Sebastian Matthias' Stück hebt die vierte Wand zwischen Performer und Zuschauer auf, ist Tanztheater für den Kopf, weniger für das Herz.

Hamburg. Am Eingang erhält der Besucher zur Begrüßung eine Schelle überreicht. Hilfe, soll man hier etwa mittanzen? Die vierte Wand zwischen Performer und Zuschauer ist aufgehoben, so viel ist sicher, denn der Raum auf Kampnagel enthält nur wenige Stühle. Stattdessen wandeln Zuschauer, Musiker und Tänzer während der Premiere von "Danserye" des Choreografen Sebastian Matthias frei herum. Drei halbkreisförmige Neonröhren (Awst & Walther) schweben von der Decke. Ein vierköpfiges Instrumentalensemble nimmt seine Plätze ein.

Musik erklingt, die an die Tanztraktate der Renaissance erinnert. Mit ihrem würdevollen rhythmischen Schreiten, der Instrumentierung in all ihrer Zartheit und Eingängigkeit mit Flöte, Gitarre, Violine - und untypisch für die Zeit - Klarinette. Zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer gesellen sich hinzu. Vollführen recht befremdlich anmutende stilisierte Bewegungen; sie schreiten, knien, hüpfen und das immer inmitten staunender Zuschauer. Das Bewegungsrepertoire fußt nur auf kurzen Zitaten von höfischen Gesellschaftstänzen der Renaissance wie Pavanen, Ronden oder Branles. Die Aufführung gewinnt etwas Konzentriertes, Fokussiertes, das den Betrachter jedoch kaum berührt.

Sebastian Matthias und seinem Komponisten Michael Wolters geht es nicht darum, Gedanken, Positionen des traditionellen Gesellschaftstanzes in die Gegenwart zu überführen. Sie untersuchen in diesem Abend, der mehr von einer Klang-Bewegungsinstallation hat als von einem klassischen Tanzstück, das Erlebnis als solches. Der Zuschauer ist aufgefordert, Teil der Veranstaltung zu werden. Damit geht der in Berlin lebende Choreograf Sebastian Matthias über das Konzept seiner letzten Arbeit "Dezett" zur Musik von John Cage noch einen Schritt hinaus.

Zwar wird die Musik wunderbar präsentiert und Lisanne Goodhue, Isaac Spencer, Jan Burkhardt und Deborah Hofstetter führen dazu recht virtuose Verrenkungen vor, die einen Eindruck von der Würde, auch der Enge des höfischen Repräsentationstanzes vermitteln. Der Verzicht auf eine inhaltliche Aussage führt allerdings zu einem "L'art pour l'art"-Eindruck, dem Gefühl eines abstrakten Spiels mit Ästhetik, das den Betrachter auf Distanz hält.

Sebastian Matthias: "Danserye" bis 20.1., jew. 20.30, Kampnagel, Jarrestraße 20-24; www.kampnagel.de