Die 29-jährige Anna Prohaska ist der unkonventionelle Shootingstar der Oper. Ende des Monats singt sie in der Laeiszhalle.

Berlin. Es gibt Augenblicke, in denen sie sich fragt, warum sie sich das antut. Oder ob sie nicht doch besser Schriftstellerin geworden wäre? Das sind die Momente, in denen Anna Prohaska den enormen Erwartungsdruck spürt, der auf ihr lastet. "Das Gefühl, dass man in diesen fünf Minuten einfach perfekt sein muss."

Sie ist erst 29, aber sie hat bereits mit Dirigenten wie Claudio Abbado, Pierre Boulez, René Jacobs, Mariss Jansons, Daniel Barenboim und Simon Rattle gearbeitet, bei den Salzburger Festspielen gesungen und Jörg Widmanns "Babylon"-Oper ein besonderes Glanzlicht aufgesetzt. Anna Prohaska sei "die klassische Männersehnsucht", schrieb der Kritiker der "Süddeutschen Zeitung" nach der Münchner Uraufführung im Oktober beglückt. Und in der "FAZ" hieß es, Anna Prohaska habe "hinreißend kokett tirilierend" den Tod bezirzt. So etwas können andere Opernstars nicht in 50 Jahren über sich lesen. Sie hat für "Babylon" allerdings auch sehr viel riskiert. "Da war die Angst, mir stimmlich wehzutun. Und da war die Frage: 'Wie überzeuge ich die Leute, dass ich nicht komplett nackt auf der Bühne stehen will, ohne prüde zu wirken?'"

Anna Prohaska ist der internationale Shootingstar der Berliner Staatsoper, an der sie seit sechs Jahren fest engagiert ist. Was ihr hilft, die Bodenhaftung nicht zu verlieren. Zum Beispiel, wenn man sie mit Anna Netrebko vergleicht. Worüber sie sich richtig aufregen kann. "Anna, okay, gleicher Vorname, slawischer Nachname, drei Silben!" Blödsinn sei dieser Vergleich, sagt Anna Prohaska. Und fügt hinzu: "So einen Schuh muss man sich ja nicht anziehen, aber der wird einem angezogen. Und wenn das Etikett einmal drauf klebt, wird man dafür auch noch abgestraft. Plötzlich heißt es dann: 'Die kann ja der Netrebko nicht das Wasser reichen!' Anna Netrebko singt aber ein anderes Fach."

Sie hat eine sehr schöne Stimme. Die haben andere Sängerinnen auch. Wer die Aufregung um Anna Prohaska verstehen will, muss sie auf der Bühne erleben. Zum Beispiel als "Rosenkavalier"-Sophie, die sie gerade zum ersten Mal in Berlin gesungen hat. In einer reaktivierten Inszenierung aus den 90er-Jahren, die von Simon Rattle dirigiert wurde. Aber nicht Rattle war der Star des Abends und auch nicht Magdalena Kozena, die den Octavian sang, sondern Anna Prohaska. Wenn die Österreicherin auf der Bühne stand, sind die Kollegen ein bisschen verblasst, so stark war die Präsenz, die von ihr ausging.

"Das brave Mädchen mit den antrainierten Gesten, das ich schon so oft auf der Bühne gesehen habe, wollte ich nicht sein", sagt Anna Prohaska. "Ich wollte das Gemütliche da weg haben. Für mich war wichtig, dass ich immer wieder zurückfinde zu dieser Disziplin, die Sophie als Klosterschülerin gelernt hat: 'Kopf hoch! Bloß nicht weinen!' Ich wollte zeigen, dass es der Sophie schwerfällt, wieder in die höfische Gesellschaft zurückzukommen, wo sie wieder die höhere Tochter spielen muss. Dass sie, bei aller Contenance, innerlich rotiert."

Da darf man sich jetzt schon auf ihre "Fidelio"-Marzelline freuen, die sie demnächst unter Nikolaus von Harnoncourt im Theater an der Wien singen wird. Premiere ist am 17. März, und dass es mit Harnoncourt endlich klappt, freut sie riesig. "Harnoncourt plant seine Sachen ja eher kurzfristig, und es bricht mir immer das Herz, wenn ich dann schon verplant bin und das nicht mehr einschieben kann. Harnoncourt ist nämlich unser Hausgott. Immer wenn wir zu Hause über Musik diskutieren, ist das letzte Wort: 'Aber Harnoncourt hat gesagt ...'"

Zu Hause, das ist der Musikerclan Prohaska. Annas Urgroßvater war der Komponist Carl Prohaska, ihr Großvater der Dirigent Felix Prohaska. Der Vater ist Opernregisseur, die Mutter Sängerin, Bruder Daniel ist Tenor. Im Wiener Haus der Familie hat Johann Strauß seine "Fledermaus" geschrieben. Eindrucksvoll! "Total. Vielleicht habe ich auch deshalb noch nie die Adele gesungen."

Geburtsort von Anna Prohaska ist allerdings nicht Wien, sondern Neu-Ulm, wo der Vater in den 80er-Jahren Oberspielleiter war. Der Ulmer Generalmusikdirektor jener Zeit hieß Eberhard Kloke, und bei diesem Dirigenten und Freund der Familie begann Anna Prohaska als 14-Jährige ihre Gesangsausbildung, ehe sie dann an der Hochschule für Musik "Hanns Eisler" in Berlin studierte.

Schon während des Studiums hat sie an der Staatsoper gesungen. "In Wirklichkeit", sagt Anna Prohaska mit kühlem Blick auf diesen Hype, der seit eingier Zeit um sie gemacht wird, "bin ich ja schon lange keine Anfängerin mehr. Ich bin zwar erst 29, aber ich stehe schon seit 13 Jahren auf der Bühne."

Soll heißen: Ich weiß genau, was ich tue. Sie ist absolut unprätentiös. Jeans, Pullover, so sitzt sie im Loft eines Neuköllner Fotografen. Fantastisch jung und froh, dass die Fotosession vorbei ist. Die Fotos, mit der ihre erste CD garniert wurden, haben die Öffentlichkeit bewusst irregeführt.

Das Cover für die neue Barock-Platte - "Enchanted Forest" mit Arien von Cavalli, Händel, Monteverdi Morley, Purcell und Vivaldi -, bedient dasselbe Klischee. Darauf sieht man Anna Prohaska lasziv an eine Wand gelehnt. Dieser Stil ist ja irgendwann eingerissen, seit Verdis "Traviata" nicht mehr als "Traviata" verkauft wird, sondern als "Violetta".

Nach den Wasserwesen von der "Sirène"-CD, aus der sich das Hamburger Konzert speist - "Ich hatte keine richtige Tournee damit, das war ja alles irgendwie Hauruck, deshalb mache ich halt immer mal ein Konzert, wenn's gerade geht" -, dreht sich auf der neuen Platte alles um Feen und Waldnymphen. Was ist der besondere Reiz an der Barockmusik? Anna Prohaska muss nicht lange nachdenken. "Es gibt mehr Stücke in Moll! Ich liebe Mozarts 'Figaro' - es ist das genialste Stück der Welt -, aber diese Moll-Arien in Händels 'Cleopatra', Purcells 'Fairy Queen' oder Monteverdis 'Lamento della Ninfa' greifen mir einfach in die Brust hinein und quetschen mein Herz."

Das, sagt Anna Prohaska, sei eine Musik, die sie froh mache und beflügele. In der Barockmusik brauche man sich keine Gedanken um die Lautstärke des Orchesters zu machen und müsse auch nicht "mit dem Vibrato herumwabern". Dafür müsse man sich überlegen: "Wo ist der Höhepunkt? Wo will ich denn hin?" Sie versuche, erklärt Anna Prohaska, immer so ein bisschen, um das Metrum herumzusingen. "Man darf nicht durchrattern. Es darf keine Nähmaschinenmusik sein."

Eines steht mal fest: Wenn Anna Prohaska singt, braucht man sich darüber wirklich keine Sorgen zu machen.

Anna Prohaska, Sopran, Eric Schneider, Klavier: "Sirène", Sa 26.1., 20 Uhr, Laeiszhalle, Kleiner Saal, Tickets im Vvk. und unter T. 040/35 76 66 66