Mit ihrem neuen Album “Fade“ hat die US-Band Yo La Tengo wieder einmal Maßstäbe gesetzt. Ein bisschen Hamburg steckt auch in dem Album.

Ein bisschen Hamburg steckt auch in "Fade", dem aktuellen Album von Yo La Tengo. Vor 20 Jahren lernten die Mitglieder des US-Trios aus Hoboken/New Jersey in der Markthalle ihren Produzenten John McEntire kennen. Der gehörte damals schon zur Rockszene von Chicago und trommelte in diversen Bands, unter anderem bei einer Combo namens Seam, an die sich kaum noch jemand erinnern wird. Seit diesem Auftritt im MarX, dem kleinen Saal des Clubs am Klosterwall, besteht die Freundschaft zwischen McEntire und Ira Kaplan, Georgia Hubley und James McNew. Im vergangenen Sommer reisten sie nach Chicago, um im Studio von McEntire ihr 16. Album aufzunehmen.

"Natürlich hätten wir diese Platte allein aufnehmen können, aber es war uns wichtig, eine weitere Stimme bei diesem Aufnahmeprozess zu hören", erzählt Ira Kaplan vor ein paar Wochen bei einem Interview in Hamburg. Bei ihm zu Hause in Hoboken ist wegen des Hurrikans "Sandy" gerade Land unter. Zum Glück ist das Haus, in dem er mit seiner Frau Georgia Hubley lebt, von den Überschwemmungen und Sturmschäden verschont geblieben. In dem aktuellen Song "Two Trains" erwähnt er eine Überflutung, "Paddle Forward" beginnt mit "S.O.S.", aber über seherische Fähigkeiten verfügt er nicht. "Ich bin nicht Nostradamus oder ein anderer Prophet", sagt er und lacht. Überhaupt möchte er zu den sperrigen und verschlüsselten Texten nicht viel sagen. "Es sind keine Essays, sondern Lyrik. Sie sind, was sie sind. Jeder Hörer kann darin selbst nach Erklärungen suchen und sie auf seine Weise verstehen." Die zehn Songs handeln von Themen wie dem Altwerden, Beziehungen, den kleinen Katastrophen des Alltags.

Die Texte schreibt Kaplan erst, wenn das musikalische Gerüst der einzelnen Songs bereits steht. "Diesmal hatten wir bereits drei Songs komplett fertig, bevor wir zu John gereist sind. Das ist für unsere Verhältnisse enorm. Aber mir macht es am Ende ganz schön viel Druck, wenn die Lyrik als einziges Element noch fehlt", räumt er ein. Überhaupt arbeitet die seit fast 30 Jahren bestehende Indierock-Band sehr langsam. Eineinhalb Jahre dauerte es, bis genug Material vorhanden war, um "Fade" aufzunehmen. "Wir jammen zusammen, und John nimmt diese Sessions mit einem Zwei-Spur-Gerät auf. Aber das ist kein kontinuierlicher Prozess, es gibt immer wieder lange Unterbrechungen", erklärt der Sänger, Gitarrist und Hauptsongschreiber. Seit den 90er-Jahren zählt sie zu den wichtigsten Bands des Alternative Rock.

Musikalisch stand Yo La Tengo immer für Experimente und Überraschungen. Das ist auf "Fade" nicht anders, allerdings war die Schönheit der Songs dieses Mal ein wichtiges Kriterium. Mit Streicher und extra aufgenommenen Gitarren wurden die Nummern aufpoliert, aber so ganz trauen Kaplan und seine beiden Mitstreiter dieser Harmonie nicht. Die Eröffnungsnummer "Ohm" zum Beispiel entwickelt sich von einem recht poppigen Lied zu einer psychedelischen Nummer mit einem an Velvet Underground erinnernden gleichförmigen Gitarrenrhythmus, über den Kaplan dann weitere verzerrte Gitarrenspuren legt. "Ohm" könnte auch aus den späten 60er-Jahren stammen, andere Songs wie "I'll Be Around" beginnen mit akustischen Gitarren und verströmen Lagerfeuerromantik, doch auch nur so lange, bis eine Rückkoppelung die allzu kuschelige Atmosphäre aufbricht.

Überraschend klingt "Is That Enough". Mit Geigen und Chören hat Kaplan ein zartes und eingängiges Liebeslied geschrieben, bei dem Yo La Tengo den luftig-leichten Charakter ohne Störung durchhält. "Well You Better" klingt mit seiner elektrischen Orgel wie Partymusik der 60er-Jahre, "Paddle Forward" könnte mit seinen durchgängigen Gitarren auch von Teenage Fanclub stammen, einer Band, die John McEntire ebenso produziert hat wie Bright Eyes, Stereolab oder die eigenen Bands Tortoise und The Sea and Cake.

Vier Jahre nach ihren "Popular Songs" hat Yo La Tengo bereits zu Beginn des neuen Jahres wieder Maßstäbe gesetzt. "Fade" zählt mit seinem fein gesponnenen Arrangements und der großen musikalischen Bandbreite zu den stärksten Alben, die in den vergangenen Monaten erschienen sind. Mit dem Werk setzt die US-Band die Reihe ihrer facettenreichen Produktionen fort. Auch 2013 gehört Yo La Tengo immer noch zu den Bands, die Maßstäbe setzen. Nur live wird das Hamburger Publikum sie bei ihrer März-Tournee nicht erleben. Für Ira Kaplan unverständlich, denn er liebt Hamburg und seine Clubs. "In den 80ern haben wir auf dem Kiez in einem Club namens ,Mitternacht' gespielt. Er lag im Keller, war dunkel und runtergekommen, aber das Konzert war toll."

Yo La Tengo: "Fade" (Matador Records)