Der Schauspieler Sebastian Rudolph sucht im Albernen die Tiefe. Auch in Stefan Puchers “Sommernachtstraum“ am Thalia-Theater.

Hamburg. Diesen dreiviertelstündigen Monolog darüber, was wohl die Welt im innersten zusammenhält, vergisst man so schnell nicht. Sebastian Rudolph ist als Faust einer von uns. Unbekümmert mit dem Reclam-Heft vor der Nase. Ein Wahrheitssuchender in einer Zeit, in der sich alle Gewissheiten auflösen. Erst in Nicolas Stemanns grandiosem achtstündigen, vielfach prämierten Abend nach Goethe "Faust I + II", so scheint es, fügt sich alles an Rudolphs Kunst zur vollen Blüte. Der Lohn? Das Prädikat "Schauspieler des Jahres" in der Kritikerumfrage der Fachzeitschrift "Theater heute". Dabei ist er schon lange da. "Ich bin eher kein Schauspieler, der das singulär Herausstechende hat und damit auf sich aufmerksam macht", sagt er.

In seinem mintgrünen Sweatshirt mit Sturmfrisur hat er sich auch mit 43 Jahren eine ungezwungene Jungenhaftigkeit bewahrt. "Hier beim 'Faust' kam etwas zusammen, wo man in einer großen Gemeinschaftsaktion auch alleine sein kann", sagt er nicht ohne Stolz und löffelt eine Mousse au Chocolat in der Weltbühne. "Irgendwann habe ich entschieden, so, ich bin das jetzt, dieser Faust, auch wenn wir ja eigentlich drei 'Fäuste' sind." Das Glückhafte an dieser Arbeit sei der über ein Jahr gestreckte Probenprozess gewesen. "Da kann man entwickeln, sacken lassen, wieder neu entwickeln. Formal und ästhetisch ist es genau das." Das Ringen bis zum Schluss bei dem nicht unbedingt ein Endergebnis im Vordergrund steht, sondern die Frage, was das Team eigentlich sagen will, treibt ihn an.

Mit Stemann verbindet ihn seit 1989 eine fruchtbare Arbeitsfreundschaft. In "Ulrike Maria Stuart" (2007) warf er mit Wasserbomben auf Politikerkonterfeis, in den "Kontrakten des Kaufmanns" (2009) gab er den Conférencier, auch wenn sich manche gar nicht daran erinnern, dass er überhaupt dabei war. Das Los vieler kollektiver Arbeiten. Immer ist Rudolph jemand, der höchsten Wert auf Text, Inhalt, Tiefenauslotung legt. Und zugleich auf existenzielle Weise das radikal Spielverliebte braucht. Ernsthaft albern sein ist sein Arbeitselixier. So wie in Tit Ojasoos und Ene-Liis Sempers Utopie-Poem "Fuck Your Ego!" im Thalia in der Gaußstraße, in dem er in einem fulminanten Solo-Auftritt die Sechsfelderwirtschaft erklärt.

Oder wie in seiner aktuellen Arbeit. Stefan Pucher, ein anderes großes Regiekind mit Hang zum Fantastischen, bringt an diesem Sonnabend im Thalia-Theater Shakespeares "Ein Sommernachtstraum" heraus. Rudolph spielt die Elfenkönigin Titania und die Amazonenkönigin Hippolyta. "Bei uns geht es ums Streiten. Das ist die Energie der Elfenwelt. Das schillert in einer anderen Mehrgeschlechtlichkeit, die für mich persönlich eine wahnsinnige Freude ist." Für Rudolph geht es in Puchers Lesart um eine starke weibliche Energie. Die betäubte Titania nimmt sich den Mann in Eselgestalt. Neues Leben entsteht aus purem Chaos, aus drei Paaren, die jeder für sich Missverständnisse, Verwandlungen, Lügen durchexerziert haben. Von Pucher durch einen Durchlauferhitzer gejagt und wieder mühsam kanalisiert. Jenseits von erhabenem Repräsentationstheater. So, wie es Rudolph schätzt. So wie damals 2000/2001 an Christoph Marthalers Zürcher Schauspielhaus. Dort spielt er den "Hamlet" in Marthalers Regie, der damit eine von zehn Einladungen zum Theatertreffen erntet.

Gefunden hat sich der Schauspieler Sebastian Rudolph erst auf Umwegen. Obwohl er aus einer echten Theaterdynastie stammt. Der Vater, Regisseur Niels-Peter Rudolph, ist kurzzeitig Intendant am Hamburger Schauspielhaus. Mutter Hildegard Schmahl ist ein Star an den Münchner Kammerspielen, Schwester Hanna Regisseurin. Rudolph tingelt durch die Schauspielschulen, fängt sich Ablehnungen ein und landet an der privaten Schule von Hildburg Frese, wo es ihn auch nur ein Jahr hält. "Ich konnte es nicht ertragen, wie sehr es darum ging, einen tollen Monolog hingelegt zu haben und eine super Benotung dafür zu kriegen", sagt Rudolph. "Das hat mich wahnsinnig gemacht."

Rudolph gründet seine eigene Kompanie "Notausgang" und dreht Filme wie "Manta - Manta", ergattert eine Nebenrolle in der internationalen Großproduktion "Der englische Patient", spricht Hörspiele ein, um Geld zu verdienen. In dieser Zeit reist er lieber mit dem Motorrad ein halbes Jahr durch Italien, als sich fest an ein Haus zu binden. Und steigt aus den Bergen kommend mit dem Helm in der Hand vom Motorrad direkt auf den roten Teppich beim Filmball in München. "Die haben mich nie wieder eingeladen." An den Münchner Kammerspielen erlebt er seine einsamste Zeit. Schreit sich mit Intendant Dieter Dorn auf Ensembleversammlungen an. Nach drei Spielzeiten ist Schluss. Rudolph zieht ein Jahr nach Frankreich aufs Land, arbeitet weiter als Autor und Theatermacher bei "Notausgang". Er trifft Nicolas Stemann. Und der Kreis schließt sich.

Lange Jahre arbeitet er frei, teilweise an bis zu acht Häusern parallel. Seit 2010 ist er fest am Thalia-Theater engagiert. "Immer mal wieder wechseln, aber Kontinuitäten bewahren, sich auf ein Haus zu beziehen ist wichtig für mich", sagt er. Zugegeben, alles andere als eine alltägliche Schauspielerkarriere. "Da ist vieles dabei, was ich niemandem raten würde, aber für mich hat es einfach gepasst." Das hat es.

"Ein Sommernachtstraum" Premiere, Sa 24.11., 20.00, Thalia-Theater, Alstertor; www.thalia-theater.de