Tom Wolfes viel diskutiertes Werk “Back to Blood“ ist ein saftig-schillernder Roman über Korruption und die versnobte Kunstszene in Miami.

MIAMI!!! Das ist hip-hip-hippe Kunst ... und seeeehr viel Geld:::gleißende Sonne und kurze Shorty-Shorty Shorts! Sex! Sex! Sex! und Paarrrtyyyyy, das sind Boote, deren Motoren AUFBRÜLLEN und der Ausruf "AAyyy, la gringa", wenn eine Blondine vorbeigeht. All diese Stilmittel - die Großschreibung, orthografische Veränderung, Wiederholung, die Ausrufezeichen, kursive Schrift, die Doppelpunkte, das Lautmalerische und mehr benutzt Tom Wolfe in seinem Roman über Miami, "Back to Blood". Er stapelt elektrisierende Verben, Ausrufe, Gedanken und beatmet damit eine pulsierende Stadt, die voller Adrenalin steckt. Durch diese hochgejazzte Energie - Wolfes Markenzeichen - wird der Roman selbst zu Adrenalin.

Miami ist für ihn der Ort, an dem kubanische Polizisten, russische Oligarchen, Ärzte, die auf Sexsucht spezialisiert sind, eifrige Reporter, ängstlich statusbewusste Chefredakteure, schwarze Polizeipräsidenten, bizarre Kunsthändler, ambitionierte Krankenschwestern, Emporkömmlinge aus Haiti und jede Menge schöne Frauen auf Partys, Kunstmessen, in sündhaft teuren Restaurants oder auf Yachten aufeinandertreffen. Gar nicht mal so falsch, denn in Miami ist vieles wirklich bombastisch: Klima, Karrieren, Kunst, Konsum und das kubanische Lebensgefühl.

John Timoney, der ehemalige Polizeichef von Miami, hat die US-Großstädte einmal so beschrieben: "New York steht für Geld, Washington für Macht, Los Angeles für Ruhm und Miami für Sex." In Wolfes saftig-schillerndem Roman kommt die Korruption dazu, die Politik, Kultur und alle Beziehungen flutet und überschwemmt. Den Zeitgeist, der für die versnobte Kulturschickeria nicht nur im lauten, brodelnden Miami von Gier, Geld und Dekadenz bestimmt ist, trifft er recht gut. Und eines ist sicher, das Buch, das mal süffig, mal komisch, mal zynisch einen bunten Zoo von Typen vorführt, die alle nach oben wollen, dorthin, wo es noch verrückter zugeht, liest man mit großem Vergnügen. Dieser ganze Irrsinn, den Menschen betreiben, weil ihre Haut weißer, ihr Auto PS-stärker oder ihr Zugriff auf moderne Kunst schneller ist, den verschlingt man mit großer Lust und viel Vergnügen an diesem tropisch bunten Treiben. Am Ende der Lektüre schaut man auf, in den grauen Hamburger Februar-Alltag, und vermisst all die Haitianer, Hispanics, Schwarzen, Anglos und ihren ethnischen und ästhetischen Vielfrontenkrieg, weil er aufregend und mitreißend ist, auch wenn die Typen gelegentlich überzeichnet sind. Sie machen Spaß, viel Spaß.

"Blutsbande" oder "Bleib bei deinen Wurzeln" könnte man den Titel des Buches übersetzen, in dem Wolfe das Gesellschaftspanorama einer Stadt entwirft, deren soziale Wirklichkeit durch Geld, ethnische Herkunft und Sex klar gegliedert ist. In 21 Kapiteln wird die Geschichte des kubanischen Polizisten Nestor Camacho (Macho!), der kubanischen Krankenschwester Magdalena Otero, die Liebe mit sozialem Aufstieg verbindet, des russischen Milliardärs mit dem guten Benehmen, Sergej Koroljow, und des US-Milliardärs mit Pornosucht, Maurice Fleischmann, des Schickimicki-Arztes Norman Lewis, des jungen Reporters John Smith und vieler anderer erzählt. Es gibt schwarze Crack-Dealer und Kubaner mit schlechtem Geschmack, Künstler, die Hochstapler sind, und Weiße, die zwar überall noch bestimmen wollen, aber schon längst die Minderheit bilden. An einer Stelle erklärt der Latino-Bürgermeister seinem schwarzen Polizeichef: "Soweit ich weiß, ist Miami die einzige Stadt weltweit - weltweit -, deren Bevölkerung zu mehr als 50 Prozent aus Neueinwanderern besteht ... Neueinwanderern, also Einwanderern, die in den letzten 50 Jahren gekommen sind. Wenn Sie Miami wirklich verstehen wollen, müssen Sie vor allem eins begreifen. In Miami, da hasst jeder jeden."

Nestor Camacho, selbst ernannter "Körpersnob" und muskelbepackter Polizist aus Miamis Stadtteil Hialeah, einer "220.000-Seelen-Stadt, davon sind 200.000 Kubaner", rettet einen kubanischen Flüchtling vom Mast eines Seglers. Doch dafür wird er von der kubanischen Gemeinde verstoßen, denn der Flüchtende wurde so an der Emigration gehindert.

Seine Freundin Magdalena trennt sich von ihm, weil sie nun mit ihrem Chef zusammen sein will, dem Arzt Norman Lewis, der Promis von ihrer Pornosucht befreien will und dafür selbst recht anfällig ist. Lewis giert nach jedem Fernsehauftritt, weil er glaubt, er verschaffe ihm mehr Kundschaft. Doch er fürchtet die abfälligen Bemerkungen seiner Kollegen, die einen TV-Arzt nicht für voll nehmen. Magdalena wiederum fürchtet, die Latina könne sie nicht aus sich rauskriegen, hält sich aber für attraktiver als jede Weiße, weil sie glaubt, mehr Körperbewusstsein zu haben. Wolfe macht sich auch lustig über Rassen- und Geschlechterklischees. Weiße Intellektuelle, das sind Männer, die schmutzige Jeans tragen und unrasiert sind. Kubaner tragen Hosen, in denen man den Hintern gut erkennen kann. Aber ist es nicht oft so?

Einer der Höhepunkte des Buches findet sich, als Norman und Magdalena die Columbus-Day-Regatta besuchen, eine Veranstaltung, die seit fast 60 Jahren wirklich in Miami stattfindet. Was immer sie mal gewesen sein mag, ein gesellschaftliches Treffen, eine Sportveranstaltung, heute ist sie Anlass für Orgien und protziges Zurschaustellen von Statussymbolen. Die Tangastrings der supergestählten Mädchen sind knapper als ein Taschentuch, die jungen Männer unterscheiden sich durch ausgefallenste Ideen. Wolfe beschreibt die aggressiv-sexuelle Atmosphäre exzellent.

Ein zweiter Erzählstrang widmet sich dem russischen Oligarchen Koroljew, der dem Museum in Miami Kunstwerke im Wert von 70 Millionen Dollar gespendet hat und zum Namensgeber des 220 Millionen teuren Baus wurde. Sind die Werke echt? Das untersucht ein streberhafter Reporter, ein Americano durch und durch, wie ihn die Kubaner nennen. Gemeinsam mit Nestor deckt er einen Skandal auf, der stark an die Geschichte um den Kunstfälscher Beltracci erinnert, der jahrelang Museen und Kunsthändler getäuscht hatte.

Die moderne Kunst und ihre absurd-idiotischen, überpornografischen Objekte nimmt Wolfe in seinem fantastischen Kapitel über die Kunstmesse Art Basel Miami Beach aufs Korn. Hier, wo sich die Milliardäre vorab am Mittwoch zur Vor-Schau treffen und wie die Maden übereinanderkriechen und um die Exponate balgen, hat jeder Sammler einen Kunstberater, der auswählt, was er oder sie mag. Die sagen dann: 'Oh, ich wusste gar nicht, dass ich das mag.' Die Kunstberater beschreibt Wolfe als "Zuhälter, die einen hohen Preis verlangen für ... Ekstase - Ekstase! - für den perfekten Kick, berühmte Spieler sein zu dürfen, in einem magischen Markt, der aus nichts als heißer Luft besteht."

Tom Wolfe wird demnächst 82. Er weiß, wovon er redet, auch wenn er sich stets im weißen Anzug und als Dandy kleidet. Wolfe weiß auch, dass die USA das Land mit den härtesten Gleichheitsgesetzen ist, dass aber nirgendwo die Abgrenzung zwischen Rassen und Klassen zementierter ist als dort. Miami ist nur ein Beispiel dafür. Wolfe hat dort lange recherchiert. Er kennt sündhaft teure Lokale, wie das Casa Tua, die auf authentisch machen und in seinem Buch "Chez Toi" heißen.

Ach, Wolfes Buch kann so viele aufregende Situationen entwerfen, so viel zwischenmenschliche Einsamkeit schildern, es ist viel mehr als eine herausragende Satire. Auch wenn "Back to Blood", das von Wolfgang Müller großartig übersetzt wurde, nicht an Wolfes Meisterwerk "Fegefeuer der Eitelkeiten" heranreicht, einem der wichtigsten Romane der vergangenen 50 Jahre, so ist es doch ein höchst unterhaltsamer, fesselnder und sehr amüsanter Roman.