Lustkummer, Herzadrenalin und bloß nicht erwachsen werden: Das ist Laura Karaseks Romandebüt “Verspielte Jahre“.

Hamburg. Es gibt in Laura Karaseks Debütroman „Verspielte Jahre“ mindestens zwei Wörter, die man unbedingt dem eigenen Wortschatz einverleiben möchte. Das eine ist „Lustkummer“, es bezeichnet den masochistischen Anteil der romantischen Liebe. Das andere Wort gehört bedeutungsmäßig oft in denselben Bereich: „Herzadrenalin“. Es braucht nur diese beiden Begriffe, um den emotionalen Raum dieses in mancherlei Hinsicht bemerkenswerten Buches aufzuschließen: „Verspielte Jahre“ ist eine gnadenlose Abhandlung über die Liebe und ihre Zumutungen.

Ach, was heißt Zumutung – noch besser spricht man ja, gerade in jungen Jahren, im Hinblick auf die Gefühlsabteilung Liebe wohl von Katastrophen. Zumindest wenn man so liebt wie Theresa, die Heldin des Romans. Theresa ist immer auf Herzadrenalin, zumindest will sie es sein. Am liebsten würde sie die Liebe aus großen Behältnissen trinken, weil sie doch so gut schmeckt und der Durst niemals gelöscht wird.

Es wird auch ganz unmetaphorisch immerzu getrunken und geraucht in „Verspielte Jahre“, und mal heißt der Mann an ihrer Seite Benjamin, mal Leopold und mal Moritz. Zuerst lebt Theresa in Berlin, dann in Frankfurt, und es geht ihr wie so vielen jungen Leuten, denn sie ist ein bisschen zu sehr verliebt nicht nur in die Liebe, sondern auch in den Zustand des Davor – das wirkliche, das ernste Leben soll, bitteschön, doch erst später kommen. Bloß keine Festlegungen, bloß keine Entscheidungen!

Und was gehört unbedingt zu diesem aufgeschobenen Erwachsensein, das Soziologen in den vergangenen Jahren bei vielen Post-68er-Generationen diagnostiziert haben? Die immerwährende Party und die größtmögliche Abwechslung. In Sachen Beziehung heißt das nichts anderes als ein ewiges vor und wieder zurück, Stop-and-go-Liebe, Drama, Baby. Auch auf der Suche nach dem unendlichen Spaß hat die Liebe gefälligst ihre Rolle zu spielen, als Lustspenderin, als Alltagsflucht, als emotionaler Durchlauferhitzer.

Alltag, das sind in dieser Twentysomething-Welt die universitäre Karriere und die Jobsuche. Die Masterarbeit ist längst nicht so interessant wie der Beziehungskampf, in dem niemals die emotionalen Gewinne mit den Verlusten verrechnet werden. Das wäre viel zu vernünftig. Aber es ist kein Wunder, dass Theresa, die als Figur über weite Strecken des Romans eher statisch angelegt ist (vielleicht macht gerade das sie glaubwürdig), ihre Masterarbeit nie fertig bekommen wird. Und dass sie diese in Theaterwissenschaft schreiben will, fügt sich in das Bild, das wir von der jungen Frau bekommen: Sie agiert wie auf der Bühne, aber spätestens nach dem dritten Beziehungsende ist die Zeit der großen amourösen und hedonistischen Auftritte vorbei.

Endlich ist sie mal diejenige, die verlassen wird – die Männer sind in diesem Roman stellenweise bemitleidenswerte Exemplare ihrer Gattung – und danach manches in Frage stellt. Ihr dämmert, dass es mit dem In-den-Tag-und-besser-noch-in-die-nächste-Party-Hineinleben irgendwann vorbei ist. Diese Erkenntnis stößt ihr bitter auf: „Jeder Tag war ein Casinobesuch, aber keiner spielte mehr mit ihr.“

Als Erzählerin geht Laura Karasek, 1982 in Hamburg geboren, ziemlich gnadenlos mit ihrer Hauptfigur um. Theresa liefert ihre Gesundheit an das Nachtleben aus, außerdem muss sie zur Therapeutin, der sie freilich nur von alles in allem sehr lieben Eltern berichten kann – da liegt das Problem also nicht. Oder gerade doch? Ist sie nicht der Abkömmling einer Generation, die überbehütet aufgewachsen ist und gar nicht vorbereitet ist auf die Unbilden des Lebens? Muss ja nicht alles immer so glatt laufen, schon gar nicht jobmäßig. Wahrscheinlich zerschellen heute noch mehr Jugendträume an der groben Realität als früher, weil einem die bunte Bilderwelt der Mediengesellschaft unendlich viele Lebensläufe vorspiegelt, die alles sind – aber nicht wirklichkeitsnah. „Ich dachte“, sagt die Hauptfigur an einer Stelle, „ich sei mit 30 ganz anders“.

Eigenes Geld hat sie nicht, als das Stipendium ausläuft. Die Zuneigung der Eltern äußert sich auch monetär, ein Glück.

Laura Karasek hat ein mutiges Debüt geschrieben, weil sie ihre Heldin als Leidensfigur aufbaut, deren kapriziöses und launisches Verhalten sie von Zeit zu Zeit sogar unsympathisch macht. Theresas Gegenwartsdiagnosen über die blassen Facebook- und anderweitig unentschiedenen Existenzen ihrer Generationsgenossen müssen gar nicht mal falsch sein, klingen aber manchmal zu altklug. Zu loben ist das Vermögen der Autorin, eine Sprache für das Verlangen zu finden. Auf die Zwei- folgt am Ende immer noch die Einsamkeit, und Karasek beschreibt sie wie folgt: „Sie war allein, und wenn sie abends ausging, musste sie auch ihren Schatten nach Hause bringen. Wenn sie sich nachts betrunken alleine die Treppen hinaufschleppte, trug ihr niemand die gebrechlichen Knochen, niemand liebte ihre Knochen, und das war traurig. Sie kochte nicht, weil niemand da war, der es essen würde, und sie verabredete sich jeden Abend, weil niemand da war, der zu Hause saß, und sie behauptete sich, weil niemand da war, der es für sie tat. Sie ließ beim Einschlafen das Licht brennen, und sie kaufte sich einen Schnuller, mit dem sie sich selbst das Maul stopfte, einen Schnuller, der sie vom Schreien abhielt.“

Es geht hier um die Unbedingheit der Liebe. „Wer auf ein Gefühl wartet, der verpasst es“, heißt es einmal sehr hübsch. Für manche ältere Leser mag das eine ferne Erinnerung sein, und andere werden sich über die mitunter zu metaphernselige Sprache ärgern und die lange Strecke von 400 Seiten, die um die ein oder andere Etappe gekürzt hätte werden können. Und vielleicht darf man auch anmerken, dass das Wesen von Literatur eben auch ist, etwas zu sagen, indem man es eben gerade nicht sagt. Diesen Einwände zum Trotz ist „Verspielte Jahre“ ein gelungenes Debüt. Und Theresa kommt am Schluss doch noch an in einem Leben. Auch wenn es nur irgendeines ist.

Laura Karasek: "Verspielte Jahre". Quadriga-Verlag. 400 Seiten, 19,99 €