Hans Barlach und Ulla Unseld-Berkéwicz vertreten die Eigner des renommiertesten deutschen Literatur-Verlags. Seit 2006 klagen beide.

Hamburg. Wo Hamburg am schönsten ist, stehen weiße Villen. Eine davon besitzt Hans Barlach in Pöseldorf. Der gründerzeitliche Putzbau, dreistöckig, mit spätklassizistischem Erker, Balkons und hohen Fenstern, scheint geeignet, Berliner, Münchner und Großbürger aus anderen Landesteilen geradewegs zum Umzug nach Hamburg zu verführen. Ihr Bewohner Barlach, Galerist und Immobilienentwickler, der das Erbe seines Großvaters, des expressionistischen Bildhauers und Schriftstellers Ernst Barlach, verwaltet, könnte hier in aller Ruhe seinen Geschäften nachgehen.

Doch allzu viel Ruhe bekommt er nicht. Seit er mit seiner Medienholding Winterthur 2006 Anteile des renommiertesten deutschen Verlages, Suhrkamp, übernommen hat – inzwischen gehören ihm 39 Prozent – lebt er im Streit mit dem Mehrheitsgesellschafter des Verlages, der Siegfried-und-Ulla-Unseld-Familienstiftung, der 61 Prozent gehören. Sie wird von Ulla Unseld-Berkéwicz repräsentiert. Man überzieht sich gegenseitig mit Klagen.

Im Untergeschoss von Barlachs schmucker Villa, die sich geschmeidig neben anderen Prachtbauten präsentiert, liegt sein Büro, in dessen hinterem Teil sich dutzende Reihen von Aktenordnern stapeln. „Das alles sind Schriftsätze, Prozessakten, Unterlagen über juristische Klagen und Auseinandersetzungen mit der Geschäftsführung des Suhrkamp Verlages“, sagt Barlach mit ausladender Geste. Eine angrenzende Kammer ist ebenfalls mit meterhohen Aktenreihen gefüllt. 34 Klagen waren auf dem Höhepunkt der Auseinandersetzungen anhängig, derzeit sind es noch zehn. Beide Prozessgegner dienen dem Anderen jeweils als „Inkarnation des Bösen“. Berkéwicz-Freunde nennen Hans Barlach schon mal „Unhold“, Berkéwicz-Feinde bezeichnen sie als „Hexe“. Im Zwei-Fronten-Krieg der Gesellschafter steht er für „Geld“, sie für „Geist“. Beides nicht ganz zu recht. In der literarischen Szene gilt er als „halbseiden“, als jemand, der Geschäfte mit den Osmani-Brüdern aus dem Rotlichtmilieu gemacht hat“. Ihr hingegen hält man vor, sie verliere sich im Okkultismus.

Geht es im Großen und Allgemeinen auch darum, wem die Deutungshoheit beim Suhrkamp-Verlag zusteht, so streitet man im Detail unter anderem um eine ebenfalls schmucke Villa. Ein Haus in der weit im Westen Berlins gelegenen Gerkrathstraße, das sich Ulla Berkéwicz gekauft und umgebaut hat, um dann einen Teil der Villa für monatlich 6.600 Euro an den Suhrkamp Verlag zu vermieten. Geld, das ihr nun zufließt, von dem der Mitgesellschafter, Barlachs Medienholding, nichts hat und über lange Zeit in Unkenntnis gehalten wurde.

„Die Feststellungsklagen der Medienholding AG befassen sich überwiegend damit, weil die Gesellschaftsverträge nicht eingehalten werden.“, sagt Barlach. Und auf die Nachfrage, ob er mit seinem heutigen Wissen, noch einmal die Verlagsanteile kaufen würde, antwortet er nach einer langen Pause: „Nein – wir haben sehr viel unkreative Zeit aufgewendet, der Streit hat viel Lebensqualität gekostet“. Geld sicher auch. 60.000 Euro monatlich sagt er, würde er an Anwaltskosten aufwenden. Sechs Mal hat er bisher Recht bekommen, am spektakulärsten am 10. Dezember 2012. Da wurde Ulla Unseld-Berkéwicz durch ein noch nicht rechtskräftiges Gerichtsurteil als Geschäftsführerin des Verlages abberufen. Jemand aus der Berliner Szene, der, wie fast alle Gesprächspartner, nicht genannt werden will, sagt ein wenig unfein: „Denen im Verlag geht der Arsch auf Grundeis.“

Die Zukunft des Verlages, dessen „Suhrkamp-Kultur“, jene spezifische Mischung aus Literatur, Philosophie und Sozialwissenschaft, die fünf Jahrzehnte Sprachgewalt und den geistigen Diskurs der Bundesrepublik symbolisierte, steht in den Sternen. Am 13. Februar wird ein Frankfurter Gericht darüber befinden, ob Ulla Unseld-Berkéwiczs Abberufung als Geschäftsführerin (und die ihrer Mitgeschäftsführer Thomas Sparr und Jonathan Landgrebe) und Barlachs Schadenersatzforderung von 282.486 Euro rechtens ist. Es wird ein Urteil darüber gesprochen, ob die Familienstiftung (Ulla Berkéwicz) die Medienholding (Hans Barlach) vom Verlag ausschließen kann. Oder ob es genau umgekehrt sein wird, denn Barlach hat Widerklage eingereicht. „Das würde für den Suhrkamp Verlag bedeuten, dass die Arbeit weiter geht. Allerdings mit einem neuen Geschäftsführer, der gefunden werden muss. Die Medienholding AG hat mit einem Ersatzantrag die Auflösung der Kommanditgesellschaften beantragt. Wenn diesem stattgegeben wird, kann theoretisch jeder die KG-Anteile kaufen. Wir, die Familienstiftung, Andere. Ein Ausschluss bedeutet hingegen für den Ausgeschlossenen, nur noch das Recht auf Abfindung“, sagt Barlach. „Die Auflösung der Gesellschaft würde das Ende des Suhrkamp Verlages bedeuten, ähnlich wie ein Konkursverfahren. Alle Autoren hätten dann ein Kündigungsrecht“, sagt Anwalt Peter Raue, der die Familienstiftung vertritt. „Für diesen Sachverhalt fehlt allerdings die Rechtsgrundlage. Wenn der Abberufung der Geschäftsführung stattgegeben werden sollte, dann müsste man sich einen neuen Geschäftsführer suchen. Nicht schön, aber die Familienstiftung würde dann eine neue Geschäftsführung berufen. Ulla Berkéwicz würde ja die Seele und der Geist des Unternehmens bleiben.“ Wie viel der Verlag derzeit Wert ist, kann man schwer schätzen. Es kursieren Zahlen zwischen 20 (Familienstiftung) und 75 Millionen (Barlach). Peter Raue, Deutschlands bekanntester Anwalt für Rechtsfragen im Kunst- und Kulturbereich, sagt in seinem schicken Büro am Potsdamer Platz in Berlin: „75 Millionen soll der Verlag Wert sein? Das ist völlig ausgeschlossen. Wir haben vorgeschlagen, eine objektive Bewertung vornehmen zu lassen. Aber das will Herr Barlach nicht.“

Der Autorenpool des Verlages ist wertvoll. Die Bilanzen der vergangenen Jahre eher schlecht. Die Umsatzerlöse sanken stetig. Das Tafelsilber in Form des Verlagshauses in Frankfurt und des Archives sind bereits verscherbelt. Wie viel Geld noch da ist, ist unklar. 28 Millionen Schweizer Franken hat Hans Barlach nach eigenen Angaben bisher in den Verlag investiert, „und einmal habe ich 300.000 Euro rausbekommen“. „Natürlich hat Hans Barlach mehr rausbekommen“, sagt Anwalt Raue „ein hohes Vielfaches mehr. Wo er die 28 Millionen Franken investiert haben will, weiß ich nicht.“ Wie viel Geld die Familienstiftung hat, ist unbekannt. Peter Raue sagt: „Das gehört hier nicht her.“

Die Umsatzerlöse des Verlages jedenfalls liegen knapp über 30 Millionen Euro. „In dieser Größenordnung braucht ein Verlag etwas mehr als 60 Mitarbeiter“, sagen unisono drei erfahrene Verleger „oder man muss mit so viel Personal drei Mal so viel Umsatz machen“. 145 Mitarbeiter hat der Suhrkamp-Verlag heute, so Barlach. 2008, als er 130 Mitarbeiter beschäftigte, war Suhrkamp von Frankfurt nach Berlin umgezogen. Mit dem erklärten Ziel, das Personal zu verringern. Für seine Zustimmung zum Umzug des Verlages von Frankfurt nach Berlin im Jahr 2009 bekommt Mitgesellschafter Barlach weitreichende Informationsrechte eingeräumt. Manchmal allerdings fühle er sich sehr selektiv informiert. „Es werden jetzt weniger Bücher als in Frankfurt gemacht“, sagt Peter Raue, „auch gibt es nicht mehr Mitarbeiter im Verlag, sondern deutlich weniger, was sich auch in reduzierten Kosten im Personalbereich spiegelt.“ Der Großteil der Auseinandersetzungen geht „ums Geld“, wie Raue sagt. „Barlach ist wohl die Rendite nicht hoch genug. Er erwartet 5-15 Prozent, aber das ist unrealistisch bei einem literarischen Verlag.“

14 Nobelpreisträger gehören zum Suhrkamp-Verlag, der wie kein anderer das Gesamtwerk seiner Schriftsteller pflegt und 55 Prozent seines Umsatzes mit der Backlist macht, also jenen Büchern, die älter als ein Jahr sind, Klassiker, die von Autoren wie Bernhard, Beckett, Brecht, Joyce, Frisch, Handke oder Walser stammen. Möglich gemacht hat dies Siegfried Unseld, der bis zu seinem Tod, im Oktober 2002, fast 50 Jahre das Verlagsgeschehen gestaltete. Noch im April 2002, als er schon krank war, hat ihm der Anwalt Heinrich Lübbert eine komplizierte Stiftungsstruktur zur Unterschrift vorgelegt. Unseld sollte und hat seine Verlagsanteile der Stiftung übertragen.

Joachim Unseld ist ein großer Mann, seinem Vater Siegfried sieht er so ähnlich, als sei er geklont. Als der Sohn noch jung und der Vater in seinen besten Jahren war, strahlten beide um die Wette, sobald eine Frau den Raum betrat. Denn beide waren der Typ Mann, der sich unwiderstehlich findet und schon deshalb die Aufmerksamkeit vieler Frauen erregt. Zu Beginn der 80er Jahre gab der Vater bekannt: „Ich möchte eines baldigen Tages meinem Sohn die Führung des Verlages übergeben.“ Joachim Unseld wurde 1988 zum gleichberechtigten Verleger gemacht und war dazu ausgebildet, das Erbe seines Vaters anzutreten. Sein Frankfurter Haus ist heute tapeziert mit hunderten der regenbogenfarbigen Bände der Bibliothek Suhrkamp. Die Diele schmückt ein großformatiges Bild des Literaturnobelpreisträgers und Suhrkamp-Autors Samuel Beckett, dem sich beide Unselds innig verbunden fühlten. Als sich Siegfried Unseld von Joachims Mutter scheiden ließ, soll die Mutter angeblich nur unter der Bedingung auf ihr Pflichtteil am Verlag verzichtet haben, dass der Sohn Joachim alleiniger Erbe werde.

Anwalt Heinrich Lübbert entwickelte nach der Scheidung das Modell der Familienstiftung. Joachim Unseld erklärt: „Lübbert hat mir gesagt: Es ist eine komplexe Konstruktion und ich hatte häufig den Eindruck, dass Ihr Vater sie auch nicht ganz verstanden hat.“ Und er ergänzt: „Jedenfalls hat Lübbert in manchen wesentlichen Details nicht das umgesetzt, was mein Vater wollte“. Unseld-Biograf Peter Michalzik schreibt: „Es muss insbesondre Joachim so vorgekommen sein, als sei der Stiftungszweck vor allem der, ihn zu enteignen.“ Am 28. 8. 1990 haben Siegfried und Ulla Unseld geheiratet. Am 23. Oktober musste Joachim Unseld den Verlag verlassen. Bis zu Siegfried Unselds Tod, 12 Jahre später, haben Vater und Sohn nur noch wenige Worte miteinander gewechselt. Lübbert sei der Einzige, der alles weiß, sagen viele, die ein bisschen wissen, aber Heinrich Lübbert, der Anwalt aus München, ist seit 2009 auch nicht mehr Ulla Berkéwiczs Anwalt. „Er wurde abberufen, nachdem er einmal auf Mallorca mit mir zum Abendessen war“, sagt Hans Barlach. Es hieß danach, er sei „nicht mehr zuverlässig“. Joachim Unseld übernahm 1994 einen anderen Verlag, die Frankfurter Verlagsanstalt, die er seitdem mit anspruchsvollen Gegenwartstiteln führt.

Günter Berg ist der rührige Verlagschef des Hamburger Hoffman und Campe Verlages. 1990 kam er zu Suhrkamp und wurde 2001 von Siegfried Unseld als Geschäftsführer des Verlages eingesetzt. Ein ehemaliger Suhrkamp-Mitarbeiter weiß aus dieser Zeit: „Alle, die dabei waren müssten sich daran erinnern, dass Siegfried Unseld gesagt hat, ‚meine Frau soll in der Familienstiftung das Erbe verwalten und von dort aus den Verlag repräsentieren. Operativ soll sie mit dem Verlag nichts zu tun haben. Sie ist ja Autorin und will schreiben’.“ Siegfried Unseld gehörten damals 50 Prozent des Suhrkamp-Verlages. Die hätte er seiner Frau vererben können. Ohne eine komplizierte Stiftungskonzeption. Hat er aber nicht. Nur ein Jahr nach Siegfried Unselds Tod, erhebt Ulla Unseld-Berkéwicz Anspruch darauf, den Vorsitz der Geschäftsführung zu übernehmen. Zwei auf einem Sitz, das wird eng. Günter Berg verlässt das Haus. Neuer Programmleiter wird der Lektor Rainer Weiss, ein langjähriger und enger Vertrauter von Ulla Berkéwicz. Auch er wird drei Jahre später, 2006, gehen und einen eigenen Verlag, „weissbooks“, gründen. Heute sagt Weiss über seinen Weggang: „ Ich habe meinen Status überschätzt und Ulla Unselds verlegerischen Ehrgeiz unterschätzt, auch ihre zielgerichtete Energie, die gerne mit Begriffen wie Treue und Verrat operiert. Mein Abgang war für sie Teil eines Verrats. In einem Interview mit der dpa hatte ich Anfang 2006 gesagt, dass die ständigen öffentlichen Debatten um Suhrkamp mit einem fatal unaufgelösten archetypischen Vater-Sohn-Konflikt zu tun hätten, einem Drama also - und das war, glaube ich, mein Verrat.“

Der Begriff Drama war ein Tabu-Thema. Die ehemalige Schauspielerin Berkéwicz wollte in keinem Drama mehr mitspielen. Sie ist ja nicht nur gelernte Schauspielerin, sie hat es geschafft, auch Gegenstand dreier Romane zu werden. In Norbert Gstreins „Die ganze Wahrheit“, einem Roman, den der in Hamburg lebende Autor nach seinem Weggang von Suhrkamp schrieb, heiratet der Verleger Heinrich Glück, die junge, exzentrische Dagmar. „Immer ausschließlicher ergreift sie Besitz von seiner Existenz“ schreibt er. Und ein Rezensent urteilt, der Roman schildere „das Porträt über das mystische Irresein einer Frau, die nur an eine Wahrheit glauben will, ihre eigene.“ Tilman Moser hatte Ulla Berkéwicz einen ganzen Band, „Literaturkritik als Hexenjagd“ gewidmet, und Berkéwiczs Ex-Ehemann, der Regisseur Wilfried Minks, hatte mit ihr in der Hauptrolle einen Film gedreht. Sein Titel: „Geburt der Hexe“. Sogar Unselds langjähriger Freund und Autor Martin Walser hat Ulla Berkéwicz porträtiert. In seinem Roman „Tod eines Kritikers“, einem Schlüsselroman über die literarische Szene und die spielerische Ermordung des Kritikers Marcel Reich-Ranicki, ist Julia Pelz Pilgrim die begehrenswerte Gattin eines schwergewichtigen Verlegers, der sich das alter ego Walsers, Hans Lach, durch „die Liebe zur Mystik, zur Kabbala, Alchemie“ verbunden fühlt.

Im Mai 2002 war Unseld schwer erkrankt, den Antisemitismus-Vorwurf gegen und den Skandal um seinen Erfolgsautor Martin Walser und dessen Roman „Tod eines Kritikers“ bekam er wohl schon nicht mehr mit. Anfang 2004 verlässt Martin Walser, einer der Erfolgsautoren des Verlages Suhrkamp. Nach fast 50 Jahren und 136 Büchern, die er dort publiziert hat, wechselt er zu Rowohlt. In einem offenen Brief bedankt er sich bei den Mitarbeitern aller Abteilungen für die jahrzehntelange Zusammenarbeit. Sein Verhältnis zu Ulla Berkéwicz soll nicht gut gewesen sein. Fragt man ihn heute danach, so spricht er ganz anders: „Ich war Trauzeuge von Siegfried und Ulla Unseld. Damit gehen auch gewisse Verpflichtungen einher. Suhrkamp ist ein wunderbarer Verlag. Ich werde dort gut behandelt. Petra Hardt und ich bereiten gerade die Übersetzung meines Romans „Ein springender Brunnen“ ins Englische vor.“ Aha. Natürlich und selbstverständlich ist jeder Autor darauf bedacht, dass seine Bücher gut betreut werden und sich verkaufen können. Wieso also sollte er etwas Schlechtes über den Verlag sagen, der Rechte und Lizenzen an seinen Büchern hält? Exakt und genau so sind auch die Erklärungen zu verstehen, die Suhrkamp-Autoren wie Durs Grünbein, Rainald Goetz, Peter Handke oder Stephan Thome für den Verlag abgeben. Andere, renommierte Schriftsteller wie Daniel Kehlmann, Marcel Reich-Ranicki, Katharina Hacker, Adolf Muschg oder die Literaturnobelpreisträger Imre Kertèsz und Mario Vargas Llosa haben Suhrkamp verlassen. „Leider“, so sagt Mitgesellschafter Hans Barlach, „sind es oft auch diejenigen, die dem Verlag einen hohen Deckungsbeitrag gebracht haben. Autoren wie Goetz übersehen in ihren Verlautbarungen die Komplexität eines Verlagsgebildes. Die Solidarität von Goetz mit Ulla Unseld-Berkéwicz hat sicher was mit dem mit 50.000 Euro dotierten Siegfried-Unseld-Preis zu tun, den er bekommen hat. Das heißt nicht, dass er von Verlagsstrukturen Kenntnis hat. Handke hat den Siegfried-Unseld-Preis auch schon. Persönlich halte ich seine Sprache für nicht zeitgemäß. Seit Handke den Täter des Völkermordes von Srebrenica für unschuldig erklärte, ist sein Urteil für mich ohnehin nicht mehr viel wert.“ Handkes Bücher sollen kubikmeterweise in den Lagern liegen. Was Peter Raue zur Bemerkung animiert: „ Handke ist ein weltberühmter Autor, aber vielleicht lässt sich ‚Feuchtgebiete’ besser verkaufen.“ Der scheinbare Konflikt zwischen Geist und Geld – auch hier wird er wieder einmal bemüht.

Ulla Berkéwicz war Siegfried Unseld 1982 zum ersten Mal begegnet. Damals hatte die Schauspielerin ihr erstes Buch geschrieben, die Erzählung „Josef stirbt“. Die Lektorin Elisabeth Borchers hatte Berkéwicz und ihr Buch Unseld vorgestellt, der sofort hellauf begeistert war. In Peter Michalziks Biografie über Siegfried Unseld kann man nachlesen, dass der Verleger fragte: „Was lesen Sie gerade?“ Und die damals 34-Jährige antwortete: „Das Rigveda und die Upanishaden“. Zur Erläuterung sei gesagt, dass es sich dabei um Ritualtexte aus dem Hinduismus handelt, deren Entstehungszeit wohl im 2. Jahrhundert v. Chr. liegt. Berkéwicz lebte damals in Hamburg. Schauspielhaus-Intendant Ivan Nagel hatte sie 1972 ebenso wie Eva Mattes und Barbara Sukowa engagiert, nachdem er Berkéwicz in München in Walter Felsensteins „Wallenstein“-Inszenierung gesehen hatte. „Möglich, dass sie auch die jüdische Seite des ungarischen Emigranten Nagel berührt hat“, sagt der Ex-Schauspielhaus-Dramaturg und langjährige Spiegel-Redakteur Urs Jenny. Ulla Berkéwicz, die eigentlich Ursula Schmidt heißt, hatte sich zu Beginn ihrer Karriere nach einer möglichen jüdischen Großmutter Berkowicz umgenannt. „Sie braucht ja überall noch ein kleines Dramatüpfelchen“ erzählt eine Frankfurter Bekannte der Unselds, „daher auch der Accent auf dem e.“ Und Urs Jenny erinnert sich auch daran, wie er Ulla Berkéwicz als neue Kollegin vorstellte, ihr offizielles Geburtsjahr nannte und sie ihn daraufhin schalt, er habe sie drei Jahre älter gemacht. Aber nicht Jenny hatte einen Fehler begangen, Berkéwicz war gerade dabei, sich zu verjüngen.

Ulla Berkéwicz, die eher ein wenig pathetisch ist, exaltiert und nicht realistisch, machte schnell in Inszenierungen von Wilfried Minks und Dieter Giesing Karriere. Um Minks kämpfte sie privat mit Monica Bleibtreu und gewann. Ulla Berkéwicz wurde Minks’ Ehefrau. Zuvor hatte sie eine Ehe mit dem in Ost-Berlin engagierten, fast 30 Jahre älteren Dirigenten Wolfgang Rennert geführt, was heute in ihrer Biografie gern verschwiegen wird.. Auf der Bühne spielte sie in Minks’ Inszenierung von Goethes „Stella“, und „Die Zeit“ schrieb, sie spiele mit „hochdramatischem Augenrollen“ und „primadonnenhafter Aufgeregtheit“. In „Theater heute“ hieß es, „sie gestaltet die Stella mit Glut“. Ehemalige Freundinnen aus ihrer Hamburger Theaterzeit berichten heute, dass „Ulla eine fröhliche, erfrischende und sehr hilfsbereite Frau“ gewesen sei, „eine spannende, schillernde Persönlichkeit, schön und in Walle-Gewändern“, im Gespräch oft „sehr suggestiv“. „Zu den Anderen in die Kantine ist sie allerdings nie gegangen, höchstens mal, um sich einen Tee zu holen.“ Der damalige Schauspieler-Kollege Wolf-Dietrich Sprenger erinnert sich: „Sie war sehr attraktiv, hatte aber auch etwas Geheimnisvolles.“ Sie sei „eine Fantastin“ gewesen, heißt es auch, habe „so eine esoterische Ecke gehabt“. Und eine langjährige Freundin, die ebenfalls Schauspielerin ist und „bitte nicht genannt werden will“, behauptet: „Wir hatten eine schöne gemeinsame Zeit, bis das mit dem Okkultismus und der schwarzen Magie bei ihr überhand nahm. Sie hat mich in ihre Wohnung am Klosterstern zu Séancen eingeladen. Ich habe dann Panik bekommen und wollte nichts mehr damit zu tun haben.“

2003, nach einem selbst auferlegten Trauerjahr machte sich die Verlegerwitwe daran, die verlegerische Leitung im Suhrkamp Verlag zu übernehmen. „Wider jede Absprache“, wie es heißt, widerrechtlich, glaubt man Joachim Unseld, der sagt: „Ulla Berkéwicz ist nicht die Erbin des Verlages. Sie verwaltet eine Stiftung, die von meinem Vater eine Beteiligung am Verlag geerbt hat.“ „Es war eindeutig Unselds Wille, dass seine Frau die Geschäftsführung übernimmt“, erklärt Anwalt Peter Raue heute.

2008 schreibt Berkéwicz ein Buch über den Tod ihres Mannes, „Überlebnis“. Sie möchte darin „das, was sprachlos macht, in die Sprache heimholen“. Ein Kritiker stört sich an ihrem „raunend pathetisch-gebetshaftem Ton“. „Delirierend, insistierend, gestelzt“ findet die „Frankfurter Allgemeine“ das Werk. Damals kursierten zahllose Geschichten über Wunderheiler, okkulte Messen und Zahlenmagie über die Autorin und Verlagschefin. 2009 beschließt Ulla Berkéwicz mit dem Verlag nach Berlin umzuziehen. Berlins Kultur-Staatssekretär André Schmitz sagt dazu: „Wir haben eine große Charme-Offensive gestartet, um diesen Verlag nach Berlin zu holen. Der Umzug hierher war ein großes Glück für die Stadt.“

Dass Siegfried Unseld nicht wirklich einen Nachfolger für sich gesucht hat, sagen viele, die man fragt. „Er hatte das Gefühl, er würde ewig leben“, erzählt einer aus dem Verlag. „Er hat immer mal wieder jemand geholt, Gottfried Honnefelder, Arnulf Conradi, Thedel von Wallmoden, Christoph Buchwald, doch ähnlich wie bei seinem Sohn Joachim, hielt er schon nach kurzer Zeit niemand für fähig.“ Hans Magnus Enzensberger, auch er ein Suhrkamp-Autor, hat oft kolportiert, dass Unseld immer schalkhaft gesagt haben soll, „falls ich einmal sterben sollte“.

„Der Suhrkamp Verlag war unter Siegfried Unseld ein Teil der Deutschland AG“, sagt Hans Barlach, „daher auch die heftige öffentliche Debatte über den Streit zwischen den Gesellschaftern.“ „Jetzt warten wir mal den Termin am 13. Februar ab. Ich glaube, der Richter ist ein Spaßvogel. Der 13. Februar ist nämlich Aschermittwoch“, sagt Joachim Unseld. Läuft am Aschermittwoch nicht immer jemand im Büßergewand herum?