Für die NDR-Dokumentation “Der Norden schaut hin“ recherchierten Reporter ein halbes Jahr lang in allen fünf nördlichen Bundesländern

An einem Morgen schallt die Musik aus einem der Fenster in der Plattenbausiedlung in Wolgast, nahe der Ostsee. "Sie kommen, unser Land zu holen, das schöne deutsche Land, was einst der Führer Adolf Hitler hier geschaffen hat." So geht der Text. Die Stadt in Mecklenburg-Vorpommern wurde verpflichtet, Asylbewerber aufzunehmen und quartiert sie mitten in einem sozialen Brennpunkt ein. Deutsche, die dort wohnen, fühlen sich benachteiligt und reagieren mit Hass auf die Ausländer. "Zigeuner", sagen einige. Eine Scheibe wurde eingeschlagen, eine fremdenfeindliche Parole an die Hauswand gesprüht. Und nun schallt Musik über den Hof. "Zick, zack, Kanakenpack." Eine Handvoll Kinder der Asylbewerber tanzen im Hof dazu. Sie verstehen die Worte nicht.

Es ist eine Szene aus der diesen Mittwoch gezeigten NDR-Dokumentation "Der Norden schaut hin". Ein halbes Jahr lang recherchierten Reporter vom NDR und Radio Bremen in allen fünf nördlichen Bundesländern. Sie zeichnen ein vielschichtiges Bild vom Rassismus, den Migranten im Alltag erleben, der Film zeigt aber auch die Methoden, mit denen Neonazis für ihre Ideologie werben, und er berichtet über den Kampf engagierter Bürger in Glinde gegen ein Modegeschäft, in dem auch Marken verkauft werden, die in der rechtsextremen Szene beliebt sind.

Auch nachts auf der Reeperbahn sind die Reporter unterwegs. "Der deutsche Pass rettet mich manchmal", sagt ein junger Mann mit ausländischen Wurzeln. Hinter ihm blitzen die Neonlichter einer Kiez-Disco, Bässe wummern. Diesmal ist er ohne Probleme in den Club gekommen. Aber auch ihm werde der Einlass manchmal verwehrt. Weil er nicht "deutsch" aussehe, sondern "südländisch". Auch an mancher Clubtür auf dem Kiez wird noch nach Hautfarbe getrennt.

Die Stärke der Dokumentation: Sie ist nah an den Menschen im Norden, den Opfern von Fremdenfeindlichkeit, den Neonazis, die Hass schüren, aber auch nah an den Deutschen, die diese dumpfen Parolen gern aufnehmen. Sprüche gegen Ausländer seien bei vielen Menschen ein Ventil für den Frust über die eigene Lebenssituation, sagt die Soziologin Daniela Krause von der Universität Bielefeld. Es sei ja auch einfach, die eigene Angst auf eine wehrlose Gruppe zu übertragen, die in Deutschland keine Lobby hat und froh ist, ein Dach über den Kopf zu haben. Vor allem in Wilhelmsburg fühlen sich ältere Anwohner bedrängt durch die Menschen, die in den vergangenen Jahren in den Hamburger Stadtteil gezogen sind. Sie flüchten sich in fremdenfeindliche Parolen. "Wenn sich die Sprache im Bus oder die Geschäfte im Viertel ändern, wirkt das bedrohlich", sagt Krause. Nehme das überhand, berge das Konflikte zwischen Mehrheit und Minderheiten.

Musik und Kleidung seien für viele Jugendliche Türöffner in die menschenverachtende Ideologie, sagt Stefan Schölermann, der seit Jahren für den NDR in der Szene recherchiert. Coolness und Gewalt liegen oft nah beieinander. Im niedersächsischen Bückeburg kämpfen Schüler und Lehrer über Jahre gegen rechte Schläger, die Schüler um sich herumscharen, um andere Jugendliche zu bedrohen. Mit verdeckter Kamera dokumentieren die Reporter Skinheads mit Hitlergruß auf einem Konzert im Norden. Musik mit rechtsextremen Texten finden die Reporter sogar auf ganz legalen Internetseiten wie "Last.FM", auf denen sonst normale Charts gespielt werden. Es ist der Facettenreichtum, der das Potenzial des Films ausmacht.

In Wolgast, dem Ort an der Ostsee, wollen sich engagierte Menschen mit rechtsextremen Gedanken gegen Asylbewerber nicht abfinden. Anwohner organisieren Proteste gegen die NPD, bieten den Flüchtlingen ehrenamtlich Deutschkurse an, spenden Kleidung. Im Hof, dort wo die Nazi-Musik plärrte, spielen sie jetzt manchmal Fußball. Iraner, Afghanen, Syrer. Und Deutsche.

"Der Norden schaut hin", heute, 21.05 Uhr, NDR