Das sehenswerte Drama “Winterdieb“ erzählt von Außenseitern, die ein kleines Stück vom Glück wollen.

Unten im kargen Alpental wird gearbeitet, dort stehen die Fabriken und grauen Wohnhäuser. Oben auf den schneebedeckten Schweizer Bergen vergnügen sich die wohlhabenden Ski-Touristen. Der zwölfjährige Simon gehört zu jenen, die unten leben. Trotzdem fährt er regelmäßig mit der Seilbahn hoch - um sich auch ein Stückchen vom vermeintlichen Glück zu holen. Er stiehlt teure Skier, schicke Daunenjacken und die coolen Brillen von Snowboardern und Abfahrtsläufern, um sie weiterzuverkaufen. So verdient er den Lebensunterhalt für sich und die Frau, bei der er wohnt - er nennt sie seine Schwester.

"Winterdieb" ist nach dem Autobahn-Drama "Home" der zweite Spielfilm von Regisseurin Ursula Meier. Sie gibt in ihren Werken jedem Detail eine Bedeutung, verliert darüber aber zu keinem Zeitpunkt die große, ihren Stoff zusammenhaltende, oft stark atmosphärisch ausgearbeitete Linie der Geschichte aus dem Blick.

Zu Recht wird die 41-Jährige mit den belgischen Meistern des Sozialdramas, Jean-Pierre and Luc Dardenne, verglichen. Sie hat ein sehr genaues Gespür für die Nöte und inneren Konflikte ihrer Figuren. So plagt den in der Trostlosigkeit aufwachsenden Simon weniger die hoffnungslose finanzielle Situation, sondern vor allem das Fehlen von Zuneigung und Geborgenheit. Kacey Mottet Klein spielt den zielstrebigen Simon mit größter Souveränität und Einfühlung. Léa Seydoux als seine Schwester gibt der jungen, eigentlich nicht gerade sympathischen jungen Frau ein Gesicht, das für eine ganze Generation Teenager ohne Zukunftsperspektive steht.

"Winterdieb" ist ein stiller Film über den Kampf um Liebe und Anerkennung in einer immer kälter werdenden Gesellschaft. Am Ende spiegelt die Alpenlandschaft noch einmal kongenial die widersprüchlichen Gefühle der beiden Hauptdarsteller - doch der Zuschauer wird mit einem Hoffnungsschimmer aus dem Kino entlassen.

Bewertung: empfehlenswert

"Winterdieb" Schweiz/Frankreich 2012, 97 Min., ab 12 J., R: Ursula Meier, D: Léa Seydoux, täglich im 3001, Holi, Koralle; www.arsenalfilm.de