Schriftsteller und Hamburger Ehrenbürger über “das Hamburgische“, Steinbrück und die berühmteste Baustelle der Stadt. Ein vorweihnachtliches Gespräch.

Es ist das unaufdringliche, aber dennoch markante Paffen der Pfeife. Die kurze Pause in der Leitung und dann das sanfte, kurze, trockene Ziehen, das einem auch am Telefon zwischendurch immer wieder bewusst macht, mit wem man es zu tun hat. Siegfried Lenz raucht schottischen Tabak, es ist seine Lieblingssorte. Sein Haus, in dem früher einmal eine Frau lebte, die den Messwein in der Kirche aufstellte und das deshalb heute noch "Vingaard", also "Weinhof", heißt, liegt irgendwo mitten in einem dänischen Wald.

Zu Hause in Hamburg hat Wilfried Weber von der Buchhandlung Felix Jud soeben einen Text von Siegfried Lenz herausgebracht, der sehr pragmatisch "Leute von Hamburg" heißt und eine Art Typen-Kaleidoskop der Hamburger Gesellschaft ist (limitiert auf 1200 Exemplare, rot gebunden, 38 Euro). Entstanden ist der Text bereits Ende der 60er-Jahre, aber die Beschreibungen der Hamburger Theatergänger, der hanseatischen Hausfrau, des Hamburger Künstlers oder des bescheidenen Wohlhabenden, der fünf Stiftungen am Leben hält und mit den Sozialdemokraten sympathisiert, haben an Aktualität kaum eingebüßt; es sind spitzfedrige, spöttische und doch immer liebevolle Schilderungen der Menschen dieser Stadt, vom Erzähler beobachtet durch den Boden eines Rumglases.

Weber wollte, und welcher Zeitpunkt könnte dafür besser geeignet sein als dieser, "einfach einmal etwas Sympathisches für die Elbphilharmonie" tun - und bat außerdem den norddeutschen Maler Klaus Fußmann, den Hafen zu porträtieren. Auch und insbesondere die Elbphilharmonie - als Aquarell und Gouache auf Papier - hat Fußmann also gemalt, seine Bilder flankieren nun den Lenz-Text und werden gerahmt bei Felix Jud ausgestellt (und natürlich auch verkauft). Ein Projekt, das durch die Mitwirkenden und das eher unterschwellig wahrnehmbare Sujet eine interessante Verbindung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eingeht.

Während also in Hamburg die Kosten des künftigen Konzerthauses weiter explodieren, sitzt in Dänemark Siegfried Lenz an seinem Telefon und raucht in aller Ruhe seine Pfeife. Draußen vor dem Fenster, erzählt er, stolzieren Fasane vorbei. Eine rundum vorweihnachtliche, dänisch-hyggelige Atmosphäre.

Hamburger Abendblatt: Ihr Text "Leute von Hamburg" ist in den 60er-Jahren entstanden. Haben Sie ihn für diese Veröffentlichung - mehr als 40 Jahre später - noch einmal bearbeitet?

Siegfried Lenz: Der Text ist original und unverändert.

Umso überraschender, dass er sich noch so frisch, so aktuell liest.

Lenz: Es freut mich, dass Sie diesen Eindruck haben. Es gibt Dinge, die sich über die Jahre erhalten, weil sich das, was man beschreibt, unverändert darstellt.

Haben Sie denn das Gefühl, Hamburg oder die Hamburger sind seit über 40 Jahren unverändert?

Lenz: Es ist schwierig, wenn wir über die Hamburger sprechen. Einzelne Hamburger, die man zu kennen glaubt, die haben sich nicht verändert. Aber die Hamburger insgesamt, das ist zu schwierig zu sagen. Das wäre fast hochmütig, möchte ich sagen.

Sprechen wir über ganz bestimmte Persönlichkeiten. Es sind ja - außer dem Initiator Wilfried Weber - drei Menschen an dem Buch beteiligt: Der Maler Klaus Fußmann, Sie durch Ihren Text und Helmut Schmidt, der das Vorwort verfasst hat. Was verbindet Sie miteinander?

Lenz: Klaus Fußmann kannte ich vor allem von einigen Bildern, mit Helmut Schmidt ist es sehr leicht zu sagen: Wir sind seit vielen Jahren befreundet, wir sehen uns regelmäßig in seinem Haus, ich habe mit meinem Freund Günter Grass damals selbstverständlich Wahlkampf für die Sozialdemokraten gemacht. Helmut Schmidt ist meiner Ansicht nach ein sehr bedeutender Politiker, der für seine Stadt und die Bundesrepublik sehr viel bewegt hat.

"Bei den Sozialdemokraten, da gerät nichts außer Rand und Band", schreiben Sie in dem Buch. Jetzt möchte ja wieder ein Hamburger Sozialdemokrat Kanzler werden. Können Sie sich vorstellen, auch Peer Steinbrück im Wahlkampf zu unterstützen?

Lenz: Es ist zu früh, das zu entscheiden. Man muss mal abwarten, wie es sich vor der Wahl darstellt. Einige, auch schwergewichtige Themen der Politik ändern sich manchmal unerwartet, da muss man schauen, was einen selbst nötigt oder überredet oder nahe legt, seine Stimme zu riskieren. Ausschließen kann man wenig, auch nicht die Tatsache, dass ich für die Sozialdemokraten in den Wahlkampf gehe.

Mögen Sie denn den Kandidaten Steinbrück?

Lenz: Ich kenne ihn nicht persönlich, aber seine programmatischen Äußerungen sind mir sehr nah und ich schätze ihn außerordentlich.

Die Motivation, dieses Buch herauszugeben, hatte ja mit dem Wunsch zu tun, das Thema Elbphilharmonie wieder positiv im Hamburger Bewusstsein zu verankern. Verfolgen Sie die Diskussion? Interessiert Sie das?

Lenz: Nicht leidenschaftlich. Ich habe mehrere Operationen hinter mir und versuche, über die Tage zu kommen, indem ich an einer längeren Novelle arbeite. Bei aller Bereitwilligkeit habe ich keine Gelegenheit, mich einzumischen.

Gefällt Ihnen der Bau?

Lenz: Von Weitem und in Zeichnungen habe ich ihn gesehen - und ich muss sagen: Es gefällt mir. Obwohl Wohlgefallen vielleicht kein Argument ist. Es gefallen einem viele Dinge, die sich im Nachhinein als nicht tragbar oder nicht akzeptabel erweisen.

Als zumindest finanziell nicht akzeptabel empfinden die Elbphilharmonie ja doch viele. Die Diskussion wird sehr leidenschaftlich geführt, auch und vor allem von den Gegnern des Bauwerks. Ist die Elbphilharmonie aus Ihrer Sicht eine Idee, für die es sich lohnt, auch gegen alle Widerstände zu kämpfen?

Lenz: Ja, soweit ich es sehe, aus der Ferne, und wie ich die Diskussion verfolge, lohnt es sich ganz gewiss, diese Idee zu verteidigen.

Im Moment wird der Bau ja vor allem als Architektur betrachtet, weniger als der Musikort, der daraus erst entstehen soll.

Lenz: Ich bin immer und auf jeden Fall für die Kunst und dafür, dass die Musik in Hamburg eine neue Plattform, einen neuen Standort bekommt. Schon angesichts der Tatsache, dass es in Hamburg einmal große Komponisten gab, für die Hamburg auch berühmt war. Hamburg hat seinen Ruf ja nicht nur über den Hafen bekommen! Insofern bin ich sehr dafür, dass diese Kunst eine Heimat bekommt.

Heimat ist ein schönes Stichwort. Was ist denn Heimat für Sie?

Lenz: Ich habe ein Buch von über 500 Seiten geschrieben, "Heimatmuseum", in dem ich versucht habe, eine Antwort zu finden, in dem es darum geht, einen Ort als seine Heimat zu erkennen, auch um den Verlust von Heimat, um die Legitimität des Begriffs "Heimat". Das ist ja nicht nur, wo man sich wohlfühlt, sondern wo man aufgehoben ist, wo man sich auskennt, wo man sicher ist, auf bestimmte Fragen eine bestimmte Antwort zu erhalten.

Für Sie, der ja einen Teil seines Lebens in Dänemark verbringt, für welche Antworten ist Hamburg aus Ihrer Sicht besonders geeignet?

Lenz: Hamburg ist eine Hafenstadt, seit Jahrhunderten hat Hamburg Verbindungen mit der Welt gepflegt und auch einen Teil seines Wohlstands mithilfe dieser Verbindungen erworben. Das ist etwas, was ich immer verteidigen werde: Dass Hamburg diese Verbindungen weiterpflegt.

Was ist denn an Ihnen persönlich besonders Hamburgisch?

Lenz: Ich liebe das Wasser; die Elbe und die Alster sind mir sehr nah. Was ich ansonsten an mir Hamburgisch finde? Das geriete zu einem Selbstlob, und das Hamburgische an mir könnte darin bestehen, dass ich zu keinem Selbstlob bereit bin.

"Was andernorts möglich ist", haben Sie in "Leute von Hamburg" geschrieben, "Hamburg macht's unmöglich durch schöne Reserve und merkantilen Biedersinn, durch blonde Korrektheit und flügellose Vernunft". Eine Einschätzung, die ja nicht unbedingt sehr schmeichelhaft ist...

Lenz: Ich fühle mich als Hamburger und bin mit vielen befreundet. Freunde müssen auch bereit sein, gelegentliche Skepsis in Kauf zu nehmen.

Sie haben ihr allererstes Buch-Honorar damals für eine Schiffspassage nach Marokko ausgegeben, haben das "Tor zur Welt" also als solches begriffen. Man muss hindurchgehen, hinausgehen, um den Horizont zu erweitern, Hamburg selbst ist eben nicht die Welt. Stimmen Sie dieser Einschätzung zu?

Lenz: Sie sagen alles so, wie es mir am Herzen liegt. Ich war damals Feuilletonredakteur der "Welt" und habe meinen ersten Roman geschrieben. Willy Haas, der große Literaturkenner, sagte mir: Junge, das bringen wir, als Forstsetzungsroman. Das ist geschehen, ich bekam ein Honorar, das mir zwar nicht die Sprache verschlug, aber doch Wünsche nahelegte. 3000 Mark war schon damals eine große Summe. Wir haben eine Fahrkarte auf dem ersten deutschen Bananendampfer nach dem Krieg gekauft, "Lisboa" hieß das Schiff und es fuhr eben nach Marokko, um Bananen zu holen. Es war eine wunderbare Reise, auf der ich natürlich auch zur Kenntnis nehmen konnte, dass Hamburg einen Ruf hatte. In einem bescheidenen marokkanischen Hafen haben sie mir zu verstehen gegeben, dass die Pflege der Freundschaft zur Hafenstadt Hamburg ihnen immer eine Herzensangelegenheit sein würde. Das war natürlich marokkanische Höflichkeit. Aber wenn man die abzieht, kann man sich vorstellen, dass es auch eine offenherzige Kalkulation ist.

Sind Sie viel gereist in Ihrem Leben?

Lenz: Nicht viel gereist, aber viel herumgekommen. Ich hatte als Schriftsteller die Möglichkeit, nach Asien zu kommen, nach China und Japan, nach Amerika. Es waren Wunschreisen, Traumreisen, die ich der Tatsache verdanke, dass von mir einige Bücher entstanden sind. So kam ich nach Neuseeland, nach Australien und so weiter.

Sie unterscheiden zwischen "Reisen" und "Herumkommen".

Lenz: So ist es. Es waren keine selbst gewählten Ziele. Man hat mich gefragt: Willst du mal nach Japan, willst nach Neuseeland kommen? Das wäre mir nicht in den Sinn gekommen. Aber die Einladung legte es mir nahe, die Reise zu planen und sie schließlich auch anzutreten.

Das klingt fast nüchtern. Jemand hat einmal über Sie geschrieben, Sie gehörten nicht zur "Gemeinde der Sehnsuchtskranken". Was meinen Sie selbst, wenn Sie sagen: Melancholie ist ein inspirierendes Lebensgefühl?

Lenz: Melancholie setzt bei mir die Fantasie frei, sie lädt dich ein, bestimmte Dinge zu entwerfen. Was wäre wenn... Oder: Ich stelle mir vor, dass...

Sind Sie also ein melancholischer Mensch?

Lenz: Das wage ich nicht zu entscheiden. Meine Frau weiß präzise, wann ich melancholische Momente habe und wann nicht.

Sie schreiben gerade an einer Novelle, worum geht es da?

Lenz: Um einen extremen Konflikt. Ich finde es sehr aufschlussreich, wenn wir einer extremen Wahl ausgesetzt sind, wenn wir genötigt sind zu wählen. Gleichviel, wofür man sich entscheidet, es bleibt etwas Ungenügendes zurück. Weil es, wenn man sich entscheiden muss, keine Erfüllung geben kann. Das gilt in manchen Fällen auch für die Politik.

Unter welchen äußeren Bedingungen schreiben Sie im Moment?

Lenz: In der Obhut meiner zweiten Frau, einer alten Wikingerin, einer Dänin, die von einer anscheinend selbstverständlichen, aber mich immer wieder begeisternden Teilnahme an dem ist, was ich schreibe. Ich schreibe, wie mein Freund Günter Grass es nennt, auf unschuldigem Papier, mit einem Kugelschreiber, an einem großen Fenster, das auf ein Waldstück hinauszeigt, auf dem sich gestern zum Beispiel Hasen und Rehe versammelten - nicht zu meinem Gruß, einfach so - und Fasane sehe ich auch. Meine Frau hat ja die gesamte Ornithologie parat, alle Vogelsorten, die sich hier einfinden, grüßt sie auf ihre stille Weise.

Verbringen Sie die Feiertage auf dem "Weinhof" in Dänemark?

Lenz: Ja, dann kommt die Familie, meine Frau bereitet einen Braten vor, und wir werden uns hier aufs Innigste ansingen. Und unsere Genugtuung darin finden, dass wir noch einmal Weihnachten erlebt haben.