“Im Banne des Dunkels“ heißt eine Ausstellung in der Hamburger Kunsthalle mit Radierungen von Charles Meryon im Saal der Meisterzeichnung.

Hamburg. Es war eine Personalie mit gewaltiger Langzeitwirkung: 1853 ernannte Napoleon III. den Stadtplaner Georges-Eugène Baron Haussmann zum Präfekten von Paris mit dem Auftrag, seine Residenz weitgehend umzugestalten.

Und Haussmann leistete ganze Arbeit. Innerhalb weniger Jahre fielen große Teile der mittelalterlichen Stadt der Spitzhacke zum Opfer und machten jenen breiten Boulevards, Verkehrsbauten, Hallen und Mietshäusern Platz, die bis heute das Bild der französischen Hauptstadt prägen. Viele Künstler und Intellektuelle verfolgten die dramatische Entwicklung mit zwiespältigen Gefühlen. Auch der Zeichner und Grafiker Charles Meryon (1821-1868) wandte sich immer wieder Stadtmotiven zu, die bedroht waren und bald schon verschwunden sein würden.

Unter dem Titel "Im Banne des Dunkels. Charles Meryon und die französische Radierbewegung" widmet die Kunsthalle in ihrem Saal der Meisterzeichnung dem bedeutenden französischen Grafiker jetzt eine Ausstellung. Zu sehen sind 20 Arbeiten von Meryon und einige Blätter von Künstlern aus seinem Umkreis. Sie stammen aus der Sammlung Hegewisch sowie aus dem Bestand des Kupferstichkabinetts der Kunsthalle.

Charles Meryon wurde als Sohn eines englischen Arztes und einer französischen Tänzerin in Paris geboren. Obwohl er als Marineangehöriger die Welt umsegelt und Länder wie Brasilien und Neuseeland kennengelernt hatte, widmete er sein künstlerisches Werk weitgehend der französischen Hauptstadt, die er im größten Umbruch ihrer Geschichte erlebte. Seine oft düsteren Blätter haben eine merkwürdige Ausstrahlung, einige erinnern an Piranesis fantastische Architekturmotive, fast alle haben sie eine melancholische Aura.

Der Schriftsteller Charles Baudelaire hatte dazu angeregt, "im Vergänglichen das Ewige suchen". Und genau darum bemühte sich Meryon, wenn er verwinkelte Gassen mit pittoresken Durchblicken, mittelalterliche Türme wie "La Tour de l'Horloge" oder Brücken darstellte wie "Le Petit Pont" oder im Jahr 1853 "Le Pont-Neuf", die älteste erhaltene Pariser Brücke, die Haussmann damals gerade teilweise abreißen und erneuern ließ.

Ursprünglich sollte Baudelaire den Paris-Zyklus von Meryon mit Versen versehen, doch da man sich über deren Charakter nicht einig wurde, kam diese Zusammenarbeit letztlich doch nicht zustande. Meryon gehört zu jenen französischen Künstlern, die Mitte des 19. Jahrhunderts der Radierung neue Ausdrucksmöglichkeiten abgewannen. Er selbst war schwer krank und starb 1868 an geistiger Umnachtung. Vor dem Hintergrund seines persönlichen Schicksals wurden auch seine Werke vielfach als Ausdruck seiner jeweiligen psychischen Konstitution gedeutet.

Der Kunsthistoriker Jonas Beyer, der die Ausstellung kuratiert, stellt diese Lesart in Zweifel, auch indem er Meryons Werke im Kontext von Zeitgenossen wie Félix Bracquemond oder Francis Seymour betrachtet.

Tatsächlich erscheint es plausibel, dass die Abgründigkeit der Pariser Motive nur bedingt als Psychogramm eines kranken Geistes zu deuten ist, sondern wohl eher als Reaktion auf eine bedrohlich empfundene Zeiterscheinung, als Antwort auf den Einbruch einer neuen Epoche, die als zerstörerisch erlebt wird.

Charles Meryon und die französische Radierbewegung, 11.11.2012-3.3.2013, Kunsthalle Saal der Meisterzeichnung, Di-So 10.00-18.00, Do bis 21.00. Begleitbuch zur Ausstellung 12,80 Euro