Der Hamburger Musiker, Texter und Radiomann Goetz Steeger präsentiert heute sein großartiges Album “User“ mit einem Konzert im Gängeviertel.

Gängeviertel/Fabrik. Dies ist eine Konzertempfehlung für alle, denen das Hören längerer, zusammenhängender, trotzdem irgendwie noch nach Pop klingender Musik abseits der Moden noch etwas bedeutet. Ihr Urheber Goetz Steeger, 55, gehört zu den bekanntesten Unbekannten der Hamburger Szene. Rund 650-mal hat er im Lauf der vergangenen 25 Jahre auf diversen Programmplätzen des Norddeutschen Rundfunks in einem anfangs halbstündigen, bald auf sechs Minuten eingedampften Format namens "Pop-Kocher" Musikstücke entbeint, Akkordverbindungen und melodische Wendungen analysiert, charakteristische rhythmische Figuren benannt und Geheimnisse des Arrangements gelüftet. Seine 14-täglich laufenden Beiträge zur Architektur des Pop sind zugleich eminent lehrreich und unterhaltsam.

Seit er nicht mehr die immergleiche Soße aus den Charts für den Schulfunk nachkochen muss, hat er sich im öffentlich-rechtlichen Rundfunk eine Nische geschaffen, in der vieles möglich ist. "Ich bin ziemlich frei in der Themenwahl", sagt Steeger. "Beim Aussuchen muss ein Aspekt drinstecken, der das Vorführen lohnt." Zuletzt hat er zwei Remixe des Stücks "Thunderbolt" von Björk miteinander verglichen.

Heute aber präsentiert der Mann, von dem man wegen seines glasklaren Durchblicks in die Bauprinzipien der populären Musik irrtümlich annehmen könnte, er wüsste, wie man Hits schreibt, im Gängeviertel erstmals die Musik seines gnadenlos unkommerziellen, wunderbar unzeitgemäß komponierten und zeitgemäß getexteten Albums "User". Eingespielt hat er es ganz allein in seiner Wohnung im Karoviertel. Dort stehen zwar jede Menge Instrumente und Equipment rum, aber alles erscheint derart eingebettet ins persönliche Wohnumfeld, dass man den Raum nicht Heimstudio nennen mag. Für das Album spielte Goetz Steeger alle Instrumente selbst; die Eitelkeit, sie im Booklet aufzuzählen, geht ihm ab.

Wer das mit kleinen instrumentalen Vor- und Zwischenspielen angereicherte Werk hört, sieht sich musikalisch in ein Neuland versetzt, von dem aus man auf die reichen Ländereien Frank Zappas, Robert Fripps, Gentle Giants, King Crimsons und noch weit apokrypherer britischer Art-Rock-Bands schauen kann. "Was ich musikalisch mache, ist ziemlich abgespalten von den Dingen, die ich im 'Pop-Kocher' betreibe", sagt Steeger. "Ich folge meiner Lust auf Entdeckungsaspekte: Wie reagiert die Musik auf die Inhalte, auf den Text?" Steeger sucht die Brüche, er vermeidet die Routinen, die er vom Analysieren Tausender Popsongs nur zu gut kennt. Tatsächlich gehen Text und Musik bei ihm eine derart sinnerfüllte Symbiose ein, dass man schon weit in die Musikgeschichte zurückgreifen muss, um Vergleichbares zu finden.

"Ich möchte den narkotisierenden Effekt des Pop verfremden", sagt er. Dabei entfaltet seine Musik berauschende Wirkung auf ihre eigene Art. Sie ist ganz individuell arrangiert und instrumentiert. Steegers Gesang, der mehrfach in einen Sprechton wechselt, ist zwar sehr deutlich, vom Timbre her aber ziemlich schmucklos. Auch weil die Stimme textlich Schwerwiegendes verhandelt, besteht kaum Gefahr, sich vom Sänger Goetz Steeger einlullen zu lassen. Der Instrumentalist Goetz Steeger aber spinnt auf elektrischen und akustischen Gitarren, auf Klavier und Orgel, Vibrafon und Marimba sehr raffinierte, feine Klangfäden. Auch das Schlagzeug hätte er selbst spielen können, doch er hat es programmiert. Das kunstvolle Klanglabyrinth so zu lichten, dass er mit drei Musikern an Gitarre, Bass und Schlagzeug alles Wesentliche daraus live spielen kann, war keine leichte Übung.

"Musik kann ich aus meinem ureigenen Haushalt holen", erzählt er. "Aber bei den Texten brauche ich lange, bis ich zufrieden bin." Gesellschaftliches in seiner eigenen Sprache zu verhandeln ist ihm wichtig, Privates findet da Eingang, wo es sich zu den gesellschaftlichen Verhältnissen in Beziehung setzt. "User" ist auf seine Art vollkommen. Ein Diamant autonomer Musik, ein Album, das bleibt.

User heute, 20.00, Gängeviertel/Fabrik (U Gänsemarkt) Eintritt frei, hinterher geht ein Hut rum.