Der exklusive “Taschen-Store“ und das Antiquariat Lührs verkaufen besondere Bücher - allerdings nach beispielhaft gegensätzlichem Konzept.

Hamburg. Diddelmäuse, Heilsteine und Katzen-Kalender gibt es bei ihnen nicht. Weder kommerziell gestricktes Mutterglück-Geschwafel noch lustlos zusammengekloppte Sado-Maso-Schmonzetten sind im Sortiment. Wer so etwas von ihnen will, ist eindeutig an einer falschen Adresse gelandet. Von Joachim Lührs und Nadine Bolach werden Bücher, kleine, große und monströse, nicht als leicht verderbliche Massenware von Paletten wegverkauft wie Hundefutter im Supermarkt. Solche Stapel sind ein Anblick, dem beide nur ungern begegnen, deswegen kaufen sie Lektüre für den Privatverbrauch nicht bei den großen Buchhändlern und erst recht nicht über das Internet. Eine Frage der Berufsehre. Bolach bringt es noch nicht mal übers Herz, Bücher privat zu verleihen.

Der Antiquar Lührs ist Kunsthistoriker, Bolach hat eine Marketing-Ausbildung und hat für einen Juwelier gearbeitet, bevor sie 2010 Store Managerin in der Hamburger Filiale des Taschen Verlags wurde. Lührs hat seine Expertise zum Beruf gemacht, bei Taschen ist es nicht selten der Fall, dass die Verkäufer der Feinkostwaren nicht vom Fach sind, dafür aber aus der Kreativbranche. Auch das passt ins kontrastreiche Bild. Die beiden Buchhandlungen haben nur das Besondere, das wirklich ganz Besondere in ihren Regalen.

Bei Bolach an der Bleichenbrücke sind die Schaukästen von Philippe Starck entworfen, inszeniert wie eine Präsentation von Lifestyle-Zubehör und weltweit Taschen-einheitlich; Lührs' prallvolle Regalwände stehen seit 20 Jahren unter prächtig restaurierten Kassettendecken, vor dem Kunstbuch-Antiquariat hatte hier das Fahrradgeschäft Schätzlein seinen Sitz. Der Maler Daniel Richter wohnte bis zu seinem Umzug nach Berlin im gleichen Haus, die Fleetinsel gilt als Kreativviertelchen am Rand der Shopping-Meilen.

Beide präsentieren Einzigartigkeiten, Absonderliches, sauteure Sammlerstücke, aber auch spleenige Liebhabereien für freundlich kleines Geld. Und doch sind ihre Geschäfte, zwischen denen in der Hamburger Innenstadt nur 400 Meter Luftlinie liegen, Welten voneinander entfernt. Verbindend sind die Philosophien und die Leidenschaft für Gourmet-Lektüre, die keine Rücksicht auf Massengeschmack nehmen muss oder will. Dafür hat sie dann aber auch ihren Preis.

"Das ist in Italien gedruckt! Ich rieche das ..." Stammkundschafts-Ansagen, wie sie unter Taschen-Sammlern durchaus vorkommen können. Manche kaufen einen der opulenten und dann nicht gerade günstigen Bände für sich - und den zweiten als Geldanlage zum unausgepackten Wegsperren. Einzelkäufer sind die Regel, aber es gibt mittlerweile auch Hotels, die ihre kompletten Bibliotheken bestücken lassen. Bei übergroßen Themen (Muhammad Alis Boxer-Leben war so eines oder die unnahbaren High-Heels-Dominas von Helmut Newton) legt der Verlag einen stabilen Präsentiertisch dazu, als ironische Überhöhung der Meinung, dass solche Papierberge über Popkultur, Mode oder Architektur ohnehin nur als Inneneinrichtung und Statussymbol angeschafft werden, damit die Gäste des Zweithauses etwas zu sehen bekommen, während der Champagner amtlich durchkühlt. Im Verlagskatalog wird mit einer Buchrücken-Reihe und stattlichen Prozentzahlen bebildert, wie hoch die bibliophile Dividende ausfallen kann. Es geht aber auch anders, bescheidener und herzerwärmender. Der ältere Herr beispielsweise, der sich den Linda-McCartney-Bildband (vierstelliger Preis) über ihren Mann Paul gönnte, "ich habe selten jemanden erlebt, der so glücklich war", strahlt Bolach, "der hat das Geld garantiert nicht aus dem Ärmel geschüttelt".

Bei Lührs lässt sich viel zu Kunst- oder Architektur-Themen finden, aber auch Grafiken oder Gemälde. Hinten rechts im Laden hält eine chinesische Rotgardistin Wache, Propaganda in hochformatigem Öl, ein US-"Playboy" von 1965 liegt neben einer Ausgabe von Johann Peter Hebels "Schatzkästlein". Geheimrat Goethes "Farbenlehre" stapelt sich in Sichtweite von alten Hamburg-Büchern. Was Lührs, der genau weiß, wo was steht, nicht da hat, kann er bestimmt besorgen. Obwohl ein Großteil der Händler des gedruckten Worts über die Marktverdrängung durch das Internet wehklagen, bringt es einem Spezialisten wie ihm Kunden aus aller Welt. Er macht einen feinen Unterschied zwischen Sammlern und "Liebhabern", die "schöne Dinge kaufen, um mit ihnen zu leben und sie nicht nur für den Grafikschrank kaufen". Rund 7000 Bände hat er im Geschäft, schätzt Lührs, weitere 7000 stehen im nahe gelegenen Depot, 4000 sind über spezielle Online-Anbieter bei ihm bestellbar. Während Bolach gerade von 007-Fans belagert wird, die gern den Prunkband zum James-Bond-Jubiläum hätten, kommentiert Lührs das Zeitgeschehen in seinem Schaufenster mit Dokumenten der Zeitgeschichte. Ein alter "Stern" mit einem Titel über Rechtsextreme oder ein vergilbter "Spiegel", auf dessen Front es um Atomenergie geht, alles da. Es kommt ja auch vieles an Problemen wieder im Laufe der Jahre. Den klassischen Sammler, so schön und regelmäßig wie früher, den jedoch gibt es kaum noch. Lührs' Angebot geht deswegen geschickt mit der Zeit, ohne die Patina wegzupolieren. Klassisch Hochkulturelles steht bei ihm gleichberechtigt neben Rennern wie den Plakaten von Steve-McQueen-Filmen. Sylt-Landkarten liefen gerade sehr gut, erzählt er beim Kaffee im Café nebenan. Man kann sich denken, warum. Für Bond-Fans hätte er übrigens alte Ian-Fleming-Taschenbücher. Mit falschen Einschusslöchern im Einband.

Lührs könnte ähnlich wie viele "normale" Buchhändler klagen, denen Internet-Konzerne die Bilanzen vermiesen, aber er tut es nicht. Praktisch für ihn ist auch das Hotel in der unmittelbaren Nachbarschaft. Kongressgäste erholen sich beim Stöbern in Schmökern gern vom langweiligen Geturne auf Geschäftszahlenbergen. Auch Bolach denkt gar nicht ans Klagen. Buchhandelskrise, welche Buchhandelskrise? "Wir spüren das nicht. Das Jahr war toll, es hat enormen Spaß gemacht."

In Bolachs Bühnenbild ihres Verlags-Sortiments hat die Erotik als Spaßfaktor für Erwachsene einen kleinen Stammplatz: hinten rechts. Manche Kunden arbeiten sich über moralisch unverdächtigere Architektur-Bände dezent bis dorthin vor und lassen die Objekte ihrer Begierden dann an der Kasse als Geschenk einpacken. Andere fragen schon hocherfreut beim Betreten des Ladens lautstark durch den Raum, wo denn hier die Bücher mit den großen Hintern und den großen Brüsten sind. Gibt's auch mit 3D-Brillen.

Der Kölner Taschen-Verlag, der 1980 als ambitionierter Comic-Höker begann, hat sich inzwischen zu einer globalen Marke vergrößert und verfeinert. Läden in Japan, in Miami, in New York. Taschenbücher sind in ihrer teuersten Variante immer wieder der heiße Scheiß der Saison. Bei Joachim Lührs geht es natürlich gediegener zu, weniger sensationell. Mit dem manischen Sammeln von Gedrucktem oder Kunst hat er persönlich es nicht so. Lesestoff ist ja reichlich vorhanden im Laden, und wenn ihm ein Bild gefällt, kann es auch einmal eine Runde bei ihm zu Hause hängen. Dort lagern seine privaten Schätze: Schallplatten. Jazz, 60er, 70er. Damit ihre Cover angemessen zur Geltung kommen können, hat er einen Rahmenbauer aufgetrieben, der dieses Format liefert. Und auch bei Nadine Bolach endet die Arbeit nicht an der eigenen Haustür. Taschenbücher sind Platzfresser. "Ich brauche definitiv eine größere Wohnung."