Sein Gastauftritt beim Münchner TV-Krimi war spektakulär. Jetzt ist Fabian Hinrichs mit einem Solostück im Hamburger Theater zu erleben.

Hamburg. Es gibt da diesen einen Satz. Den Satz sagte er als aus der Bahn geworfene Bankangestellter Frederik Feinermann, vor dessen Schreibtisch sich ein zahlungsunfähiger Schuldner das Hirn weggeblasen hatte. Feinermann, bis dahin nur ein todlangweiliger Anzugträger von der Stange, sagte in dem ziemlich tollen Kinofilm "Schwerkraft": "Normal ist nur was für Arschlöcher." Wenig später ging er mit einem Baseballschläger auf einige Skinheads los, als Mutprobe.

Normal, das sei seine Wiege für Psycho-Spießer, habe Heinz Strunk einmal gesagt, mit dem er gut befreundet ist; für ihn verkörperte Fabian Hinrichs den Kassenbrillen-Kremlflieger Mathias Rust am Schauspielhaus. Wie bewusstseinssprengend der abgebrochene Jurastudent sein kann, zeigten die Arbeiten mit dem Theaterregisseur René Pollesch, die vor allem Soli für einen Hinrichs und ganz viel Text sind. 2010 wurde er für das Solo in "Ich schau dir in die Augen, gesellschaftlicher Verblendungszusammenhang!" zum Schauspieler des Jahres gekürt. Heute und morgen ist "Kill your Darlings! Streets of Berladelphia", eine Erfolgsproduktion der Berliner Volksbühne, bei den Lessingtagen am Thalia zu Gast.

Und dann war da vor einigen Wochen an einem Sonntagabend in der ARD die Szene, in der er als übereifriger, einsamer Juniorermittler Gisbert Engelhart im Münchner "Tatort", vielleicht einem der besten aller Zeiten, vor einem Supermarktregal stand. Stumm und weltverloren starrte er da. Wenig später war die liebenswürdige Nervensäge Gisbert tot, ermordet, und wurde damit gewissermaßen zur interessantesten TV-Leiche seit Laura Palmer in David Lynchs "Twin Peaks".

Und jetzt, während unseres Telefonats, das ständig in Funklöcher sackt, steht der Schauspieler Fabian Hinrichs - 1976 geboren in Hamburg, Vater bei der Polizei, älterer Bruder bei der Polizei - bei Saukälte neben einem bayerischen Bauernhof. Kurze Drehpause in der Nähe vom Schliersee, für den dritten Teil der ZDF-Familienkomödie "Das Beste kommt erst". Der Film muss diese steile Ansage erst noch einlösen, der Titel ist aber schon mal wie für Hinrichs gemacht.

Nach dem "Tatort" schrieb der "Freitag" in einer Hymne auf Hinrichs' Kunst verzückt: "Man weiß noch nicht, wofür es gut ist, aber für irgendetwas ist es gut, womöglich für einen Begriff davon, was Theater heute sein kann jenseits des irgendwie kulturell interessiert wirkenden Alibis für Zahnärzte bei der Samstagabendgestaltung." So hoch wird die Latte inzwischen schon gehängt bei einem Aufmerksamkeitsmagneten wie ihm. In der Liebe und in der Kunst hat man keine Wahl, hat Hinrichs einmal gesagt. So spielt er auch.

Ein Markenzeichen Hinrichs' neben dem Spätkonfirmanden-Gesicht ist auch, dass er sich genau überlegt, mit wem er zusammenarbeitet und warum. Kontinuität ist wichtig, starke Bindungen wachsen nicht von jetzt auf gleich. "Mit meinen Mitteln möglichst selbstständig sein", das ist das Ziel. Die Phase mit dem Regisseur Laurent Chétouane war solch eine Theater-Kleinstfamilie. Für ihn, mit ihm war er Shakespeares Hamlet. Büchners Lenz. Hölderlins Empedokles. Und sogar Goethes Iphigenie. Dann kam Pollesch mit seinen Diskurs-Treibjagden ins Bild.

"Erfüllungsgehilfe oder so was wie Studiomusiker", darauf will Hinrichs sich nicht einlassen, "autoritäre Geschichten und gesagt bekommen, was ich zu tun habe, das ist nichts für mich." Er will lieber "meine eigenen Platten machen". Hitparade ist ihm dabei wahrscheinlich egal. Kritikerlob vielleicht auch. Das eigene Bauchgefühl muss stimmen. Dann stimmt auch der Rest, dann kann er abheben. "Die Leute, die ich gut finde, die wollen immer eine Partnerschaft haben", sagt er dazu und schiebt hinterher: "Und ich mach mein Zeug inzwischen ja auch selber." Das "Zeug", das sind eigene Ideen, Texte und Inspirationen, die zu Bühnenmaterial geknetet werden. Gerade in der Mache ist eine Performance, an der er mit dem Schauspieler Jürgen Lehmann feilt und die Mitte März als Koproduktion mit dem Berliner Hebbel am Ufer am Hamburger Schauspielhaus uraufgeführt wird. "Kron(ach)" war der erste Arbeitstitel, der schon wieder passé ist, vom Theater ist es derzeit als "Ich. Welt. Wir. Es zischeln 1000 Fragen" angekündigt. Hinter so rätselhaften Namen ohne Gewähr kann sich alles verbergen, wer weiß das schon. Hinrichs, zumindest jetzt, wohl noch nicht so ganz. Bis Ende Februar dreht er, "das wird also ein bisschen knapp. Ich hoffe, dass es nicht zu schlecht wird. Wenn ich an den Zeitdruck denke, kriege ich echt schlechte Laune", feixt er beim Gedanken an sein verbesserbares Timing. "Ich hab viele Bücher dabei und dachte, wenn ich drehe und man ja immer viel wartet, da geht das nebenher schon. Aber das ist so anstrengend hier."

Ist dieses Schreiben auf den eigenen Leib Notwehr oder eine weitere Leidenschaft? "Ein bisschen Notwehr, das stimmt. Ich würde mir wünschen, dass es anders wäre. Ich sage ja gar nicht, dass ich ein toller Autor bin, das fällt mir sehr schwer. Aber wenn Sie nicht nur Erfüllungsgehilfe am Stadttheater sein wollen oder nicht nur Filme drehen wollen ..."

Eine große, fest zusammenhaltende Theaterfamilie wie damals, direkt nach dem Studium in Bochum, mit Granaten wie Martin Wuttke, Birgit Minichmayr oder Henry Hübchen an der Berliner Volksbühne, das wär's für ihn. Doch so viel Ensemble-Glück zweimal? Kaum vorstellbar, so, wie die Branche mit ihren Fliehkräften und Verführungen funktioniert. "Oder Allgemeinarzt. Auch ein sehr toller Beruf, finde ich. Das ist auf jeden Fall ein sehr sinnvoller Beruf." Schon erstaunlich, dass jemand, der sich derart radikal ins Theater-Sein wirft, sich auch so leicht etwas ganz anderes als schön und erfüllend und sinnvoll vorstellen kann. Vielleicht aber auch nur konsequent. "Schauspieler ist steuerrechtlich kein künstlerischer Beruf, weil er nicht weisungsbefugt ist."

Obwohl die Trauergemeinde auf Facebook unmittelbar nach dem "Tatort"-Abspann die Rückgabe von Gisbert forderte, stehen die Chancen für eine Wiederauferstehung à la Bobby Ewing reichlich schlecht. "Das war nie angedacht und ist es auch jetzt nicht." Aber beim Vorschlag einer Serie, "Gisbert - die frühen Jahre" oder so, da muss Hinrichs schon lachen. Von dem Trubel um diese Figur hat er ohnehin erst vor wenigen Tagen erfahren. Er war, komplett unerreichbar, in Burma auf Urlaub. Abtauchen, weg sein aus dem in Berlin wohnenden Normalselbst, das sich auch auf der Bühne total vergessen kann. Macht er öfter. Jetzt aber hat ihn der Alltag wieder. Minus sechs Grad, und der Teebecher ist ihm gerade beim Telefonieren runtergefallen.

Wie Gisbert bei den Verwandten vom Fach angekommen ist, weiß Hinrichs nicht. "Mit denen hab ich noch gar nicht gesprochen, die muss ich mal anrufen." Aber das muss jetzt noch warten. Irgendwer aus dem Off bestellt Hinrichs zurück vor die Kamera. Die Pflicht ruft. Das Spiel soll weitergehen.

Termine: "Kill your Darlings!", 30./31.1., 20.00, Thalia. Karten: T. 32 81 44 44. Am 31.1. findet nach der Vorstellung ein Publikumsgespräch mit Fabian Hinrichs statt, es moderiert Abendblatt-Kulturchefin Maike Schiller. Am 16.3. hat am Schauspielhaus "Ich. Welt. Wir. Es zischeln 1000 Fragen" Premiere.