Junge Künstler, alte Hasen und ein Spaß-Experiment beim Rundgang durch die vielen Galerien an der Admiralitätstraße 71 in Hamburg.

Hamburg. Dunkel gekleidete Menschen drängten sich Ende vergangener Woche zur Gemeinschaftseröffnung durch die hohen Etagen der beiden Kunst-Häuser an der Admiralitätstraße 71. Wo soll man anfangen? Vorne links, bei der etablierten Galerie Sfeir-Semler, die stets gute Künstler präsentiert? Oder eher hinten, in der bunten Produzentengalerie? Dann doch lieber gleich nach Gutdünken: Ganz oben unterm Dach im Hinterhaus, im Raum von Isa Maschewski, hat sich der Künstler Tillmann Terbuyken gerade eine Zigarette angesteckt, bei weit geöffnetem Fenster. Einige seiner Bilder sehen auf den ersten Blick sehr klar strukturiert aus, scharfkantig voneinander abgegrenzte, meist intensiv farbige Flächen. "Kunst ist das Einzige, woran ich glaube. Sie ist gar nichts. Aber zugleich alles", sagt er mit einem feinen Grinsen im Mundwinkel. Damit habe er Kasimir Malewitsch zitiert. Der hat 1915 mit seinem schwarzen Quadrat den Minimalismus geboren.

Terbuykens Weg zum Werk aber ist prozesshaft, und wer näher herantritt, der sieht die vielen Farbschichten, aus denen jedes Bild entstanden ist, ein kleines oder größeres Stückchen weiter in Richtung Dreidimensionalität, in Richtung Architektur. Der Galerist Mathias Güntner hat sich wieder mal Gedanken darüber gemacht, was er als Kurator für seinen Künstler tun kann, und es ist ihm wie immer etwas eingefallen. Seit jeher verbindet Marc Lüders Fotografie und Malerei. Hier spielt er mit dem urmenschlichen Bedürfnis, ein Bildnis zum Abbild zusammensetzen zu wollen. Hintergründe für seine hier ausgestellte Serie sind Innenräume und Becken des Altonaer Schwimmbades. Auf seine Fotos hat Lüders menschliche Figuren gemalt, halb durchsichtig, sodass sie ihre Körperlichkeit verlieren und mit dem Raum verschmelzen.

Galerist Güntner hat für den Hauptraum eine Spiegelfolie als Bodenbelag gewählt, der das Verwirrspiel perfekt macht. Das schönste Bild aber hängt dahinter in einem Minikabinett, das an eine Peepshowkabine erinnert, wo prompt eine nackte Frau im extremen Hochformat steht, den Blick gesenkt und in sich gekehrt.

Die junge Galeristin Diane Kruse verlangt ihren Besuchern massig Gedankenarbeit ab: 15 Künstler zeigen in ihren Räumen je eine Arbeit und haben dazu ein Buch ausgewählt, das ihnen jeweils "besonders wichtig" ist. Ein Schmökersessel in der Mitte lädt dazu ein, die mit den Künstlernamen versehenen Bücher auch wirklich zu lesen, aber das Gedrängel am Eröffnungsabend macht eine tiefer gehende Auseinandersetzung mit der jeweiligen Kombination von Kunst und Buch (zum Beispiel Canettis "Blendung" und ein unterbrochenes Bücherregal von Lars Hinrichs) fast unmöglich.

Buchstaben und Worte spielen auch bei Katharina Bittel eine wichtige Rolle. Bevor sie ihr drittes Kind zur Welt bringt, hat sie noch eine letzte Ausstellung in ihrer Galerie auf die Beine gestellt, Arbeiten, die sich mit Buchstaben und Worten befassen. Wunderschön sind die "Hidden Poems" von Natalie Czech, die, gedruckt auf eine finstere nächtliche Mondlandschaft, durch helle Hervorhebung einzelner Wörter aus einem Stück Prosa ein Gedicht hervorgezaubert hat. Neben ihrer Arbeit hat Christian Haake einen nur noch als Außenumriss sichtbaren Leucht-Schriftzug kreiert, dessen Bedeutung man aber erraten muss, denn entschlüsseln kann man ihn nicht. Nebenan hat einer der alten Hasen an der Admiralitätstraße schon mal die Türen aufgemacht, ohne selber da zu sein: Jürgen Becker zeigt, was längst bei Larry Gagosian in New York als eine der Ikonen der amerikanischen Kunst etabliert ist: Richard Prince gelingt in seinen "re-fotografierten" Arbeiten, mit Humor die geläufigen Mechanismen alltäglichen Sexismus und Star-Kults auszuhebeln, zum Beispiel durch ein paar alberne, unter die schwarz-weißen Fotos gekritzelte Quiz-Fragen.

Eine klassische Malerei-Ausstellung präsentiert Holger Priess mit dem Norweger Olav Christopher Jenssen. Was dem Betrachter zunächst als wirres, aus dem Informel kommendes Knäuel aus Pinselstrichen vorkommt, entfaltet seine Wirkung erst nach und nach. Länger und tiefer in das Bild hineinsehen, das sollte versuchen, wer seine Qualität ergründen will. Schlierenhaft weiß, wie vereiste Pfützen scheint einer der Untergründe aus dem Bild herauszurinnen, hinter den wuchernden, pastos aufgemalten Gestrüppen lauern in Dunkelgrün die Untiefen einer angedeuteten Landschaft.

Drunten in der Produzentengalerie stellen junge Künstler aus, die sich mit Malerei, ihrer Geschichte und ihren Grenzen auseinandersetzen. Monika Michalko steht in der Tradition von Paul Klee und Alexander Calder, deren Formensprache und farbliche Raffinesse sie in zirzensisch anmutenden, Mobile-artig schwebenden Traumbildern abwandelt. Michael Biber hat Frottagen à la Max Ernst kreiert, die neuartige, auf vorgefundenen Strukturen beruhende Effekte erzielen. Biber macht seine Frottagen mit Sieben auf Aluminiumplatten, deren glatte Oberflächen er auf diese Weise mit Farben und Tusche bearbeitet. In der Galerie Sfeir-Semler wiegen sich die filigranen, wie von Puppenhänden gefertigten kinetischen Kunstwerke von Günter Haese, die niemals altern, so zeitlos schön, so modern und zugleich einzigartig sind sie. Lautlos nehmen diese Kunstwerke jede Bewegung im Raum auf und geraten in unmerkliche Schwingung.

30 Tischtennisschläger, zwei Platten und 140 Bälle sind keine Kunst - das weiß Melike Bilir natürlich. Sie ist das Küken unter den Galeristen an der Admiralitätstraße, und als solches hat sie sich die Freiheit genommen, ein Bollwerk gegen die üblichen Abläufe und Erwartungshaltungen und nebenbei natürlich auch gegen die gnadenlose Vermarktung von Kunst zu errichten. Dieses Bollwerk, das zugleich ein politische Statement ist, heißt: Spiel und Spaß. Wer die schwere Tür zu ihrer Galerie aufstieß, erlebte eine Überraschung: Drinnen spielten sich viele Leute in Turnschuhen oder auf Socken die Bälle auf zwei abgewarzten Tischtennisplatten zu. "Ich möchte, dass die Leute im Kopf frisch bleiben", sagt die junge Galeristin. Nach der Eröffnung ist sie als Letzte gegangen; als sie auf die Uhr schaute, war es 1.30 Uhr.