In John Logans Dialog-Stück “Rot“ gibt Markus Boysen an den Kammerspielen den intellektuellen, in sich zerrissenen Maler Mark Rothko.

Hamburg. Wir treffen uns in der Kunsthalle. Markus Boysen kommt bei Schmuddelwetter mit langem Stoffmantel, den Hut gegen Nieselregen und Wind ins Gesicht gedrückt. So kennen die Leute den Schauspieler mit den kantig markanten Gesichtszügen und dem ernsten, nach innen gekehrten Blick aus Filmen oder Krimis im Fernsehen - aber auf der Straße erkennen sie ihn eher selten. Was unverkennbar Boysens Wunsch entspricht.

Gerade läuft noch bis Ende April die Ausstellung "15 Jahre Galerie der Gegenwart" mit zeitgenössischer Kunst aus der Sammlung des Museums. Vor fünf Jahren zeigte es eine Werkschau des abstrakten Expressionisten Mark Rothko. Jenes Malers, von dem manche Leute glauben, sie könnten ähnlich dem Künstler Farbfelder in schmutzigem Braun, sattem Grün, sonnenhellem Gelb, brennend leuchtendem oder verglühendem Rot und dem alles Lebensbunte verschlingenden Schwarz auf die Leinwand klecksen.

Sie bekommen nun die Chance, sich eines Besseren belehren zu lassen in John Logans Dialogstück "Rot" über Marcus Rothkowitz (1903-1970), den lettischen Emigranten in Amerika und intellektuellen Künstler, dessen Bilder heute auf Auktionen Millionen über ihrem Schätzwert erbringen. Markus Boysen spielt Rothko in Michael Bogdanovs Inszenierung an den Kammerspielen. Es ist seine erste gemeinsame Arbeit mit dem englischen Regisseur, aber nach "Blackbird", "The Lisbon Traviata" und "Mahler - Der Teufel tanzt mit mir" die vierte im Privattheater an der Hartungstraße. Am 13. Januar ist Premiere, in der Boysens Partner Jacob Matschenz sein Theaterdebüt gibt. Der Filmschauspieler hat die Rolle des Rothko-Assistenten und Gegenspielers Ken für Robert Stadlober übernommen, der sie niederlegte. "Er und Bogdanov haben sich einfach nicht verstanden. Das gibt es öfter im Leben, da muss man sich nicht zusammen abquälen."

Nicht nur als Personen in Logans Stück, auch in den Darstellern stehen sich also einander ferne Welten gegenüber. Spannend. Denn der Sohn des zum 90. Geburtstag 2010 als "Jahrhundertschauspieler" gefeierten Rolf Boysen ist ein erfahrenes "Kind des Theaters", Matschenz ein junger Kinomann mit rascher Karriere. Boysen verliert im Gespräch über sein Spielen vor der Kamera kaum ein Wort, was nicht bedeute, dass er es gering schätze, wie er betont. Am Partner imponiert ihm die lebensfrohe Offenheit und Unbekümmertheit. "Die Bühne ist für ihn ein Experimentierfeld, das er entdeckt. Er scheint keine Angst zu kennen und hat einen Riesenspaß am Spielen und Ausprobieren."

Beim Reden über das Theater, über Hamburg und seine Zeit am Schauspielhaus kommt der skeptisch reservierte Endfünfziger doch etwas aus sich heraus. "Ich bin zwar in Hannover geboren, habe aber hier Jugendjahre verlebt und bin in Volksdorf zur Schule gegangen." Früh war Boysen junior schon im Schauspielhaus, als sein Vater dort in Inszenierungen von Hans Lietzau oder Fritz Kortner (legendär der "Clavigo", 1970) auftrat. "Ich bin als Gymnasiast bei Lietzau in den Proben gesessen, habe mit ihm in der Kantine Kaffee getrunken. Das Schauspielhaus ist mir immer sehr nah."

In der Ära Nils-Peter Rudolph hat er dann dort Anfang der 80er-Jahre auf der Bühne gestanden, nach Zwischenspielen an den Münchner Kammerspielen und der Wiener "Burg" bei Claus Peymann wieder sieben Jahre lang bis 2000 in Frank Baumbauers Intendanz. Seine erste Rolle in Hamburg spielte Boysen, der kurz an der Hamburger Musikhochschule Schauspiel studierte, jedoch am Thalia Theater: den Jüngling in Lorcas "Dona Rosita bleibt ledig".

Er wollte eigentlich nicht Schauspieler werden. Eine wohl vorübergehende Oppositionshaltung gegenüber dem Vater und Star der Münchner Kammerspiele. Dort begann er nach einem Uni-Intermezzo als Regieassistent bei Dieter Dorn und ist, wie er sagt, ins Spielen hineingerutscht. "Ich bin in kleinen Rollen auf die Bühne gehupft, die erste größere war der Gymnasiast Hugenberg in 'Lulu' mit Cornelia Froboess." Es folgten Demetrius im "Sommernachtstraum" und ... und ... und ...

Zeitsprung zu Rothko. Boysen ist von ihm fasziniert: "Als Mensch und Maler, als Denker, als Egomane, als Zerrissener." Vermutlich aber auch, weil sich der sensible, selbstkritische Kopfschauspieler Rothko in vielem nahe fühlt, ihn nur zu gut verstehen kann. "Wir befinden uns, alle und auf ewig, im Zustand ständiger Dissonanz."

Sind Rothkos Ringen um ein Bild und der Kampf des Schauspielers um eine Figur zu vergleichen? "Ein Unterschied ist natürlich klar: Rothko hat seine Bilder selbst geschaffen, er ist ein originärer Künstler, während wir interpretierende Künstler sind." Extremschauspieler, die sich wie Ulrich Wildgruber bis zum Wahnsinn in Rollen hineingesteigert hätten, seien Rothko in seiner Unbedingtheit durchaus ähnlich. "Sie begaben sich aber auf ein gefährliches Gebiet, um an den Kern der jeweiligen Rolle heranzukommen." Wie hält er es damit? "Kommt auf die Rolle und Regisseure an. Ich fühle mich schon zu solchen Menschen hingezogen, habe aber das Bedürfnis, mich zu schützen."

Wie in jeder Rolle nähert sich Boysen einer Figur über den Text und die Sprache. "Der Autor verwendet im Text Sätze, die Rothko geschrieben oder in Interviews gesagt hat. Aber wie auch immer die Nähe zwischen Rolle und dem Menschen Rothko sein mag, ich sehe ihn auch als eine Bühnenfigur, die eben nicht Rothko ist." Er möchte kein "Spitting Image" von Rothko geben. "Auch wenn ich mich mit ihm sehr beschäftige, will ich ihn nicht imitieren."

Markus Boysen hat recht. Gutes Theater handelt auch davon, dass etwas von der Individualität eines Schauspielers nicht wegzubekommen ist oder nicht wegzubekommen sein sollte. Erst dann agiert er in den Augen der Zuschauer authentisch, unverwechselbar und in gewissem Sinn auch - einzigartig. So, wie sich auch ein Mark Rothko bis zum selbst gewählten Tod treu blieb.

"Rot" Premiere So 13.1., 19.00, Kammerspiele, Restkarten erhältlich, weitere Vorstellungen 16.-19., 23.-27.1. u. 3.-10.2, jeweils 20.00, So 19,00, Karten unter T. 0800/41 33 440

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