Der Umbau verzögert den Start, aber ein starkes Ensemble steht: Karin Beier, bald Intendantin am Schauspielhaus, über den Ruf des Theaters und ihre Pläne für Hamburg.

Hamburg. An die unkonventionelle Nachbarschaft kann sich die designierte Intendantin des Deutschen Schauspielhauses schon seit ein paar Wochen gewöhnen. Das Vorbereitungsbüro von Karin Beier liegt in einer Seitenstraße von St. Georg, in Fußnähe vom Bühneneingang. Es ist licht und gemütlich und außerdem geräumig genug, um neben einem (ziemlich leeren) Schreibtisch, einem Konferenztisch und einem Sofa auch ein Bühnenbildmodell zu beherbergen. Etwa das der Eröffnungspremiere? Ihrer ersten eigenen Inszenierung? Die neugierigen Reporterblicke unterbricht Karin Beier mit entschiedener Geste: "Das dürfen Sie noch gar nicht sehen! Das vergessen Sie jetzt sofort !" Den Keksteller rührt sie während des Gesprächs nicht an, sie trinkt Red Bull. Man muss also keineswegs befürchten, dass ihr - die in dieser Woche "Die Troerinnen" in Köln herausbringt und gleichzeitig in Hamburg die Übernahme des größten deutschen Sprechtheaters vorbereitet - die Energie abhanden kommt. Was man dieser klaren, fokussierten und trotzdem aufgeräumten Frau allerdings auch ohne Energydrink kaum unterstellt hätte.

Hamburger Abendblatt: Im Sommer werden Sie Intendantin am Schauspielhaus. Seit wann bereiten Sie sich darauf vor?
Karin Beier: Seit der Sekunde, als ich designiert wurde. Seit zweieinhalb Jahren. Da ging sofort die Maschine los. Man muss ja zum Beispiel bei Regisseuren, die sehr gefragt sind, oft schon Jahre im Voraus anfragen. Und dann bleibt es nicht bei einem Gespräch, man trifft sich öfter, schaut sich Inszenierungen an. Das ist ein langer Prozess.

Seit wann sind Sie in Hamburg?
Beier: Wir haben hier schon eine Wohnung, in Eppendorf. Meine Tochter wurde in Hamburg eingeschult. Aber noch bin ich ja Intendantin in Köln. Ich pendele. Am 11. Januar habe ich dort meine nächste Premiere.

Wie weit sind Sie mit Ihren Vorbereitungen am Schauspielhaus?
Beier: Jedes Theater tickt anders. Ich habe versucht, die speziellen Probleme am Schauspielhaus kennenzulernen, mit allen Mitarbeitern zu sprechen, Abteilungen umzustrukturieren. In Köln habe ich so etwas nicht gemacht, damals war ich Anfängerin als Intendantin. Inzwischen weiß ich, dass man direkt am Anfang sehr deutlich machen muss, wo man die Schwerpunkte setzen will. Das meiste Geld am Theater wird ja von den technisch-administrativen Bereichen verschluckt, für die Kunst bleibt ein kleiner Rest.

Man sagt, 85 Prozent des Etats sind schon verbraucht, bevor man überhaupt an Kunst denken kann.
Beier: Nicht ganz, aber fast. Als Intendantin kann ich entscheiden, wo ich mehr und wo ich weniger Geld einsetzen will. Beispielsweise könnte ich sagen, ich möchte einen teuren Schauspieler, dafür ist bei den Kostümen nur noch Geld für Jeans und T-Shirts da. Meine Prioritäten setze ich, indem ich mir ein hochkarätiges Ensemble und herausragende Regisseure leiste.

Dafür kürzen Sie woanders?
Beier: Ein wenig. Das ist nicht immer schön. Ich versuche Gelder umzuschichten. Ich würde aber beispielsweise nie beim Ton sparen. Ich arbeite als Regisseurin selbst sehr musikalisch, brauche eine gute Tonabteilung mit superfitten Leuten, die auch viele Stunden arbeiten. Ich brauche gutes Ton-Equipment. Zuallerletzt würde ich beim Ensemble sparen.

Ist Ihr Ensemble schon komplett?
Beier: Ja. Schauspieler und Regisseure stehen. Ich führe auch Gespräche, die über die erste Spielzeit hinausgehen.

Es heißt, der Schauspieler Josef Ostendorf kehrt ans Schauspielhaus zurück, Ute Hannig und Markus John bleiben. Sie bringen die junge Lina Beckmann mit, Michael Wittenborn und Charly Hübner. Paul Herwig soll zum Ensemble gehören und Maria Schrader. Richtig so?
Beier: (lächelt) Ich bestätige das nicht, aber wenn man sich die Liste der Schauspieler anguckt, mit denen ich gearbeitet habe, kann man schon auf Ideen kommen. Ich lege auf jeden Fall großen Wert darauf, dass wir ein Ensemble haben, das aus allen Generationen besteht. Es werden 33 Schauspieler sein, 20 Männer und 13 Frauen. Man hat immer zu viel, und man hat immer zu wenig, hat mir Thalia-Intendant Joachim Lux gesagt. Aber das Ensemble, das kommen wird, kann sich wirklich sehen lassen. Es wird eine sehr tolle Truppe.

Wie grenzen Sie sich vom Thalia ab?
Beier: Ich habe zehn Jahre mit Joachim Lux gearbeitet, in denen er mein Dramaturg war. Natürlich arbeiten wir kollegial zusammen und tauschen uns aus. Wir sind wie ein altes Ehepaar. Es wird aber kein Regisseur am Schauspielhaus arbeiten, der parallel am Thalia inszeniert. In Hamburg ist Platz für zwei starke Theater, davon profitieren alle.

Bekommen Sie alle Schauspieler, die Sie möchten?
Beier: Das Schauspielhaus hat immer noch einen tollen Ruf. Es gibt natürlich Schauspieler, die nicht ins feste Engagement kommen, weil sie lieber Filme drehen. Oder weil das Burgtheater besser zahlt. Darüber hinaus kommt jeder gern hierher.

Sprechen wir doch mal über Regisseure, die Sie engagieren wollen ...
Beier: (lächelt) Ich bestätige auch da noch keine Namen.

Sebastian Nübling?
Beier: (lächelt und schweigt.)

Karin Henkel?
Beier: (lächelt und schweigt.)

Sie lächeln.
Beier: Ich lächel das hier jetzt einfach durch.

Katie Mitchell?
Beier: (lächelt) Ich sag mal so: In Köln waren wir ja einige gute Frauen. Das wär doch auch schön für Hamburg.

Christoph Marthaler?
Beier: (lächelt und schweigt.)

Michael Thalheimer?
Beier: (lächelt) Also, es gibt so Regisseure, mit denen bin ich noch nicht gleich für die erste Spielzeit verabredet, mit denen rede ich schon über die dritte Spielzeit. Es ist tatsächlich auch immer mal wieder so, dass man bereits zwei Jahre im Voraus schon zu spät ist, vor allem bei Leuten, die gern Oper machen.

Haben Sie eine Art Oberspielleiter oder Hausregisseur?
Beier: Das brauchen wir nicht. Aber wir gehen schon davon aus, dass es mit jedem eine Kontinuität in der Zusammenarbeit gibt. Selbstverständlich möchte ich auch ein, zwei Überraschungen präsentieren. Aber natürlich kennen Sie alle Regisseure, die solch ein großes Haus beherrschen. Und natürlich riskieren wir auch was, einen Regisseur vielleicht, den man in Deutschland noch gar nicht erlebt hat. Risikobereitschaft finde ich ganz wichtig.

Für wen machen Sie Theater?
Beier: Es ist nach wie vor eine bestimmte Klientel, die ins Theater geht. Das hat etwas mit Bildungsbürgertum zu tun, auch wenn es das so vielleicht gar nicht mehr gibt. Es sind Leute, die sich für Literatur interessieren, möglicherweise auch für bestimmte ästhetische Formen. Ich will Theater machen, das nicht nur rund und süffig ist, sondern den Zuschauern auch etwas abverlangt. Wir strengen uns an und ihr euch da unten bitte auch. Das kann man ja haben als Haltung, finde ich. Und so ein Publikum ist sich trotz verschiedener Orte ja sehr ähnlich. Ich bin kein Fan davon, die Zuschauer einzuteilen in "das Hamburger Publikum" oder "das Kölner Publikum". So immens sind diese Unterschiede nicht.

Sie müssen sich und Ihre Kunstform ja auch für die Zukunft aufstellen. Dafür reicht die bildungsbürgerliche Klientel allein nicht aus. Wie holt man theaterferne Bevölkerungsgruppen ins Theater?
Beier: Es reicht jedenfalls nicht, gewisse Stoffe zu behandeln. Auch nicht, gewisse Schauspieler auf die Bühne zu stellen. Wie man das dann trotzdem schafft, das weiß ich auch noch nicht so genau. In Köln haben wir ja gedacht, wenn wir etwas über die türkische Arbeiterschaft erzählen, dann kommen die auch. Aber die interessieren sich zunächst einmal gar nicht für deutsches Theater. Wenn man türkische Schichten erreichen will, muss man wissen, welche Musik die hören, wer für die auflegt, ob man diese Szene ins Theater holen kann. Man braucht einen ganz langen Atem, das ist nicht unkompliziert, und das habe ich in Köln unterschätzt.

Was tun Sie in Hamburg dafür?
Beier: Umstrukturieren. Leute ins Theater holen, die sich zum Beispiel mit neuen Medien auskennen, gute junge Leute, beispielsweise auch eine Onlineredaktion. Ich selber wäre völlig ungeeignet. Ich bin nicht mal auf Facebook, das ist eine Welt, die ich nicht kenne.

Wie viele Premieren wollen Sie in Ihrer ersten Spielzeit herausbringen?
Beier: Weniger als 20, was für einen Neubeginn nicht besonders üppig ist. Aber es wird eine harte Spielzeit werden. Man muss jeden aus dem Ensemble gut einsetzen. Die Zuschauer sollen die Schauspieler kennenlernen. In der Eröffnungsphase werden wir fünf Stücke herausbringen.

Sie haben als junge Regisseurin sehr viel Shakespeare inszeniert und damit große Erfolge gefeiert. Werden Sie mit Shakespeare eröffnen?
Beier: (lacht) Ich inszeniere ein Stück mit zehn Personen.

Das Schauspielhaus hat keine glücklichen Jahre hinter sich. Sie wurden als Intendantin des Kölner Schauspiels mehrfach ausgezeichnet. Die Erwartungen an Sie sind immens. Belastet Sie der Druck?
Beier: Ich versuche das zu verdrängen. Natürlich weiß ich: Meine Arbeit als Intendantin steht und fällt mit dem Ruf, den ich mir als Regisseurin erwerbe.

Welche Ihrer Eigenschaften halten Sie für die wichtigste?
Beier: Selbstdisziplin. Ohne geht es nicht, wenn man meine Berufe mit einer Familie hinbekommen will. Ich habe mich immer wieder Situationen gestellt, die an der Grenze zur Überforderung lagen. Überforderung ist so eine Art Lebenselixier für mich.

Was ist das Schöne an Ihrem Beruf, was ist frustrierend?
Beier: Das Schöne ist das Gestalterische. Mein Tag ist total durchgetaktet. Wenn meine Tochter das Haus verlässt, von acht Uhr morgens bis circa 11.30 Uhr, findet der künstlerische, der kreative Teil statt. Da beschäftige ich mich mit Texten und überlege mir, wie ich inszeniere. Das mache ich lieber zu Hause als im Büro, weil ich mich dort nicht stören lasse. Aber wenn ich das geschafft habe, kommt der Job mit Terminen, Besprechungen. Die Verwaltung kann ich gut loslassen, ich habe ein sehr gutes Team. Natürlich müssen wir uns jetzt in Hamburg neu aufeinander einstellen. Und ich muss auch mit Entscheidungen leben, die ich möglicherweise nicht gut finde, aber das geht. Abends bereite ich dann die Probe für den kommenden Tag vor. Davor verbringe ich Zeit mit meinem Kind. Wenn Sie mich fragen, was unschön ist, dann ist es natürlich alles, was mit Kündigungen zu tun hat. Daran werde ich mich nie gewöhnen, aber es gehört zum Beruf. Unschön sind auch alle Fragen, die sich ums Geld drehen. Und um den Umbau.

Sie geben selbst das Stichwort: der Umbau. Es heißt, man sei bereits Wochen im Verzug. Sie müssten einen Monat später eröffnen.
Beier: Die Sanierungsarbeiten sollten im September fertiggestellt werden, die Eröffnung für das Publikum wäre dann im Oktober gewesen. Mit diesen Terminvorgaben habe ich geplant, sie sind aber offensichtlich nicht zu halten.

Haben Sie einen Plan B?
Beier: Ich habe in den letzten Tagen meinen Spielzeitstart umgekrempelt, meine künstlerischen Partner mit Engelszungen beredet, um sie zu Kompromissen zu bewegen. Terminkollisionen sind aber schon jetzt unvermeidlich. Jede Woche weiterer Verzug wäre eine schiere Katastrophe. Ich sage das ganz deutlich: Meine Anfangsphase ist in Stein gemeißelt. Da sind Regisseure dabei, die zeitlich extrem eng gebunden sind, die begehrt sind, die nicht mal eben anderthalb Monate später kommen können. Wenn ich Herrn Römmpömmpömm verschiebe, ist das vielleicht egal, aber wenn ich zum Beispiel jemanden wie Katie Mitchell auslade, habe ich ein Problem. Wir reden da über andere Dimensionen, auch finanziell. Und man hat ja auch einen Ruf als verlässlicher künstlerischer Partner zu verlieren. Eine weitere Verschiebung ist undenkbar.

Wenn es dennoch so kommt - was machen Sie dann?
Beier: Wenn da einer sagt: Lass doch die erste Hälfte weg - dann kann ich nur sagen: Das geht nicht. Man überlegt so eine Saison doch sehr genau. Eine Uraufführung, ein Klassiker, dann was Musikalisches und so weiter, das ist doch ein Konzept, ein Gesamtpaket, das greift ja alles ineinander, auch die verschiedenen Handschriften der Regisseure. Ich werde sehr darum kämpfen, das Programm zu erhalten, das wir seit zweieinhalb Jahren erarbeiten. Wenn ich da beispielsweise einfach den Klassiker rausnehme, ist das Ensemble gleich frustriert, weil die plötzlich nichts mehr zum Spielen haben und spazieren gehen müssen. Es wäre sofort schlechte Stimmung am Theater. Der Schaden wäre in vielen Bereichen unendlich hoch.

Von den Einnahmeverlusten mal ganz abgesehen ...
Beier: Von den Finanzen rede ich gar nicht, weil ich selbstverständlich davon ausgehe, dass die Stadt die von mir unverschuldeten Mehrbelastungen kompensieren würde. Gleichzeitig muss natürlich sichergestellt sein, dass am Ende ein funktionstüchtiges Theater dasteht, der Zeitdruck darf nicht dazu führen, dass an der Qualität der Sanierung gespart wird. Ich bin mir aber sicher, dass die Kulturbehörde diese ganzen Problemzusammenhänge kennt und verantwortungsbewusst damit umgeht.

Wenn Sie davon ausgehen, haben Sie offenbar einen bestimmten Eindruck von dieser Stadt als Kulturstadt. Wie genau sieht der aus?
Beier: Es ist für mich noch zu früh, das zu konkretisieren. Zunächst einmal verlaufen die Gespräche in der Behörde sehr viel professioneller als in Köln, so viel kann ich schon mal sagen! (lacht) Das ist schon ein anderer Schnack hier. Alles sehr kaufmännisch, auch mit einer anderen Härte, aber das ist in Ordnung so. Also, ich behalte die Nerven. Noch.

Sind Sie vor irgendetwas gewarnt worden, bevor Sie nach Hamburg kamen?
Beier: Vor der Presse. (lacht)

Können wir uns gar nicht vorstellen.
Beier: Ich mir eigentlich auch nicht, aber es gibt ja auch noch mehr. Frank Baumbauer beispielsweise hat mir gesagt: In Hamburg kann man über 100.000 Euro stolpern. Da können Sie künstlerisch top sein, aber ein Defizit von 100.000 Euro bringt Sie zu Fall. In Köln redet man sich solche Sachen schön, und nach dem zweiten Bier ist dann alles vergessen. Das - so sagt man mir - ist hier anders. Aber erstens habe ich auch in Köln meinen Etat nie überzogen. Und zweitens verliere ich nicht so schnell meine Grundgelassenheit.