Der “Polizeiruf 110“ an diesem Sonntag in der ARD ist ein atmosphärisch bedrückend inszeniertes und zugleich glänzend gespieltes Drama.

Schuld kommt in vielen Verkleidungen daher. In feinem Zwirn etwa, in schmutziger Wäsche, in schlichter Tracht, in geschniegelter Uniform. In Alltagsklamotten oder in Festtagsrobe. Man erkennt sie schwer, die Schuld. Sie tarnt sich gut.

Schuld hat auch einen Ort, meist ist es dort dunkel, auch deshalb gibt es Kriminalfilme und Kriminalromane, sie schaffen Entlastung von Schuld, eine Art Erlösung gar, zumeist jedenfalls, wenn die Ordnung der Dinge wieder hergestellt ist. Schuld wiegt, glaubt man den gängigen Psychologien, schwerer als jedes Gewicht der Welt.

Sieht man den "Polizeiruf 110: Eine andere Welt" muss man zweifeln an diesem Glauben. Denn die Geschichte, die Regisseur Nicolai Rohde sehr gelungen in Szene gesetzt hat, erzählt von Menschen, die zwar tief verstrickt sind in Schuld, sich dieser aber niemals bewusst zu sein scheinen. Als wäre der Mensch für alle Zeiten ein Baby, so rein und ohne jede Last.

Ein junges, ein schönes Mädchen, Kristina heißt sie, kommt gleich zu Beginn des Films zu Tode, am Ende einer langen Disconacht. Vollgepumpt mit der Droge Liquid Ecstasy war sie kurz vor ihrem Tod, wurde vergewaltigt, dann stirbt sie, gerade mal 18 Jahre alt, eine Schülerin noch, offenbar an den Folgen eines Schlags mit einem stumpfen Gegenstand, der ihre Stirn schwer verletzt.

Als Kristinas Freundin Hanna (Lotte Flack) nach dieser Nacht erwacht, geweckt von ihrer Mutter, kann sie sich, konfrontiert mit dem Tod ihrer besten Freundin, an nichts mehr erinnern. Die Droge hat ihr das Vermögen dazu geraubt. Auch Kristinas Eltern wissen von nichts, sie wähnten ihre Tochter bei Hanna und nicht in der Disco. Drogen? Nein, nicht unsere Tochter, niemals.

Sie wissen alle nichts in diesem bemerkenswerten "Polizeiruf 110", ahnungslos sind sie, vor allem die Eltern, denen ihre Kinder offenbar fremd geworden sind. Allein gelassene Jugendliche sind diese Kinder, die abseits ihres Elternhauses aufwachsen, in einer fürwahr anderen Welt, von deren Ansprüchen sie überfordert sind und deren Versuchungen sie erliegen.

Von einem Wachmann wird die tote Kristina gefunden, auf einem Schrottplatz, in einer Röhre liegend. Mit einem Leihmoped kommt der schwergewichtige Polizeihauptmeister Krause (Horst Krause) an den Fundort, zuständig für die dezente Komik in diesem "Polizeiruf" und für die ersten Ermittlungen.

Krauses Chefin, Hauptkommissarin Olga Lenski (Maria Simon), ist aus ihrer Babypause zurück (Sophie Rois hatte Simon während dieser Zeit vertreten) und gerät gleich mitten hinein in einen Fall, auf den sie schaut, als betrachte sie, die junge Mutter, eine gänzlich fremde Welt des Bösen, die so gar nicht passen will zu dem Wahren und Guten, dem Glück mit ihrer kleinen Tochter. Maria Simon spielt das wunderbar mit atemlos entsetztem Staunen. Und mit Fassungslosigkeit angesichts des Todes dieses jungen Mädchens und der Ahnungslosigkeit seiner Eltern. Manchmal scheint es gar, als wolle sie nicht glauben, was sie sieht - weshalb sie bei ihren Recherchen auch droht einen Irrweg zu beschreiten.

Schnell geraten zwei Mitschüler der Toten in das Visier der Ermittler, schließlich hatten sie sich mit den beiden Mädchen in den Ruheraum der Disco zurückgezogen. Doch von Ruhe wird dort keine Rede gewesen sein, in dieser Kammer des Schreckens. Kurze Zeit später jedenfalls ist Kristina tot, Jan (Jannik Schümann) und Ditsche (Max von der Groeben) bestreiten jegliche Schuld. Jan ist ein aalglatter Schönling und Sohn eines wohlhabenden Anwalts (Herbert Knaup), Ditsche ist ein Brutalo von schlanker Geistesart, dem das Wort keine Waffe ist. Zwei Freunde, wie sie gegensätzlicher kaum sein können. Sympathieträger sehen anders aus.

Der Verdacht gegen die beiden Jugendlichen verdichtet sich, als ein Zeuge auftaucht, der Jan und Ditsche noch spät in der Nacht mit Kristina gesehen haben will. Das Netz aus Indizien zieht sich immer enger um die Jungen, deren Fassade aus Überheblichkeit und Blasiertheit langsam zu bröckeln beginnt. Was bleibt, ist Angst.

"Eine andere Welt" ist ein atmosphärisch bedrückend inszeniertes Drama über eine hilflose Welt der Erwachsenen, über Schuld, die keine Sprache findet, weil sie keine hat. Ein glänzend gespieltes Drama über das Scheitern auch von Jugendlichen, weil ihnen die Koordinaten des Lebens abhanden gekommen sind. Im Alltag und in der Disco, wo synthetische Drogen mit Glücksversprechen locken. Manchmal endet dieses Versprechen tödlich.

Polizeihauptmeister Krause bringt es trocken auf den Punkt: "Früher war das alles übersichtlicher. Bier und Schnaps, aus die Maus." Früher, wann war das noch gleich?

"Polizeiruf 110: Eine andere Welt" So, 20.15 Uhr, ARD