen auf den Leib geschrieben werden.

Im Film lernen sich die beiden Protagonisten zunächst an der deutsch-dänischen Grenze kennen, wo Albert einen heiklen Kurierdienst für seinen kommunistischen Bruder übernommen hat. Als er auffliegt und festgenommen wird, überlässt er Henny die Pläne, die ihn daraufhin in Berlin aufsucht. Die junge Frau teilt weder die politischen Ansichten von Albert noch von dessen Bruder und ist dennoch beeindruckt vom engagierten Reichstagsabgeordneten. Während sich das Umfeld der beiden politisch immer weiter voneinander entfernt, verlieben sie sich ineinander, und Henny lernt, die Probleme des jüdischen Arztes im Konflikt mit den Nazis zu verstehen.

Einziger Trost in dieser tristen Welt ist das "Ballhaus", in dem Henny als Sängerin arbeitet. Mit Musik, geschrieben und gespielt vom Berliner Palast Orchester, sorgt Besitzer Matze Belzig, großartig kitschig gespielt von Jürgen Tarrach, für Leichtigkeit in der angespannten Hauptstadt. Und so lässt sich auch hier das Bild der sich wandelnden Gesellschaft ablesen, wie sie Regisseur Friedemann Fromm gekonnt darstellt. Zu Beginn läuft flotter Swing, zu dem sogar mancher Nazi sich hingezogen fühlt. Mit dem Verlauf der Geschichte und so auch des Films wandelt sich das Bild, die als "Negermusik" verachteten Klänge verschwinden, und im Ballhaus wird es ruhiger, gesitteter, spießiger. Die Nazis setzen ihren Einfluss in jeder Ecke der Gesellschaft durch. Matze Belzig schafft als gläubiger Jude rechtzeitig den Absprung und verlässt Deutschland.

Derweil entwickelt sich zwischen Henny und Albert eine verbotene Liebe, die sich dem Nationalsozialismus, dem Judenhass, einem regelrechten Bürgerkrieg und der Gefahr einer scheinbaren Verbindung zu Kommunisten erwehren muss. Folgerichtig zweifelt die inzwischen schwangere Henny, ob sie ihr Kind zur Welt bringen soll: "Und wenn das Kind gar nicht leben will in der Welt, in die man es setzt?"

"Nacht über Berlin" , heute, 20.15 Uhr, ARD